Zum hundertsten Todestag.
Bis heute zählt Rosa Luxemburg (1871 - 1919) zu den wichtigsten Persönlichkeiten der europäischen Arbeiterbewegung und des Antimilitarismus. Sie gilt als Symbolfigur der Freiheit und Gleichheit. Ihr Spruch „Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden“ wurde und wird gerne zitiert. Doch Rosa Luxemburg musste den Kampf um politische Gerechtigkeit mit ihrem Leben bezahlen.
Rosa Luxemburg
(Quelle: Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis. Herausgegeben vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale. Berlin: Verlag der Jugend-Internationale 1920)
Zamość und Warschau
Rozalia Luxemburg wurde am 5. März 1871 in der polnischen Provinzstadt Zamość (damals: Kongresspolen, das unter russischer Herrschaft stand) als letztes von fünf Kindern geboren. Ihre Eltern Line (geborene Löwenstein) und Eliasz stammten aus gebildeten gutbürgerlichen Häusern. Der Vater war als Holzhändler erfolgreich und besass am Marktplatz ein stattliches Wohnhaus. „Rosa, das Nesthäkchen, verliess dieses »Klein-Paris«“, wie der jiddische Schriftsteller Isaac Leib Peretz die Stadt Zamość in seinen Memoiren humorvoll apostrophierte, noch im Kindesalter. Schon 1873 übersiedelten die Eltern in eine Mietwohnung der Landeshauptstadt Warszawa.“1 Ein Jahr später wurde ein Hüftleiden der Tochter irrtümlicherweise als Tuberkulose diagnostiziert. Aufgrund einer falschen medizinischen Behandlung blieb die Hüfte deformiert, so dass Rosa fortan leicht hinkte. Während einer einjährigen Bettruhe, die vom Arzt verordnet wurde, brachte sich das Mädchen autodidaktisch Lesen und Schreiben bei. Auf dem Gymnasium erhielt Rosa eine umfassende humanistische Bildung, und sie lernte zahlreiche Sprachen. Bei einem Fortbildungskreis kam sie mit der verbotenen marxistischen Gruppe Proletariat, die 1882 gegründet worden war, in Kontakt. Noch als Gymnasiastin trat sie der Bewegung bei und las nun zum ersten Mal die Schriften von Karl Marx, die illegal nach Polen gelangten. Obwohl Rosa 1888 die Matura mit Auszeichnung bestand, verweigerte ihr die Schulleitung die ihr zustehende Goldmedaille aufgrund ihrer oppositionellen Haltung gegenüber den Behörden. Als die zaristische Polizei Rosas Mitgliedschaft im Proletariat entdeckte, floh sie in die Schweiz.
Aufbau der SDKP
Ab dem Februar 1889 lebte Rosa Luxemburg in Zürich, wo sie an der dortigen Universität zu studieren begann. Nach einigem Wechseln der Studienrichtungen belegte sie die Fächer Philosophie, Mathematik, allgemeines Staatrecht und Versicherungsrecht sowie Staatswissenschaften. Gemeinsam mit dem jungen Marxisten Leo Jogiches (1867 – 1919), der zeitweise ihr Lebensgefährte war, und mit ehemaligen Mitgliedern der Gruppe Proletariat, gründete Rosa Luxemburg im August 1893 die Partei „Sozialdemokratie des Königreichs Polen“ (SDKP), die sich als Nachfolgebewegung des Proletariats sah und eine Zusammenarbeit mit den russischen Sozialdemokraten forcierte. Um die Arbeiter in Deutschland für die Ideen der SDKP zu gewinnen, zog Rosa Luxemburg 1897 nach Berlin. Schnell wurde sie führendes Mitglied der SPD, als Kopf des linken revolutionären Flügels. Darüber hinaus konnte sie 1897 in Zürich zum Thema „Die industrielle Entwicklung Polens“ promovieren.
