Ausgabe

Künstlerschicksale 1938

Clemens Höslinger

 

Inhalt

Marie-Theres Arnbom:
„Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“. Aus der Volksoper vertrieben – ­Künstlerschicksale 1938.

 

Wien: Amalthea-Verlag 2018.

208 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen

ISBN: 978-3-99050-142-9

h120_63.jpg

Erstaunlich, wie viel an Neuartigem, Wichtigem und Informativem aus der Sphäre der Künstler-Vertreibung durch das NS-Regime noch immer herauszuholen ist. Freilich ist das Nachspüren von Lebensläufen, die sich im wahrsten Wort durch die ganze Welt verbreitet haben, eine schwierige, mühevolle Aufgabe. Marie-Theres Arnborn, die sich bereits durch mehrere Publikationen als kompetente Zeitgeschichtlerin erwiesen hat, ist vielen dieser Spuren nachgegangen, hat weite Reisen unternommen und mit Nachfahren der längst verstorbenen Künstler und Künstlerinnen gesprochen. Was sie herausgefunden hat, würde spannende Sujets für Romane oder Filme hergeben – so bunt und abenteuerlich geht es in diesem Buch zu. Als Thema hat sich die Autorin die Wiener Volksoper gewählt, allerdings nur einen eingeschränkten Ausschnitt aus der reich verzweigten Geschichte des  Hauses in Wiens neuntem Bezirk.

Das Jahr 1938 mit seinen Schrecknissen steht im Mittelpunkt der Darstellung, die Karrieren jüdischer Künstler vor und nach diesem Wendepunkt werden in scharf gezeichneten Bildern präsentiert. Freilich sind es nicht die grossen „Stars“ des Hauses, sondern überwiegend Anfänger, im Nebenfach beschäftigte Künstler, denen erst in der Emigration der grosse Wurf gelang. Fritz Fall, Henry Krips – Eigennamen, die an Grössere, Berühmtere denken lassen, oder bei uns kaum Erinnerungen wecken wie Peter Paul Fuchs, Walter Taussig, Lászlo Halász, Walter Herbert, Hans Holewa, Heinrich Jalowetz –  und doch sind das Menschen mit interessanter, erfolgreicher Lebensgeschichte. Mit feiner Beobachtung geht die Autorin auf jene Fälle ein, die sich mit der Wiederkehr von vertriebenen Künstlern nach 1945 befassen. Wie „unschuldig“ da in den Zeitungen berichtet wird, etwa: nach Jahren im Ausland ist der geschätzte Künstler wieder da. Da denkt sich der gelernte Österreicher unwillkürlich „seinen Teil“.

Die Wiener Volksoper, diese uneinheitliche, von politischen und wirtschaftlichen Stürmen hin- und hergerissene Kunststätte, gäbe noch viel Stoff zur Forschung her. Es ist ja eine echte Pointe, dass dieses Haus, im Kaiserjubiläumsjahr 1898 als prononciert antisemitisches Theater gegründet, bereits wenig später zur Heimstätte jüdischer Opernkünstler wurde. Ergänzend zu den tragischen Schicksalen  – hier mit zwei Fällen, der Sopranistin Ada Hecht und dem Tenor Viktor Flemming behandelt – wäre die Recherche noch auf die Volksopern-Ensembles der Zwanziger- und Dreissigerjahre auszuweiten. So könnte unter anderem an den Sänger Rudolf Bandler, einen der prominentesten Künstler des Hauses  (berühmt vor allem als Beckmesser in Wagners „Meistersingern“) erinnert werden, der 1944 im KZ ermordet wurde. Marie-Therese Arnbom wäre wie kaum jemand anderer berufen, weitere Volksopern-Forschungen zu betreiben, nicht zuletzt deshalb, weil das 1998 erschienene Jubiläumsbuch unbefriedigend ausgefallen ist und grosse historische Lücken aufweist.

Trotz kleinerer Ungenauigkeiten –  so ist die farbige Sängerin Marian Anderson niemals in der Wiener Staatsoper aufgetreten (S. 171) – eine absolut hochwertige und wichtige, mit vielen Foto-Dokumenten bereicherte Neuerscheinung.