Otto Binder: Wien - retour. Bericht an die Nachkommen.
3. ergänzte Auflage, Wien: Böhlau Verlag 2010.
189 Seiten, Euro 24,40.-
ISBN 978-3-205-78534-7
Otto Binder schrieb unter dem Titel Wien - retour seine Erinnerungen an die Familie und seine Wegbegleiter, die Jugend in der Zwischenkriegszeit und die Jahre der Emigration nieder. Es sollte weniger eine Biografie werden als ein Bericht an die Nachkommen.
Geboren 1910, aufgewachsen im Wien der Zwischenkriegszeit, schliesst sich Otto Binder bereits in seiner frühen Jugend der SAJ, der sozialistischen Jugendbewegung, an. Die Sozialdemokratie sollte seine weiteren Lebensstationen prägen, ebenso wie seine jüdischen Wurzeln: Vom austrofaschistischen Regime wird er als Mitglied der Revolutionären Sozialisten inhaftiert, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als jüdischer politischer Häftling zunächst nach Dachau und schliesslich nach Buchenwald deportiert. Mit Hilfe des sogenannten Matteotti-Komitees gelingt es, ein Visum nach Schweden zu erhalten, durch das im Mai 1939 seine Entlassung aus Buchenwald und die Ausreise aus Österreich ermöglicht wird. Selbst in Sicherheit, ist er in ständiger Angst um seine zurückgebliebene Familie und lässt nichts unversucht, um auch seine Schwester und seine Mutter aus Österreich herauszuholen - letztlich vergebens. Von den Mitgliedern der Familie Binder überlebten neben Otto nur Heinz Binder, seine Tante Fanny, sein Onkel Karl und dessen Tochter die Shoah.
In der schwedischen Emigration erlernt Otto Binder zunächst den Beruf eines Metallarbeiters und arbeitet später in einer Versicherungsanstalt, eine Tätigkeit, die er auch in Wien schon ausgeübt hat. Gemeinsam mit seiner Frau Anni baut er sich in Schweden eine neue Existenz und einen grossen Freundes- und Bekanntenkreis auf, zu dem unter anderem auch Bruno Kreisky gehört. 1943 ist das Glück der jungen Familie perfekt, als ihre Tochter Margit zur Welt kommt, 1948 folgt ihr Sohn Lennart. Im Jahr 1949 erhalten Otto und Anni Binder, nach zehnjährigem Aufenthalt in Schweden, Anrecht auf die schwedische Staatsbürgerschaft. Eine Rückkehr nach Österreich steht für die Familie also nicht zur Diskussion, als Otto Binder überraschend das Angebot erhält, als Nachwuchs in die Leitung der Wiener Städtischen Versicherung zurückzukommen. Otto Binder entscheidet sich nach reiflicher Überlegung, mit seiner Familie nach Wien zurückzukehren und zu bleiben.
Otto Binders Erinnerungen schliessen im Jahr 1949 mit der Rückkehr nach Wien. Die Biografie wird ergänzt durch Briefe und ein abschliessendes Kapitel, das das Schicksal zahlreicher Freunde und Weggefährten beinhaltet. Viele dieser Personen, die Otto Binder bereits in seiner frühen Jugend kennenlernte, traf er während seiner Tätigkeit in der Wiener Städtischen Versicherung wieder.
Anlässlich des 100. Geburtstags des 2005 verstorbenen Otto Binder wurden die Lebenserinnerungen in einer Neuauflage herausgegeben. Das Buch ist nicht nur ein wichtiges Zeitdokument eines jüdischen Überlebenden, es ist gleichfalls ein Stück der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie und der Wiener Städtischen Versicherung, für die Otto Binder 35 Jahre tätig war und die er 22 Jahre lang leitete. Auch ohne zu wissen, dass Otto Binder der Vater von Bundespräsidentengattin Margit Fischer ist, bietet das vorliegende Buch ein besonderes und interessantes Leseerlebnis. Es ist eine sensibel persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal sowie dem Einfluss der gesellschaftlichen Umwelt auf den einzelnen Menschen.