Ausgabe

DIE SYNAGOGEN DER PRAGER VORSTÄDTE

Stephan TEMPL

Inhalt

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Coverabbildung: Die Synagoge in Praha-Smíchov. 

Während Prags Altneuschul, die Spanische Schul sowie die Pinkas-, Maisel-, Klaus-, Hohe und ­vielleicht auch noch die Jerusalem-Synagoge als weltweit einmaliges jüdisches Ensemble in der tschechischen Hauptstadt allgemein bekannt sind, verirren sich die Touristenströme nur selten in Prags Vorstädte. Dort finden sich weitere Sakralbauten und zeugen von Prags bedeutendem jüdischem Erbe. Anders als in den meisten ­Nachbarländern werden sie ausgezeichnet erhalten und gepflegt.

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Die Synagoge in Praha-Libeň.

 

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Die Synagoge in Praha-Karlín.

 

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Die Synagoge in Praha-Michle, Frontansicht.

 

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Die Synagoge in Praha-Michle, Seitenansicht.

 

 

 

Smíchov

Smíchov ist seit der Eingemeindung 1922 ein Stadtteil von Prag. Die Synagoge stammt aus dem Jahr 1863 und wurde vom Architekten Leopold Ehrmann (der auch Franz Kafkas Grabmal entwarf) 1930 im funktionalistischen Stil umgebaut. Während des Kommunismus diente die Synagoge als Lager für die nahegelegene Tatra-Waggonfabrik (bis 1945 Ringhofer). Nach der Restitution an die Jüdische Gemeinde hat diese hier ihr Archiv untergebracht. 

In Smíchov wurde der Arzt und Dichter Siegfried Kapper (Isaac Salomon Kapper, 1821 - 1879)  geboren. Er war einer der ersten, der den Versuch einer jüdisch-tschechischen Assimilation wagte. Der alte jüdische Friedhof befindet sich entlang des Strassenzugs  U Starého židovského hřbitova,  wurde 1778 gegründet und bis 1937 belegt. Der neue jüdische Friedhof von Smíchov wurde 1903 angelegt und befindet sich in der Peroutkova Strasse 57. Auffallend ist hier das Grabmal der 1841 geadelten Industriellenfamilie Porges von Portheim. Die Urne des Dichters und Übersetzers Rudolf Fuchs (1890 Poděbrad - 1942 London) wurde ebenfalls hier beigesetzt. 

 

 

Libeň (dt. Lieben) 

Bereits im 16. Jahrhundert gab es hier ein Ghetto. Der Friedhof aus dieser Zeit wurde 1965 eingeebnet. Vom Ghetto selbst stehen nur mehr zwei Häuser und die Synagoge aus dem Jahr 1858. Der neue jüdische Friedhof wurde im Jahre 1892 angelegt, er ist von der Strasse Na Malém klínu her zugänglich. Der Schriftsteller Vojtěch Rakous (Albert Österreicher, 1862 Starý Brázdim bei Prag - 1935 Prag-Libeň) ist hier begraben.   

Libeň wandelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Industrieort. Grosse Fabriksanlagen standen hier, wie die der Familie des Schriftstellers Leo Perutz oder die Lederfabrik Brüder Utitz, aus der der Philosoph Emil Utitz stammt, oder die Wachstuchfabrik der Familie Grab  - Hermann Grab war ein Schriftsteller und Musiker. Der Schriftsteller Arnošt Lustig (1926 - 2011) wuchs in Libeň auf. 

  

Karlín (dt. Karolinenthal) 

Karlín ist seit 1921 ein Teil von Prag. Die Synagoge stammt aus dem Jahr 1861. Nach dem Krieg erfolgte die Rückgabe an die Jüdische Gemeinde, welche die Synagoge 1950 an die Hussitische Kirche verkauft hat. Der Schauspieler Francis Lederer (1899 - 2000 Palm Springs) wurde hier geboren, genauso die Schrift-
stellerin Lenka Reinerová (1916 - 2008). 

 

Michle

Die 1730 errichtete Synagoge liegt am kleinen Fluss Botič. Im 19. Jahrhundert wurde sie neogotisch umgebaut und diente der jüdischen Bevölkerung aus Michle, Nusle Podolí und Vršovice bis 1939 als G‘tteshaus. In der Nazizeit wurden hier 1.200 Thorarollen aus den böhmischen und mährischen Landgemeinden gelagert, die dann 1964 in die Londoner Westminster Synagoge gebracht worden sind. Danach erwarb die Albert Schweitzer Stiftung den Bau.

 

Alle Fotos: T. Walzer 2019, mit freundlicher Genehmigung.