Ein Artikel gleichen Inhalts ist bereits 2005 in englischer Sprache erschienen, In: In Touch, The Newsletter of the American Friends of the Jewish Museum Hohenems, Jg. 6, Heft 2 (Juli 2005), S. 6 bis 9, unter dem Titel: Hohenems - Meran - St. Gallen bzw. Jewish Settlements South of Hohenems, und unter http://www.jm-hohenems.at/mat/602_AFJHM_Newsletter_6_2.pdf online abrufbar. Wir danken dem freundlichen Hinweis von Susan Shimer, Herausgeberin von In Touch, die uns darauf aufmerksam gemacht hat, sowie dem Autor für die Überlassung des deutschen Manuskripts.
Jüdische Siedlungen südlich von Hohenems:
Sulz, Vorarlberg, Österreich
Den Herrscherhäusern Europas war durchaus bekannt, dass die Ansiedlung jüdischer Untertanen ihren Herrschaften eine gute Einnahmequelle brächte, die man durch hohe Steuern gut ausbeuten könnte.
Dies war auch in Hohenems der Fall: im Jahre 1675, unter der Herrschaft des Grafen Carl Friedrich, der seine jüdischen Untertanen zwar ausnützte, aber tolerierte, solange diese seine finanziellen Nöte beheben konnten.
Nach dem Tode des Grafen Carl Friedrich im Jahre 1675 wurde Graf Franz Karl sein Nachfolger. Am 9. Januar 1676 bestätigte er die Schutzbriefe, die sein Vorgänger den jüdischen Untertanen ausgestellt hatte. Dies geschah jedoch nur für kurze Zeit. Nur vier Monate später, ohne einen Grund anzugeben, vertrieb er die bisher geduldeten Juden aus Hohenems. Bei einer Strafe von 20 fl. (Florin, dt. Gulden) war ihnen auch verboten, die Märkte im Ort zu besuchen. Nach ihrer Ausweisung begaben sich die Vertriebenen ins südlich von Hohenems gelegene Feldkirch, das unter österreichischer Verwaltung stand. Dort fanden sie Schutz. Eine weitere Gruppe der Vertriebenen zog damals in den kleinen Ort Sulz, zwischen Feldkirch und Hohenems gelegen. So begann die verhältnismässig kurze Zeitspanne von 1676 bis 1744, in der es eine kleine jüdische Gemeinde im Ort Sulz gab.1
Sulz, Vorarlberg
Sulz ist bis auf den heutigen Tag klein, sodass die Adressen als Hausnummern fungieren, nicht die Strassennamen. Zu der Zeit, als sich die Juden in Sulz niederliessen, hatte der Ort etwa 200-300 Einwohner. Bereits 1663 wohnten hier zwei jüdische
Familien, die Haushaltsvorstände hiessen Josle Levi
und Mayer Moos. Ihre Aufenthaltserlaubnis wurde durch den Erzherzog Sigmund Franz auf zwei Jahre
beschränkt. An Schutzgeldern hatte jede der beiden
Familien 18 fl. zu zahlen. Ein Jahr später, 1664, wohnte Josle Levi, der drei erwachsene Söhne hatte, in Altenstadt in der Nähe von Feldkirch und zog 1666 nach Hohenems zurück. Die meisten jüdischen Siedler blieben nur etwa zwölf Jahre in Sulz, denn 1688 erhielten sie die Erlaubnis, nach Hohenems zurückzukehren.
Nur die begüterteren jüdischen Familien von Salamon, Abraham und Wolf Levi, die von der österreichischen Regierung toleriert wurden, blieben nach 1688 in Sulz zurück, wo sie vier Häuser besassen. Allmählich vermehrte sich die Zahl der jüdischen Familien in Sulz auf zehn, aber die zusätzlichen Familien waren in den meisten Fällen Nachkommen oder Verwandte der bereits ansässigen Familien. Während der Jahre 1676 bis 1688 kann man die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung in Sulz mit 60 bis 70 Personen beziffern.
1685 zog Wolf Levi von Aulendorf nach Sulz. Er sowie Josle Levis Sohn Salamon galten als sehr begütert. Zusätzlich zu den allgemeinen Steuern hatte jede der jüdischen Familien jährlich 100 Taler
an den Ort Sulz und 200 fl. an die österreichische Regierung als Schutzgeld zu zahlen. Nach dem Tode von Salamon Levi wurde dessen Sohn Josle der Vorsteher der Sulzer jüdischen Gemeinde. Sein
Haus enthielt einen Betraum und sein Wohlstand erlaubte es ihm, einen Rabbiner und einen Lehrer zu unterhalten.
