Eines der letzten jüdischen Kulturgüter in Niederösterreich soll abgerissen werden.
In Gänserndorf steht seit 130 Jahren ein Gebäude, das bis 1938 die religiöse Heimat für mehr als 500 jüdische Mitbürger/innen in diesem Ort und seiner Umgebung war. Was nach 1938 aus den Jüdinnen und Juden von Gänserndorf und ihrem Eigentum wurde und wie sie von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern behandelt wurden, liegt grossteils im Dunkeln. Seriöse Forschungsergebnisse dazu gibt es wenig.
Seit dem Frühjahr 2018 soll nach dem Willen des dortigen Bürgermeisters René Lobner das Gebäude der ehemaligen Synagoge Gänserndorf abgerissen werden und auf dem Grundstück sollen Parkplätze entstehen. Viele Österreicher/innen und im speziellen viele Gänserndor/innen sind überzeugt, dass dieses besondere Kulturgut, eines der letzten fünf jüdischen Kulturgüter in Niederösterreich, erhalten bleiben soll.
Die Synagoge von Gänserndorf, Strassen- und Gartenseite
Fotos: I. Oberndorfer, mit freundlicher Genehmigung. (2)
Wie Niederösterreich mit seinen jüdischen Kulturgütern nach 1945 umging, wird in der Arbeit Zerstörung von jüdischem Kulturgut in Niederösterreich nach 1945 in den nächsten Monaten veröffentlicht werden. Synagogen und Totenhallen wurden aufgrund von fehlender Wertschätzung kurz nach 1945 in Lagerhallen, Kühlhäuser oder Musikschulen umfunktioniert. Fand man keine Nutzung für das jeweilige Gebäude, wurde es abgetragen. Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde so eine wertvolle Synagoge nach der anderen zerstört.
In Gänserndorf kam es in den Jahren 2014/2015 zu weitreichenden Veränderungen. Der damalige SPÖ-Bürgermeister Kurt Burghardt liess einerseits einen Abrissbescheid für die Synagoge erstellen, beauftragte andererseits aber ein Planungsbüro unter der Führung von Dr. Alfred Benesch, um den Ort besser zu konzipieren. Mit Hilfe dieses Konzepts stellte Dr. Benesch fest, dass es für die Stadt von Vorteil wäre, das Kulturgut Synagoge nicht abzureissen, sondern daraus eventuell ein Kulturhaus, ein Museum oder Ähnliches zu machen. Kurz nachdem diese Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert wurden, fand die nächste Bürgermeisterwahl statt, die Burghardt zugunsten des ÖVP-LAbg. René Lobner verlor. Ein paar Monate später stellte die GRÜNE-Vizebürgermeisterin Margot Linke in einer Gemeinderatssitzung den Antrag, das Gänserndorfer Jugendzentrum vom Rathausplatz in das Gebäude der ehemaligen Synagoge in die Bahngasse 60 zu verlegen. Bis Mitte 2018 befand sich dann dort tatsächlich ein Jugendklub, der von Margot Linke betreut wurde.
Im Frühjahr 2018 mehrten sich die Gerüchte, Bgm. Lobner wolle nun doch den alten Abrissbescheid für die Synagoge umsetzen. Daraufhin wandten sich etliche Gänserndorfer/innen mit der Bitte an mich, etwas gegen diese Absicht zu tun bzw. ihnen zu helfen, das Gebäude zu schützen. Da ich zu diesem Zeitpunkt die Synagoge noch nicht betreten hatte, wandte ich mich an die zuständige Vizebürgermeisterin, mir in meiner Funktion als Geschichtswissenschaftlerin das Gebäude zu zeigen. Am 6. April 2018 führte mich Margit Linke durch die doch gut erhaltenen Räume der Synagoge, auf den Dachboden und in den Garten und zeigte mir auch das dahinter liegende Rabbinerhaus
Als in den Wochen danach im Zusammenhang mit dem Gebäude immer öfters die Worte „Abriss“, „abtragen“, „schleifen lassen“ die Runde machten, schrieb ich am 21. Juni 2018 an Bundespräsident Van der Bellen und bat um rasche Hilfe unter dem Titel „Gefahr im Verzug für das jüdische Kulturgut Synagoge Gänserndorf“. Unser Bundespräsident bzw. seine Präsidentschaftskanzlei reagierte prompt und kontaktierte umgehend „das Bundesdenkmalamt „[…], um sich als zuständige Behörde der Sache anzunehmen“. Danach ging es Schlag auf Schlag: das Bundesdenkmalamt stellte mittels Bescheid die Synagoge und das dahinter stehende Rabbinerhaus unter Schutz.
Zur gleichen Zeit startete ich mehrere Hilferufe zum weiteren Schutz der Synagoge. Ich schrieb etwa an die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner, an die israelische Botschafterin in Wien Talya Lador-Fresher, wandte mich an Bundeskanzler Sebastian Kurz, bat den Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit um Hilfe, nahm mit dem evangelischen Superintendenten Lars Müller-Marienburg in St. Pölten Kontakt auf und informierte auch Kardinal Christoph Schönborn am 25.6.2018 über die Synagoge Gänserndorf und bat ihn ebenfalls, sich für dieses Kulturgut einzusetzen.
Die IKG Wien war und ist ebenfalls daran interessiert, dass dieses jüdische Kulturgut erhalten bleibt. Auch Oberrabbiner Arie Folger und Gemeinderabbiner Shlomo Hofmeister vom Rabbinat Wien wünschen, dass dieses Gebäude erhalten bleiben soll. Sie werden von mir auf Wunsch immer telefonisch auf dem Laufenden gehalten. Lange Zeit hat Bgm. Lobner in der Öffentlichkeit behauptet, die IKG Wien hätte für den Abriss des Gebäudes die Zustimmung gegeben – was nicht stimmt.