Auf Seiten der Regierenden machte sie sich immer wieder Feinde: 1904 musste sie wegen „Majestätsbeleidigung“ für mehrere Monate ins Gefängnis. Als 1905 die erste Russische Revolution ausbrach, reiste Rosa Luxemburg nach Warschau, in der Hoffnung, die Revolution mit vorantreiben zu können. Da sie verbotenerweise Versammlungen abhielt und Zeitungen veröffentlichte, wurde sie am 4. Januar 1906 verhaftet und unter unzumutbaren Haftbedingungen festgehalten. Sie erkrankte an Gelbsucht, die nicht behandelt wurde, und konnte erst im August mit Hilfe eines ärztlichen Attests wieder entlassen werden. Im Oktober 1907 nahm Rosa Luxemburg die Tätigkeit als Dozentin an der SPD-Parteischule auf.
Innerhalb der SPD kam es zu immer grösseren Konflikten, so dass sich die Partei in Anhänger dreier Richtungen einteilte: die Reformisten, das sogenannte Marxistische Zentrum und die Revolutionäre. Ab 1911 profilierte sich Rosa Luxemburg als populärste Theoretikerin und Wortführerin des linken Flügels. Sie wandte sich energisch gegen die beginnende Hochrüstung für den Ersten Weltkrieg sowie gegen Nationalismus und Militarismus. Als Reaktion auf den Balkankrieg organisierte Rosa Luxemburg Demonstrationen gegen den Krieg. In zwei Reden in Frankfurt am Main (25. und 26. September 1913) rief sie zum Kampf gegen die Kriegsgefahr auf und forderte die Arbeiter auf, im Falle eines kommenden Krieges nicht auf ihre Klassenbrüder in Frankreich und in anderen Ländern zu schiessen. Aufgrund dieser zwei Ansprachen in Frankfurt am Main wurde von der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main am 20. Februar 1914 ein Prozess gegen sie geführt, bei dem sie zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Bereits in der Gefangenschaft gründete sie gemeinsam mit Karl Liebknecht (1871 - 1919) die Gruppe Internationale, aus welcher der Spartakusbund hervorging. In ihren Schriften unterstützte sie die Oktoberrevolution, zeigte sich aber kritisch gegenüber Lenin und den Bolschewiki. „In ihrem – erst nach ihrem Tod publizierten – Werk Anmerkungen zur Russischen Revolution standen Sätze, die den Leninismus attackierten: »Ohne Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in dem Bürokratie allein das tätige Element bleibt.«“2 Zutiefst erschüttert über die Kämpfe auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs hielt sie sich an das Kommunistische Manifest von Marx und Engels: „»Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nichts nehmen, was sie nicht haben«. Sie unterstützte das Recht auf kulturellen Eigensinn, auf Sprache und Brauchtum, doch eine ethnisch gedachte Nation galt ihr als ein gefährliches Übel.“3
Die Haft
Rosa Luxemburg musste am 18. Februar 1915 die Haftstrafe im Berliner Frauengefängnis antreten und wurde ein Jahr später entlassen. Doch drei Monate danach wurde sie aufgrund des damaligen Schutzhaft-Gesetzes zur„Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs“ zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.
Nach einem Hoch- und Landesverratsverfahren in Düsseldorf verbrachte sie drei Jahre und vier Monate (10. Juli 1916 bis 10. November 1918) zunächst im Berliner Frauengefängnis in der Barnimstrasse und im Gefängnis von Breslau (heute Wrocław), von wo sie zweimal verlegt wurde. In der Haft sammelte sie Nachrichten aus Russland und verfasste einige Aufsätze, die ihre Freunde herausschmuggelten und illegal veröffentlichten. Sie schrieb auch zahlreiche Briefe, vor allem an Sophie Liebknecht (1884 - 1964), die zweite Frau ihres Mitstreiters Karl Liebknecht. Ihr offenbarte sie die Last des Gefängnisses: „Sie überschätzen übrigens meine »Abgeklärtheit«. Mein Inneres Gleichgewicht und meine Glückseligkeit können leider schon beim leisesten Schatten, der auf mich fällt, aus den Fugen gehen und ich leide dann unaussprechlich, nur dass ich die Eigentümlichkeit besitze, dann zu verstummen. Buchstäblich, Sonitschka, ich kann dann kein Wort über die Lippen bringen.“4 Als Karl Liebknecht verhaftete wurde, tröstete Rosa die Freundin: „Sonjuschka, Liebste, seien Sie trotz alledem ruhig und heiter. So ist das Leben, und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“5