Zwischen den Juden in Sulz und Hohenems bestanden substanzielle Handelsbeziehungen. Tänzer
zählt für 1743 folgende Sulzer jüdische Haushalte
auf: Josle, Levi, Salamons Sohn, Jacob Levi, Sohn des Josle Levi, Jacob Wolf, Schwiegersohn des Josle Levi, Emanuel Wolf, Baruch Wolf, Wolf Levi, Josle Wolfs Sohn, Samuel Levi, Levi Lazarus Levi
Levi Weil, Wolf Wolf, Emanuels Sohn, Moses Levi
Burmeister beschreibt die Eröffnung einer neuen Synagoge 1738 in einem der vier bestehenden jüdischen Häuser. Sie wurde wahrscheinlich in einem Flügel eines Hauses eingerichtet, das von einer jüdischen Familie verlassen wurde, als diese nach Hohenems zurückkehrte. Nur sechs Jahre - bis 1744 - war dieses Bethaus in Gebrauch.
Dieses Jahr war verhängnisvoll für die Juden in Sulz, denn es markierte den Beginn des zweiten Schlesischen Krieges. Preussen und Frankreich waren damals Verbündete, als sich französische Truppen dem Land Vorarlberg näherten. Vorarlberg mobilisierte daraufhin seine Reservisten, den Landsturm, und war imstande, die französischen Truppen zurückzuweisen.
Sobald die Gefahr vorüber war, wurden die Reservisten demobilisiert und kehrten nach Hause zurück.
In den Jahren zuvor wurde grosser Hass gegen die Juden geschürt. Es herrschte politische Unruhe, und kriminelle Elemente, angeführt von lokalen Beamten, zerstörten jüdisches Eigentum und vertrieben die Juden aus Sulz. Die Zerstörungsaktion erstreckte sich auf mehrere Tage, die jüdischen Häuser wurden vollständig demoliert. Nach diesen Ereignissen schritten die österreichischen Behörden ein, in Innsbruck kam es zu einem Prozess: Vierzehn Angeklagte wurden beschuldigt, an dem Raubzug teilgenommen zu haben. Die Gerichtsbehörden gingen jedoch sehr milde gegen die Übeltäter vor.
Die verfolgten jüdischen Eigentümer erhielten eine
Teilrestitution in Höhe von 2.900 fl. Seit jener Zeit hat es nie mehr eine jüdische Gemeinde in Sulz gegeben.
Am Eschnerberg, Liechtenstein
Die jüdische Gemeinde Am Eschnerberg, 1637 - 1651, stellt ein kurzes Kapitel in der jüdischen Geschichte des 17. Jahrhunderts im Gebiet südlich
von Hohenems dar.2 Diese befand sich in der Nähe
der Dörfer Eschen und Mauren, im nördlichen Teil der Herrschaft Schellenberg. Das Gebiet liegt im nördlichen Teil des Fürstentums Liechtenstein, nur
wenige Kilometer vom österreichischen Feldkirch entfernt. Bereits 1637 gab es dort einige jüdische Bewohner.
Die Vertreibung der Juden aus Feldkirch war die Hauptursache für eine grössere Niederlassung von Juden in diesem Gebiet. Die Ansiedlung in Feldkirch wiederum wurde dadurch beeinflusst, dass die Juden in Rheineck unter Druck standen, diesen Ort zu verlassen. Graf Kaspar von Hohenems, der ebenfalls österreichischer Vogt war und dem die Domäne von Feldkirch unterstand, befürwortete Juden auf seinem Gebiet. Aber die Einwohner von Feldkirch widersetzten sich jeglicher Ansiedlung von Juden, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, und vereitelten somit die Pläne des Grafen. Es war vor allem die Furcht vor Konkurrenz in Handel und Gewerbe, die hierfür massgeblich war.
Allmählich, bis 1641, hatten alle Juden Feldkirch verlassen und fanden Zuflucht nahe Eschen und Mauren. Das Siedlungsgebiet am Eschnerberg war kein geschlossenes Wohnviertel, sondern lag verstreut. Die unmittelbare Nähe der Orte Eschen und Mauren führte dazu, dass diese lokale Steuern einziehen wollten. Beide dieser Orte hatten eine „Judengasse", daher ist anzunehmen, dass einzelne Juden dort Häuser hatten oder zur Miete wohnten. Burmeister zufolge gab es in der Siedlung am Eschnerberg mindestens zwanzig männliche, erwachsene jüdische Personen, sodass, wenn man die Frauen, Kinder und Hausbediensteten hinzufügt, insgesamt etwa 100 Personen dort gewohnt haben könnten.
Im Jahre 1649 werden dort Abraham Neuburg als Rabbiner und Moses Bernheim als Advokat genannt.
Ein Betraum bestand wahrscheinlich im Hause des
Rabbiners. Eine Skizze in Burmeisters Papieren (Seite 162) deutet auf die Hausnummer 10 und 11 in Popers (Mauren) hin, wo dieser Betraum existiert
haben soll. Diese Gebäude, später in Privatbesitz, brannten 1856 ab. Dort soll auch ein rituelles Bad (Mikwe) vorhanden gewesen sein, aber Burmeister konnte keine Beweise dafür finden. Friedolin Tschügmell erwähnt ein Judenbüchel, das nicht weit von dem Gebäude, das die Betstube enthalten haben soll, gelegen war. Spekuliert wurde auch, dass dieses Judenbüchel einen kleinen jüdischen Friedhof enthalten haben soll, aber Beweise dafür hat Tschügmell nicht.
