Ausgabe

Private Dokumente zur österreichischen Geschichte

Christoph Tepperberg

 

Inhalt

Michael Hochedlinger – Martin Krenn – Simon Peter Terzer (Hrsg.):
Verzeichnis der Familienarchive und persönlichen Schriftennachlässe zur österreichischen Geschichte 1500-2000 

 

(= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, 116;
zugleich Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 14) Wien-Köln:
Böhlau Verlag 2018

1106 Seiten; 98,00 Euro, 

ISBN: 978-3-205-20663-7

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Verstreute Zeugen der Geschichte

Privates Schriftgut, insbesondere sogenannte „Ego-Dokumente“ wie Korrespondenzen, Tagebücher und Memoiren, ist eine wichtige ergänzende Geschichtsquelle zu öffentlichem Behördenschriftgut. Seit langem galt daher ein Verzeichnis der Familien- und Adelsarchive sowie Schriftennachlässe historisch bedeutender Personen als Desideratum der österreichischen Geschichtsforschung. So entstand 2011-2014 in einem von der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs finanzierten Projekt des Österreichischen Staatsarchivs ein „Kataster der Familienarchive und persönlichen Schriftennachlässe zur österreichischen Geschichte“, womit ein 1897 (!) initiiertes Projekt dieser Kommission zu Ende geführt wurde (S. 14 f.).

Vor 25 Jahren war bei Böhlau ein vielbeachtetes einschlägiges Werk der Bibliothekar/innen Gerhard Renner (1952-2008) und Eva Irblich (1943-2012) erschienen: Verzeichnis der schriftlichen Nachlässe in den Bibliotheken und Museen der Republik Österreich: Die Nachlässe in den Bibliotheken und Museen der Republik Österreich, ausgenommen die Österreichische Nationalbibliothek und das Österreichische Theatermuseum. Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 1993 (581 Seiten). 

In dem 2011 gestarteten Projekt wurden nunmehr Familienarchive und Nachlässe aus allen öffentlichen Archiven, Bibliotheken, Museen und sonstigen Sammlungen der Republik Österreich, zudem für die Geschichte Österreichs bedeutende privat verwahrte Archive und Einzelnachlässe verzeichnet. Ausserdem wurden Familienarchive des überlieferungsgeschichtlich relevanten Auslandes eingearbeitet. Die alphabetisch nach Familiennamen geordneten Ergebnisse sollten in Buchform im Rahmen der Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs publiziert und in einer laufend aktualisierten Fassung auch online über das Internet bereitgestellt werden. 

Als Auftakt zu dieser „quellenkundlichen Offensive“ wurde zum Weltkriegsgedenken 1914-2014 ein Spezialverzeichnis einschlägiger Nachlässe von Martin Krenn und Michael Hochedlinger veröffentlicht: Zeugen des Untergangs – Ego-Dokumente zur Geschichte des Ersten Weltkriegs im Österreichischen Staatsarchiv (= Inventare des Österreichischen Staatsarchivs 3). Innsbruck: Studienverlag 2013.

 

Das Endergebnis des Projekts

2014 wurde das Gesamtprojekt abgeschlossen, 1915-1916 die Rohdaten zusammengeführt und für die Drucklegung vereinheitlicht (S. 35). 2018 ist nun das Verzeichnis im Druck erschienen. Der Band erfasst über 5000 Familienarchive und persönliche Schriftennachlässe bzw. Archiv- und Nachlassteile zu einem halben Jahrtausend österreichischer Geschichte. Erstmals wurden nicht nur Bestände österreichischer Archive, Bibliotheken oder Museen berücksichtigt, sondern auch Institutionen in Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Deutschland, Italien, Polen, Slowenien, Kroatien, Rumänien, der Ukraine, der Schweiz, den USA und Israel. Das Nachschlagewerk bietet damit einen nie dagewesenen konzentrierten Überblick über oft noch ungehobene Quellenschätze. 

 

Welche Personen findet man in dem Verzeichnis?

Die Publikation ist kein Personenlexikon, sondern ein Verzeichnis existierender Aktenfonds: von Familien und Personen, die selbst Archivbildner wurden oder in institutioneller Nähe zu Archiven oder Bibliotheken standen: Kleriker und Ordensgeistliche, Adelsfamilien, schliesslich die Archivare und Bibliothekare selbst. Hinzu kommen Personen von geschlossenen Berufsständen (z. B. Offiziere oder Professoren), Personen des öffentlichen Lebens (z. B. Politiker) sowie Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur (z. B. Industrielle, Bankiers, Intellektuelle, Journalisten, Schriftsteller). Das eigentliche Verzeichnis findet sich unter „Familienarchive und Nachlässe A-Z“ (S. 51-1106).

 

Spuren des jüdisch-kulturellen Erbes 

Das Verzeichnis enthält auch zahlreiche Nachlässe von Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft: Ärzte, Bankiers, Rabbiner, Mitglieder der IKG Wien, mehrheitlich sind es Exponenten des assimilierten österreichischen Judentums: Wissenschafter (Historiker), Intellektuelle, Journalisten, Schriftsteller, Politiker (Sozialisten, Kommunisten, Widerstandskämpfer). Unter ihnen finden sich u.a. Friedrich und Viktor Adler, Otto Bauer, Heinrich Benedikt, Anton Bettelheim, Hugo Breitner, Julius Deutsch, Friedrich Engel-Janoschi, Karl Joseph Estreicher, Ernst Fischer, Julius August Frankl von Hochwart, Alfred Fried, Heinrich Friedjung, Leopold und Max Grünwald, Hans Kelsen, Bruno Kreisky, Gottfried Kunwald, Hermann Langbein, Josef Meisel, Leopold Moses Alois Pick, Oscar Pollak, Josef Redlich, die Familie Rothschild, Leopold Spira, Herbert Steiner, Maria Szécsi-Rapoport, Julius Tandler, Alice Teichová, Hans Tietze, Josephine von Wertheimstein, Simon Wiesenthal und Berta Zuckerkandl-Szeps. 

Der Wert einer Printausgabe ist durch die Eindimensionalität der Suchoptionen determiniert. Das Verzeichnis von Renner und Irblich (1993) sowie das „Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren“ von Murray G. Hall und Gerhard Renner (1995) wurden daher in den Jahren 2007-2010 durch ein Projekt von ONB und Wienbibliothek aktualisiert, ergänzt und der Allgemeinheit online zugänglich gemacht: „Verzeichnis der künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Nachlässe in Österreich“ (http://data.onb.ac.at/nlv_lex/perslex/). Entsprechend wurde auch von Hochedlinger, Krenn und Terzer eine online-Version in Aussicht gestellt, die „in weiterer Folge das gedruckte Verzeichnis ablösen“ soll (S. 24). Es bleibt zu hoffen, dass dieser Datenfundus möglichst bald auch in digitaler Form online zur Verfügung steht.