Zeit der Revolutionen
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis blieb Rosa Luxemburg zunächst bei Freunden in Breslau (Wrocław). Als wieder Züge nach Berlin verkehrten, reiste sie rasch nach Berlin, wo die Novemberrevolution bereits in vollem Gange war. Nach dem Thronverzicht von Kaiser Wilhelm II. wurden die Regierungsgeschäfte an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert übergeben. Bis zum 10. November 1918 bildeten sich praktisch in allen grösseren deutschen Städten revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte, die – zum Teil mit der Parole „Wir sind das Volk“ – die städtische Verwaltung übernahmen. Nunmehr stellten die Aufständischen über das Militärische hinausgehend politische Forderungen. Ihr Ruf nach Frieden und der Umwandlung des Deutschen Reiches in eine demokratische Republik wurde lauter. In München proklamierte die Rätebewegung am 7. November den Freistaat Bayern. Eine wichtige Persönlichkeit war Kurt Eisner (1867 – 1919), der Vorsitzende der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und Vorsitzender des Landtags. So wie Rosa Luxemburg stammte auch er aus einer jüdischen Familie. Wie sein Weggefährte Gustav Landauer (1870 - 1919), ein enger Freund des Philosophen Martin Buber (1878 - 1965), hatte sich Eisner „zur jüdischen Gemeinschaft bekannt. Was Buber für Landauer war, das war der Philosoph Hermann Cohen für Eisner: der »einzige Mann, der geistige Macht über mich gewann«. Kennengelernt hatte Eisner den jüdischen Philosophen während seiner Jahre als Journalist in Marburg, wo er sich immer wieder deutlich gegen den politischen Antisemitismus gewendet hatte. (...) Im Gegensatz etwa zu Leon Trotzki in St. Petersburg oder Rosa Luxemburg in Berlin distanzierten sich die zahlreichen jüdischen Revolutionäre in München, zu denen auch die Schriftsteller Ernst Toller und Erich Mühsam sowie Eisners Privatsekretär Felix Fechenbach gehörten, keineswegs von ihrer jüdischen Herkunft. Bei Landauer war dies am offensichtlichsten. Buber übte einen grossen Einfluss auf sein Denken aus.“6 Als es im Jänner 1919 zu einer katastrophalen Wahlniederlage der USPD in Bayern kam, wurde Kurt Eisner mit der provisorischen Regierung zum Rücktritt gezwungen. Auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des neugewählten Landtags wurde Kurt Eisner am 21. Februar 1919 vom Reserveleutnant Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Nach Eisners Tod wurde die Münchner Räterepublik ausgerufen.
Währenddessen tobten in der SPD immer stärkere Kämpfe zwischen den verschiedenen Strömungen. Zusammen mit Leo Jogiches, der seit 1900 ebenfalls in Berlin lebte, kümmerte sich Rosa Luxemburg auch um die Politik der Sozialdemokratie in Polen. Mit ihrer scharfen Kritik an der SPD wegen der Zustimmung zu den Kriegskrediten provozierte Rosa Luxemburg, zusammen mit Karl Liebknecht, Franz Mehring (1846 - 1919) und Clara Zetkin (1857 - 1933) die Spaltung der SPD. Am 31. Dezember 1918 fand der Gründungkongress der KPD statt, an dem Rosa Luxemburg teilnahm. Sie stand auf Seiten der Genossen, die eine Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung forderten, aber von der Mehrheit überstimmt wurden. Wegen Verhaftungsgefahr musste Rosa Luxemburg ständig ihre Wohnung wechseln; sie weigerte sich aber, Berlin zu verlassen.
Der Tod
Am 15. Jänner 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einem Trupp Soldaten unter dem Kommando von Leutnant Lindner aufgrund eines angeblichen Haftbefehls ins Berliner Hotel Eden gebracht, wo sie unter schweren Misshandlungen verhört wurden. Anschliessend wurde Karl Liebknecht im Tiergarten mit drei Schüssen aus nächster Nähe erschossen. Rosa Luxemburg wurde ebenfalls heimtückisch ermordet. Ihre Leiche warfen die Mörder in den Landwehrkanal, wo sie erst am 31. Mai 1919 gefunden wurde. Ihr Sarg musste deshalb leer bleiben, als er symbolisch mit 31 weiteren Opfern des Spartakusaufstands, unter ihnen Karl Liebknecht, am 25. Januar 1919 auf dem Friedhof in Berlin- Friedrichsfelde zu Grabe getragen wurde.
