Ausgabe

Der jüdische Friedhof in Mattersburg

Tina Walzer

Jahrhundertlang diente der Friedhof in Mattersburg einer der ältesten
jüdischen Gemeinden des heutigen Burgenlandes als Begräbnisstätte. Während der NS-Zeit schwer zerstört, legt er mit seinen tausenden Gräbern noch heute
Zeugnis ab von der einst blühenden Gemeinde.

 

Inhalt

Die jüdische Gemeinde in Mattersburg zählt zu den Sieben Heiligen Gemeinden, den Schewa Kehilot. Nach der Vertreibung der Zweiten jüdischen Gemeinde Wiens 1670 hatte der Fürst Paul I. Esterhazy die Flüchtlinge auf seinem Territorium willkommen geheissen, sie aufgenommen und ihnen den Status von Schutzjuden zugestanden. Die jüdische Gemeinde Mattersdorf, wie der Ort damals noch hiess, hatte zu dem Zeitpunkt allerdings bereits bestanden: 1527 hatten Flüchtlinge aus Ödenburg (heute Sopron, Ungarn) hier Zuflucht gefunden und eine Kehila gegründet; andere Quellen lassen diese sogar auf eine Gruppe sefardischer Juden einige Jahrzehnte zuvor zurückgehen. In weiterer Folge der Esterhazyschen Ansiedlungspolitik entwickelten sich jedenfalls in Kittsee, Frauenkirchen, Eisenstadt, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz und eben in Mattersburg bedeutende, und streng orthodox orientierte Gemeinden. Viele namhafte Rabbiner und weltberühmte Gelehrte stammten von hier oder fanden in ihnen ihre Wirkungsstätten, unter ihnen Chatam Sofer (1762 Frankfurt am Main – 1839 Pressburg, Ungarn; heute Bratislava, Slowakei). An all diesen Orten bestehen bis heute jüdische Friedhöfe. Seit den Zerstörungen der NS-Zeit in unterschiedlich gutem Erhaltungs-
zustand, stellen sie die oft einzige und damit auch wertvollste Quelle zur Rekonstruktion der untergegangenen Gemeinden dar. Sie werden, bis auf wenige Ausnahmen von Einzelbestattungen Überlebender, heute allesamt nicht mehr benutzt.

Der älteste vollständig dokumentierte Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Mattersburg datiert zurück ins Jahr 1728. Rund 1.500 Menschen sollen hier zwischen 1694 und 1938 bestattet worden sein. Während der NS-Zeit wurden 229 Grabsteine vom jüdischen Religionsschulinspektor Isidor Öhler (9.10.1878 Nagytapolcsán, Oberungarn, heute Topolčany, Slowakei – 2.4.1968 Wien) wissenschaftlich aufgenommen; zuvor hatten auch die jüdischen Forscher Max Grundwald (10.10.1871 Zabrze, Oberschlesien – 24.1.1953 Jerusalem) und Leopold Moses (24.4.1888 Mödling – 1.12.1943 deportiert ins KZ Auschwitz und ermordet) über den Friedhof und seine Monumente gearbeitet und ihre Ergebnisse publiziert. Zu sehen ist von all den dort beschriebenen Steinen heute nicht mehr viel: in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurden die grossen Steinplatten abtransportiert und dazu benutzt, Panzersperren gegen die vorrückende Rote Armee zu errichten, im Zuge des Baus des sogenannten Ostwalls. Angeblich wurden Grabsteine danach aus den Schützengräben wieder entfernt und als begehrtes Baumaterial in so mancher Hofeinfahrt der näheren Umgebung verbaut. 

Entlang der Friedhofsmauer des weitläufigen Areals mit seinen rund 2.000 Quadratmetern finden sich jedenfalls, von Erde bedeckt, heute noch zahllose Fragmente der früheren Grabmonumente. 1966 wurden herumliegende Steinteile gesammelt und zu einer Gedenkmauer zusammengefügt. Es ist ein eindrucksvolles Mahnmal, das sich auf dem leergeräumten Hügel mitten im Stadtzentrum von Mattersburg erhebt. Aus den 1990er Jahren stammen mehrere Reihen von insgesamt 150 symbolischen Betongrabsteinen – Stelen, die in einer Initiative der Wiener Chewra Kadischa auf dem Steilhang des Hügels verteilt aufgestellt wurden, um einen Missstand - das bis dahin beliebte Rodeln an dem Heiligen Ort – in Zukunft zu unterbinden. Lediglich eine Handvoll Grabmonumente sind noch an ihrem ursprünglichen Standort erhalten, vor allem am oberen Ende des Hügels, in der südwestlichen Ecke des Areals. Der Haupteingang, der heute am unteren, nordöstlichen Ende des Abhangs bei einem grossen Metalltor, errichtet von Walter Paglers Verein Schalom in den 1990er Jahren, zu finden ist, hatte sich ursprünglich an der Ecke Wedekindstrasse und Bahnstrasse am südöstlichen Ende des Areals befunden und ist heute nicht begehbar. Dort war auch die Zeremonienhalle zu finden, die während der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört wurde. Allein schon die Ausmasse der grossen, leergeräumten Fläche lassen erahnen, welche Bedeutung die jüdische Gemeinde einst gehabt haben musste. Seit 2017 verweist ein Mahnmal im Bereich des zerstörten jüdischen Viertels, das KR Michael Feyer mit seinem Gedenkverein wir erinnern – Begegnung mit dem jüdischen Mattersburg errichten liess, in eindrucksvoller Weise auf das historische jüdische Mattersburg.

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Blick über den Friedhofshügel mit den symbolischen Grabstelen, errichtet von der Wiener Chewra Kadischa.

 

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Weitere Grabsteine liegen entlang der Einfriedungsmauer unter der Grasnarbe verborgen.

 

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Einer der ganz wenigen heute noch an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort erhaltenen Grabsteine.

 

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Gedenkmauer aus Grabsteinfragmenten auf dem jüdischen Friedhofs Mattersburg, errichtet 1966.

Alle Abbildungen: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

 

 

Informationen:

Stadtgemeinde Mattersburg, Brunnenplatz 4, 7210 Mattersburg, Tel. 02626 / 62332.  Dort kann auch der Friedhofsschlüssel abgeholt werden.

 

Nachlese: 

https://www.ikg-wien.at/friedhoefe-massengraeber/#friedhof-burgenland 

Österreichisches jüdisches Museum Eisenstadt, Dokumentation der Grabsteine des jüdischen Friedhofs Mattersburg: http://www.ojm.at/blog/thema/friedhof-mattersburg/, abgerufen am 6.11.2018.

Gertraud Tometich, Als im Burgenland noch das Schofarhorn ertönte.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Mattersburg und Umgebung. Edition Marlit, 2013, ISBN 978-3-902931-02-3

Ilan Beresin, Gedenkstätte zur Erinnerung an eine vernichtete Gemeinde, In: DAVID, Heft 115, Chanukka 2017, http://davidkultur.at/artikel/gedenkstaette-zur-erinnerung-an-eine-vernichtete-gemeinde