Da der Bürgermeister von Gänserndorf das Gebäude abreissen lassen wollte bzw. nach wie vor abreissen lassen will, erhob er innerhalb der gesetzlichen Frist Einspruch gegen den Unterschutzstellungsbescheid vom 28. Juni 2018 - ohne dies mit all seinen Gemeinderäten abzusprechen. Aus diesem Grund reichten die GRÜNEN Gänserndorf gegen Bgm. Lobner am 25. Juli 2018 eine Aufsichtsbeschwerde bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf ein, da Gefahr bestand, dass das Gebäude trotz BDA-Bescheid abgerissen werden könnte. Am 1. August 2018 antwortete Martina Esberger von der BH Gänserndorf der GRÜNEN-Gemeinderätin Beate Kainz, dass „…die Bezirkshauptmannschaft […] in diesem administrativen Instanzenweg […]“ nicht aufscheine. Die BH Gänserndorf fühlte sich nicht zuständig.
Seit es mir gelungen ist, das Gebäude vor dem Abriss zu bewahren, führte und führt der Bürgermeister von Gänserndorf gegen mich in den Regionalzeitungen eine Kampagne, in der es auch zu mehreren öffentlichen Beleidigungen gegen mich kam, ja sogar der Versuch gestartet wurde, mich anzuzeigen. In einem „offenen Brief“ des Bürgermeisters an alle Gemeinderäte der Stadtgemeinde Gänserndorf und an Bürger/innen – das Schreiben wurde auch auf die Gemeinde- Website gestellt – bezeichnete mich Bgm. Lobner als „wildgewordene Historikerin“. Die Zeitung Der Standard vom 21.6.2018 versuchte auch, nicht immer alle Seiten zu Wort kommen zu lassen. Der ORF hingegen berichtete sehr neutral über diese Angelegenheit. Doch trotz aller Bemühungen des Bürgermeisters, Stimmung gegen das Gebäude zu machen, bestätigte im Herbst 2018 das Bundesdenkmalamt neuerlich, dass das Denkmal schützenswert sei. Bgm. Lobner sah und sieht – auch in seiner Funktion des Obmanns des Kulturausschusses vom Land Niederösterreich – in dem Gebäude kein Kulturgut. Kurz vor Ende des Jahres 2018 erhob der Bürgermeister nochmals gegen den neuerlichen Unterschutzstellungsbescheid des Bundesdenkmalamts Einspruch.
Brief von Bundespräsident Alexander van der Bellen an I. Oberndorfer,
mit freundlicher Genehmigung.
Zum Abschluss noch etwas Historisches über das Gebäude, das am 23. September 1889 – also vor 130 Jahren – eingeweiht wurde. Aufgrund eines einzigen Schriftstückes, eines erhalten gebliebenen Kommissionsprotokolls vom 28. Februar 1889, in dem der Architekt Jakob Modern als Planverfasser aufscheint, meint die Gänserndorfer Amateurforscherin Ida Höfler, dass Modern tatsächlich auch der Architekt der Synagoge gewesen sei. Leider fehlen bis dato weitere Beweise wie die Pläne oder spätere Schriftstücke, die diese Theorie bestätigen würde. Das Gebäude ist, im Vergleich zu vielen anderen Synagogen seiner Zeit, in sehr einfacher Bauart ausgeführt. Was trotz mehrmaliger Umbauten, die nach 1945 durchgeführt wurden, bei einer künftigen Generalsanierung zutage treten wird, kann man einstweilen nur durch Vergleiche mit den vielen Generalsanierungen von deutschen Synagogen vorhersagen. Hier möchte ich als Beispiel nur einige der vielen deutschen Synagogen, die wunderbar saniert wurden, anführen:
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im Raum Franken die Synagogen von Veitshöchheim, Schnaittach, Kronach, Oberbreit oder Tüchersfeld,
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im Raum Oberpfalz die Synagogen von Augsburg, Sulzbach oder Floss,
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im Raum Schwaben die Synagogen von Ichenhausen, Binswangen, Hainsfarth, Buttenwiesen oder Fellheim und viele andere mehr.
Wie bei all den bis dato sanierten und restaurierten Gebäuden in Deutschland werden wohl auch bei der Sanierung einer österreichischen Synagoge viele wertvolle bewegliche und unbewegliche kleinere Kulturgüter frei gelegt werden. Ich möchte hier nur drei nennen:
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der Abgang zur Mikwe (eventuell auch im Rabbinerhaus, das sich etliche Meter von der Synagoge entfernt befindet)
> eine Genisa
> ein Chuppa-Stein
Als Österreicherin hoffe ich, dass man auch der Synagoge Gänserndorf bald wieder seine Würde und Identität zurückgeben wird. Dies kann durch die Installation eines Lernortes, eines Gedächtnisortes oder eines Kulturmuseums von statten gehen – jedoch nur in einer offenen, toleranten, von Antisemitismus befreiten Gesellschaft. Ich möchte mit den Worten des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss enden, der nach der Generalsanierung der Synagoge Ichenhausen 1992 Folgendes verlautbaren liess: „Wir wollen dieses Gedächtnishaus bewahren, als ein Mahnmal ebenso wie als Ausdruck unserer Sehnsucht nach Aussöhnung mit dem jüdischen Volk…“ – das wünsche ich mir auch für die Synagoge Gänserndorf.
Historische Aufnahme der Synagoge von Gänserndorf, o.A.,
Quelle: www.juedische-gemeinden.de