Epilog
In seinem Sammelband von Erzählungen Ein Geschenk für Rosa widmet der britische Schriftsteller und Künstler John Berger (1926 – 2017) Rosa Luxemburg eine Kurzgeschichte, dort schreibt er:
„Rosa! Ich kenne dich von Kindheit an. Und nun bin ich doppelt so wie du, als man dich im Januar 1919 totschlug, ein Monat nachdem du und Karl Liebknecht etwas gegründet hatten, aus dem einmal die Kommunistische Partei Deutschlands werden sollte.
Oft, wenn ich lese, und manchmal, wenn ich etwas zu schreiben versuche, tauchst du auf der Seite Papier auf, um dich mit einem Lächeln und einem kurzen Kopfschütteln zu gesellen. Kein einziges Blatt und keine einzige der Gefängniszellen, in die man dich wieder und wieder steckte, konnten dich je im Zaum halten.“7
„»Ich war, ich bin, ich werde sein!«, hast du gesagt. Dein Leben gibt uns ein Beispiel.“8
Literatur
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Berger, John: Ein Geschenk für Rosa. München: Carl Hanser Verlag 2018
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Brenner, Michael: Der erste jüdische Ministerpräsident . Vor genau 100 Jahren rief Kurt Eisner des Freistaat Bayern aus. In: Jüdische Allgemeine, 27. Dezember 2018 – 19. Tewet 5779, https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/der-erste-juedische-ministerpraesident/ (aufgerufen: 21.01.2019)
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Danzer, Gerhard: Rosa Luxemburg – Zur Psychologie des homme révolté. In: Kaminski, Katharina: Die Frau als Kulturschöpferin. Zehn biographische Essays. Würzburg: Verlag Königshausens & Neumann 2000, S. 141-173
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Heid, Ludger: Rosa Luxemburg. Israels unwillige Tochter. In: Jüdische Allgemeine, 15.01.2009; https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/244 (aufgerufen: 17.12.2018)
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Hirsch, Helmut (Hrsg.): Rosa Luxemburg in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1969
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Luxemburg, Rosa: Briefe an Karl und Luise Kautsky (1896-1918). Herausgegeben von Luise Kautsky. Berlin: E. Laub’sche Verlagsbuchhandlung 1923
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Luxemburg, Rosa: Briefe aus dem Gefängnis. Herausgegeben vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale. Berlin: Verlag der Jugendinternationale 1920
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Pfoser, Alfred: „Ich war, ich bin und werde sein.“ Zum 100. Todestag der Revolutionärin Rosa Luxemburg, die am 15. Jänner 1919 in Berlin erschossen wurde. In: WIENER ZEITUNG, Samstag/Sonntag 12./13. Jänner 2019, S. 33f.
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Schmitter, Elke: Auch eine Kassandra. In: DER SPIEGEL, Nr. 2/5.1.2019; S. 102-107.
Endnoten
1 Hirsch, Helmut (Hrsg.): Rosa Luxemburg in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1969, S. 9
2 Pfoser, Alfred: „Ich war, ich bin und werde sein.“ Zum 100. Todestag der Revolutionärin Rosa Luxemburg, die am 15. Jänner 1919 in Berlin erschossen wurde. In: WIENER ZEITUNG, Samstag/Sonntag 12./13. Jänner 2019, S. 33.
3 Schmitter, Elke: Auch eine Kassandra. In: DER SPIEGEL, Nr. 2/5.1.2019; S. 105
4 Luxemburg, Rosa: Briefe aus dem Gefängnis. Herausgegeben vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale. Berlin: Verlag der Jugend-Internationale 1920, S. 21
5 ebd., S. 38
6 Brenner, Michael: Der erste jüdische Ministerpräsident . Vor genau 100 Jahren rief Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus. In: Jüdische Allgemeine, 27. Dezember 2018 – 19. Tewet 5779
7 Berger, John: Ein Geschenk für Rosa. München: Carl Hanser Verlag 2018, S. 11
8 ebd., S. 19