Wilhelm Baum: Das Buch der Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten .
Hg. v. Peter Gstettner/ Hans Haider/ Vinzenz Jobst. Bearb. V. Peter Pirker.
Klagenfurt: kitab-Verlag 2010.
848 Seiten, Euro 29,00.-
ISBN 978-3-902585-53-0
Ein für Kärnten denkwürdiges - und seit Jahrzehnten fälliges - Buch präsentiert der Klagenfurter kitab-Verlag. Das Buch der Namen - Die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten provoziert die höchst unangenehme Erinnerung an eine schreckliche Zeit. Nicht nur die Namen sind hier verzeichnet, sondern auch die Schicksale mancher Opfer.
Von einigen Kärntner Opfern weiss man viel, zum Beispiel von jenen 13 slowenischen Widerstandskämpfern, die vom Volksgerichtshof zum Tod mit dem Beil verurteilt und hingerichtet wurden. Andere Opfer aber gerieten schon bald in Vergessenheit. Wie die Roma und Sinti, die aus Kärnten deportiert und schliesslich irgendwo im Osten ermordet wurden. Man weiss vom kommunistischen Widerstand und vom Partisanenkampf, man weiss von den
Aussiedlungen der slowenischen Bauern und Keuschler, man weiss vom Martyrium der jüdischen Bevölkerung. Der Mitherausgeber Hans Haider, der sich in Villach mit Vehemenz dem Erinnern gewidmet hat, zitiert den Zeitzeugen Anton Engelhart, damals ein Villacher Schüler:
„Im Jahre 1938 bin ich in die zweite Klasse Hauptschule gegangen. An jenem Tag (dem 10. November, Anm. IG) haben wir Nachmittagsunterricht gehabt. Als wir in die Schule gekommen sind, hat der Schulwart zu uns gesagt: Heut ist kein Unterricht, heute ist Judenverfolgung." Wir sind also gleich in die Stadt gegangen. Beim Fischbach in der Italienerstrasse haben wir zugeschaut, wie Sachen aus dem Fenster im 1. Stock herausgeflogen sind[...]."
Was Engelhart schildet, kann als bekannt vorausgesetzt werden, denn in jeder Stadt des Dritten Reiches wütete der Novemberpogrom. In Kärnten zeitversetzt, einen Tag danach. Und dass Villacher Jugendliche brüllten „hoch hänge der Jude am Laternenpfahl", dass Bücherberge brannten und Menschen entehrt, enteignet, gequält und ermordet wurden, besitzt ebenfalls keinen Neuigkeitswert. Dennoch ist die Aussagekraft dieser geballten Informatio-nen in einem Land, das die Freiheitlichen regieren, enorm. Der Herausgeber dieser Dokumentation, Dr.Wilhelm Baum, ist Rheinländer und Kummer gewohnt. Auch seine Mitstreiter Univ. Prof. Dr. Peter Gstettner (Obmann des Mauthausen-Komitees), Hans Haider (Obmann des Vereines Erinnern), Vinzenz Jobst vom Verein Memorial Kärnten-Koroska und Peter Pirker rütteln das Gedächtnis ihrer Mitmenschen angstfrei wach. Natürlich gab es Schwierigkeiten, doch Dr.Baum verstand es, ihnen Paroli zu bieten:
„In diesem Land fehlt ja die vorige Aufbereitung wie in anderen Bundesländern. Aber mir ist das jetzt schon egal und ich bin überrascht, dass wir bereits wenige Tage nach Erscheinen des Buchs mehr als 100 Exemplare nach Deutschland verkauft haben. Sogar das Bundesarchiv in Berlin und die Universität Salzburg befinden sich unter den ersten Käufern."
Neben den Opferlisten aus den Kärntner Bezirken erfährt man Aufschlussreiches über Leiden und Widerstand der slowenischen Bevölkerung und den Partisanenkampf :
„[...] In keinem Ort Kärntens gab es so intensiven Widerstand wie in den Dörfern Zell-Pfarre, Ebriach und Vellach bei Eisenkappel, wo die Einwohner ein karges Leben führten. Eisenkappel-Vellach zahlte den höchsten Blutzoll aller Gemeinden mit über 25 Prozent an NS-Opfern!"
Gleich zweifache Feindschaft zogen sich die slowenischen Priester zu, auch ihnen wird im Buch der Namen Erinnerung zuteil. Wie dem Pfarrer Alois Vauti, der „Deserteure unterstützt" hatte und nicht vor Gericht gestellt, sondern gleich ins KZ abtransportiert wurde. Bereits
drei Jahre zuvor war Vauti in Schutzhaft gewesen, weil er ein Verhalten gezeigt habe, das „zur völligen Unterbindung des deutschen Einflusses in seiner Pfarre" geführt habe. Eine genaue Festlegung der slowenischen Opferzahlen ist aber noch nicht erfolgt. 612 Angehörige der slowenischen Volksgruppe wurden durch den nationalsozialistischen Apparat verhaftet, 298 davon ins KZ verschleppt. Unter diesen 298 Häftlingen waren 100 Frauen, deren grösster Teil (89) in Ravensbrück ínterniert war. Die Männer wurden meist nach Dachau oder Mauthausen deportiert.
Das Buch der Namen bietet aber auch einschlägige Recherchen zur Oberkrain und der Operationszone Adriatisches Küstenland an, deren Zentrum Triest war. Aus Triest rollten die Deportationstransporte Tag und Nacht. Die zuvor zahlreiche, relativ wohlhabende, nun aber völlig ausgeplünderte jüdische Bevölkerung war erst in der Risiera, einer ehemaligen Reisverarbeitungsfabrik, gesammelt und dann zur Vernichtung nach Auschwitz, Bergen-Belsen und Ravensbrück „verschickt" worden. Italienische und slowenische Partisanen quälte man vor Ort gleich zu Tode. Aufgezählt sind auch die Zeugen Jehovas, die sich geweigert hatten, Wehrdienst zu leisten und der Todesstrafe nicht entkamen. Und die Euthanasieopfer, deren Mörder namentlich genannt sind, ebenso wie die Namen ihrer Opfer. Anlässlich der Präsentation des 847 Seiten umfassenden Buches stellte Co-Herausgeber Peter Gstettner fest, dass dieses Werk zwar unmfassend, aber unvollendet sei. Wie die Namenslisten der Naziopfer nicht vollständig seien. Doch mit der Nennung der Namen erhalten die Opfer ihre Würde zurück, ihre zivile Ehre, ihr Menschsein. Alles Gründe, dieses Buch der Namen weiterzuempfehlen. Es ist schicksalsschwer. Und das fehlende Inhaltsverzeichnis wird in der zweiten Auflage sicherlich vorhanden sein.