Ausgabe

„Altneuland“ Zur Geschichte des Sinai 1967 - 1982

Fabian Brändle

Bereits Theodor Herzl hatte den Plan gefasst, die nur dünn besiedelte Sinaihalbinsel zu kolonisieren. Alleine, die Böden waren felsig, Wasser war ein rares Gut. Doch blieb die Besiedelung und Kolonisierung von „Altneuland“ ein jüdischer Traum, der sich mit der Eroberung des Gebietes im Jahre 1967 nach dem so genannten Sechstagekrieg zu verwirklichen schien. 

 

Inhalt

Kühne Pläne schossen in den Himmel, Visionen von „Grossisrael“ begeisterten viele Israelis. Vieles, das angedacht war, blieb jedoch Projekt, anderes wurde relativ kurzfristig verwirklicht. Der Sinai war, wie es der Historiker Dominik Peters in seiner ausgezeichneten Dissertation ausdrückt, ein Sehnsuchtsort für die meisten Jüdinnen und Juden. Der landschaftliche Zauber, die Weite des Landes, die biblischen Erinnerungsorte faszinierten die Menschen im dicht bevölkerten, engen Kernland ebenso wie Naturforscher, Abenteurer, Backpacker oder Glücksritter.

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Die Halbinsel Sinai. 

Abbildung Rechtefrei, Quelle: Wikimedia commons, abgerufen am 18.03.2019.

Wie es typisch ist für einen Mythos, wurde der „jüdische Sinai“ besungen in Liedern der Populärkultur, beispielsweise von Naomi Scheimer, beschrieben in Literatur und Versen, beispielsweise von  namhaften Vertreterinnen und Vertretern der arbeiterzionistischen Literaturbewegung. Der Sinai war und soll Pionierland sein, ähnlich dem „Jischuv“ der Vorkriegszeit. Appelliert wurde an Emotionen, mit der historischen Wahrheit nahm man es oft nicht so genau. Wir haben es, in den Worten der beiden grossen Historiker Eric J. Hobsbawm und Terence Ranger, mit einer invention of tradition zu tun, mit dem Finden von Traditionen in einem historisch gleichsam luftleeren Raum.

Nun hatten die israelischen Wirtschaftseliten natürlich auch handfeste ökonomische Interessen am neu dazugewonnen, riesigen Gebiet. Die Ägypter hatten unter Nasser damit begonnen, Mangan und andere Metalle abzubauen. Daran war man weniger interessiert. Für Begeisterung, ja Euphorie sorgten aber Ölvorkommen, namentlich in Abu Rudeis, die nun systematisch ausgebeutet werden  und dem rohstoffarmen Land Israel auf die Sprünge helfen sollten. Eine kleine Stadt wurde aus dem Boden gestampft, italienische Ingenieure halfen bei der Projektierung mit. Bei der Finanzierung aber gab es kleinere und grössere Mauscheleien, der Direktor geriet in die scharfe Kritik von Presse und Öffentlichkeit und trat schliesslich zurück. Es hatte sogar eine parlamentarische Untersuchung gegeben. Der „El Dorado“-Stimmung folgte eine Katerstimmung. Israel blieb von ausländischem Öl abhängig.

Der Ölskandal von Abu Rudeis war nur eine von so manchen Verwerfungen, welche die Sinaiprojekte nach sich zogen. Am meisten Aufmerksamkeit kam sicherlich den internationalen Projekten zu, welche die Vertreibung einheimischer Beduinen verursachte. Amnesty International, die UNO und andere Organisationen schalteten sich ein, um die Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Andererseits investierte der Staat Israel viel Geld, um die Beduinen materiell und infrastrukturell zu unterstützen, errichtete Schulen, Krankenhäuser, sorgte für Arbeitsplätze und Ausbildung. Das war namentlich im sehr dünn besiedelten Südsinai ein Erfolg. Dorthin wagten sich keine Siedlerinnen und Siedler, allenfalls einige Beatniks, Militärpersonen oder Backpackers, die auf der Suche nach einer möglichst authentischen Natur waren, fernab von der Zivilisation. Das Militär war allgemein der mit Abstand grösste Arbeitgeber in der Region, die Armee baute auch die ersten Zelte und Häuser auf. Militärisch gesehen sollte der Sinai als Pufferzone bei einem ägyptischen Angriff dienen. Die anfänglichen Niederlagen im Jom-Kippur-Krieg, bei dem die ägyptische Armee israelische Stellungen auf dem Sinai überrannte, wies auf die Gefahr hin, die vom westlichen Nachbarn ausging. Allgemein lebten die Soldaten spartanisch, sie fischten im Roten Meer, um die Verpflegung zu verbessern. Manchmal kamen Künstler, Sängerinnen und Sänger, auf Besuch, und sorgten für etwas Abwechslung. Gefährlich war die Malaria, die vor allem in Küstennähe grassierte. Etwas besser hatten es die Offiziere, für die in den Camps in der Regel ein eigenes Kasino bestand.

Die ungeheuren Naturschönheiten, die der Sinai Betrachterinnen und Betrachtern allenthalben bot, blieben nicht verborgen. So entschlossen sich Unternehmer, die Region touristisch zu erschliessen. Dies stiess zum Teil auf den Widerstand der so genannten Natur-Freunde und  der Heimatbewegung, die einen möglichst einfachen, authentischen Zugang zu den Schönheiten der Natur anstrebten. So blieb manches Projekt, auch ein Besucherzentrum auf dem „Mosesberg“ mit didaktischen Absichten.  An der Küste jedoch entstanden kleinere und grösere Resorts, die Touristinnen und Touristen aus dem In- und Ausland anlockten und namentlich mit Tauschschulen warben. Manche Orte wurden legendär und zu Treffpunkten israelischer Hippies, die gerne Folkmusik hörten. Das Sexualleben wurde recht liberal gehandhabt und brachte so manches Herz ins Schwingen. Dass mancher Spekulant im Geschäft mitmischen wollte, versteht sich von selbst. So versuchte ein gebürtiger Kubaner, ein grosses Resort aufzuziehen und gelangte an Regierungsstellen, um die Finanzierung zu gewährleisten. Er plante, verschiedene Tauschschulen aufzuziehen, setzte aber auf einfache Infrastruktur. Das Projekt versandete und landete in den Schubladen des Ministeriums.

Der Traum, zu leben wie die Pionierinnen und Pioniere, ist der israelischen modernen Gesellschaft nach wie vor eingeschrieben, wie ich meine. Man träumt von Landarbeit, Selbstversorgung, Wehrdörfern, spartanischem Lebensstil, ist eher gegen Konsum eingestellt. Dies war die Ideologie der arbeiterzionistischen, sozialistischen Bewegung gewesen, die einen wehrhaften Bauernstaat aufbauen wollte. Auf dem Sinai wurde diese Idee nur ansatzweise umgesetzt. Zu sehr hatte sich die israelische Gesellschaft verändert, verwestlicht. Doch Ansätze von grossen Projekten lassen sich während der Besatzungszeit von 1967 bis 1982 allenthalben finden.

 

Literatur:

Peters, Dominik. Sehnsuchtsort Sinai.
Eine israelische Kulturgeschichte der ägyptischen Halbinsel.
Göttingen, Wallstein Verlag, 2018.

Regev, Motti, Edwin Seroussi.
Popular Music in National Culture in Israel.
Berkeley/Los Angeles 2004.