Burmeister nennt folgende Personen, die diese Gemeinde umfasste:
„Rabbi Abraham" (wahrscheinlich Abraham Neuburg, der möglicherweise aus Thannhausen stammt), Moses Neuburg, Sohn des Obigen, ursprünglich aus Thannhausen, Isacc Neuburg, wahrscheinlich ein Verwandter, ebenfalls aus Thannhausen Samson Bernheim, „der Alte" genannt, wahrscheinlich ebenfalls aus Thannhausen; Samuel Bernheim, Sohn des Obigen Moses Bernheim, wahrscheinlich aus Thannhausen; er war der Leiter der Gemeinde und war „zu Verhandlungen" häufig in Innsbruck, Salomon Bernheim; Elias Bernheim, wahrscheinlich aus Thannhausen, Jacob Dannhauser oder Theinhauser, der infolge seines Namens aus Thannhausen stammt, Jacob Simon / Sima, David Filischrebest, Joseph (also Josli) Henli, Jacob Henli, Nathaniel, Lazarus Bock, Wilhelm Bock, Marx Hildefüng, Oswald Kaufmann, Anstel Kaufmann, Mendline Liebermann,
Da die jüdischen Bewohner in der Umgebung von Eschnerberg als Flüchtlinge ankamen, dürften sie nicht sehr wohlhabend gewesen sein. Die Praxis des
Geldverleihs dürfte nur eine minimale Rolle gespielt
haben und war keine substantielle Einnahmequelle.
In der Hauptsache waren die dortigen Juden im Handel tätig, speziell im Vieh- und Pferdehandel. Ihr Handelsgebiet war sehr umfangreich und beschränkte sich nicht auf die nähere Umgebung. Es gab Zeiten, in denen sie in Konflikt mit ihren nichtjüdischen Nachbarn gerieten. Aber im Allgemeinen wurden sie von den lokalen Behörden beschützt, obwohl gewisse Feindschaften zwischen den örtlichen Juden und ihren nichtjüdischen Opponenten bestanden.
Ausserhalb von Hohenems, in anderen Ortschaften,
waren Juden nicht durch sogenannte Schutzbriefe geschützt. Sie waren lediglich geduldet, und dies oftmals nur für eine gewisse Zeit. Der Schutz, den ihnen lokale Herrscher gewährten, konnte ihnen jederzeit entzogen werden. Dies scheint auch der Fall mit den Juden Am Eschnerberg gewesen zu sein, obgleich nähere Einzelheiten nicht bekannt sind. Die Gemeinde wurde am 19. Juli 1650 aufgelöst, eine Anzahl von Juden blieb noch bis Martini 1651. Eine 1650 erlassene Anordnung führte aus, dass alle Schulden den Juden „bis Martini" zurückgezahlt
werden müssten. In diesem Jahr (1651) war dies der 13. März.
Es ist nicht bekannt, wohin sich die jüdischen Familien begaben. In einigen Fällen, so Burmeister, zogen sie in jene Orte zurück, wo sie ursprünglich gewohnt hatten.
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Verein zur Erhaltung des Jüdischen Friedhofs in Hohenems
Präsident: Yves M. Bollag, CH-6926 Montagnola
Ehrenpräsident: Kurt Bollag, CH-9443 Widnau
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Gerhard Salinger, geboren 1922 in Stolp/Pommern (heute Slupsk, Polen), zwischen 1943 und 1945 in den Konzentrationslagern Auschwitz, Buchenwald, Dachau. Lebt seit 1947 in den USA, MBA an der New York University. In Geschäftsverwaltung, beruflich in Steuerangelegenheiten tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur jüdischen Geschichte in Ost- und Mitteleuropa, neben der Schweiz und Österreich und hier vor allem dem Hohenemser Raum zu Polen, Ungarn, Rumänien, der Slowakei, Teilen der südlichen Ukraine sowie Tschechien (Mähren); u. a. „Die einstigen jüdischen Gemeinden in Pommern" (4 Teile, 1.200 Seiten, Privatdruck) und „A Journey in Hungary" (rund 700 jüdische Gemeinden, Privatdruck), „The Jewish Cemetery in Hohenems", In: In Touch, The Newsletter of the American Friends of the Jewish Museum Hohenems, Jg. 10, Heft 1, Juni 2009, Seite 4-8.
1 Die wichtigsten Quellen für diese Veröffentlichung sind Aron
Tänzers Buch über die Juden in Hohenems und Bernhard Purins
„Die Juden von Sulz. Eine jüdische Landgemeinde in Vorarlberg
1676 - 1744". Die Zeitschrift „Rheticus" veröffentlichte einen Artikel von Karl Heinz Burmeister „Die Synagoge in Sulz, 1738
- 1744". Hierin beschreibt der Autor dieses kurze Kapitel in der
jüdischen Geschichte Vorarlbergs. Aron Tänzer, Die Geschichte
der Juden in Hohenems, S. 41f.
2 Vgl. Burmeister, a.a.O.
Teil 1 dieses Artikels ist in DAVID, Jg. 22, Heft 85, Juni 2010 erschienen.