Johanna Jutta Neumann wurde 1931 in Hamburg geboren. Die Kriegsjahre verbrachte die Jüdin in Albanien. Danach wanderte sie in die USA aus, wo sie später eine Familie gründete. Das Interview wurde vor rund sieben Jahren (2011) geführt. Johanna Neumann starb am 26. April 2017.
Albert Ramaj: Sie sind in Hamburg geboren. In Ihrem Buch schreiben Sie von einer glücklichen Kindheit.
Johanna Jutta Neumann: Ja, ich hatte eine sehr schöne Kindheit in Hamburg. Erst vor ein paar Wochen war ich wieder dort und hatte viele angenehme Erinnerungen, wie ich so durch die altbekannten Strassen gegangen bin: Erinnerungen, wie ich mit meiner Mutter spazieren war, Verwandte besucht hatte und natürlich meine Grosseltern. Vor dem Haus, wo meine Grosseltern wohnten, hat mich die Hamburger Presse interviewt. Dabei habe ich viel an die Zeit gedacht, als ich früh morgens zum Fenster hinausgeschaut habe, wie die Geschäfte geöffnet wurden und die Blumenfrau ihre Blumen zum Verkauf hergerichtet hat. Ich habe oft bei meinen Grosseltern geschlafen. Alles fröhliche Kindheitserinnerungen! Die Strassen sind noch da, die Häuser auch, oder wenigstens dieselben Hausnummern. Aber die Menschen, die mir lieb waren und meiner Kindheit Freude, Zufriedenheit und Inhalt gegeben haben, sind nicht mehr da. So viele Tanten und Onkel, Cousinen und Freunde sind in den Konzentrationslagern umgekommen.
Albert Ramaj: Haben Sie damals als kleines Kind antisemitischen Hass erfahren?
Johanna Jutta Neumann: Leider ja: Ich durfte schon seit 1937 nicht mehr auf Spielplätzen spielen. Meine Mutter war oft mit mir nach Blankenese, einem Stadtteil an der Elbe, an den Strand gegangen, und auf den Bänken waren Schilder angebracht, auf denen „Juden nicht erwünscht“ stand. Juden durften 1937/38 schon nicht mehr ins Theater gehen. Jüdische Kinder mussten in jüdische Schulen gehen, wir konnten nicht mehr öffentliche Schulen besuchen.
Albert Ramaj: Welche Vorstellung hatten Sie und Ihre Eltern von Albanien?
Johanna Jutta Neumann: Ich hatte überhaupt keine Vorstellung von Albanien und glaube nicht, dass meine Eltern viel über Albanien wussten und auch nicht wussten, was uns dort erwartete. Sie dachten wohl, dass Albanien primitiv war, weshalb sie meine Grossmutter nicht mitgenommen haben. So war es sehr erfreulich, dass wir bei der Ankunft in Durrës von einem deutschsprechenden Emigranten empfangen wurden, der uns dann gleich in ein Hotel gebracht hat.
Albert Ramaj: Was waren das für Gefühle, an einen unbekannten Ort zu reisen?
Johanna Jutta Neumann: Meine Eltern wollten wohl nur aus Deutschland hinaus und hatten viele Schwierigkeiten auf sich genommen, alle Dokumente zur Ausreise zu bekommen. Alles zurückzulassen war sehr schwer.
Albert Ramaj: Hatten sie Angst, nach Albanien zu reisen?
Johanna Jutta Neumann: Für mich als achtjähriges Kind war diese Reise ein grosses Abenteuer. Ich habe mich auch sehr schnell eingewöhnt und bald auf der Strasse mit albanischen Kindern gespielt. Für Kinder ist das alles kein Problem. Ich glaube nicht, dass meine Eltern Angst hatten. Ich weiss nicht, was sie über Albanien in Deutschland erfahren hatten. Ich bin mir sicher, dass Albanien grosse Veränderungen im Leben meiner Eltern bedeutete. Aber das Einzige, was wichtig war, ist, dass wir in Albanien Schutz gefunden haben.
Albert Ramaj: Wie haben Sie Visa für Albanien bekommen?
Johanna Jutta Neumann: Ich weiss leider nicht, von wem meine Eltern erfahren hatten, dass Juden ein Visum für Albanien bekommen konnten. Ich erinnere mich nur, dass meine Mutter mit unserem Freund nach Berlin geflogen ist und dort das Visum für Albanien bekommen hat. Ich glaube mich zu erinnern, dass der albanische Konsul heiraten wollte und Geld für seine Hochzeitsreise in die Schweiz brauchte. Meine Eltern und unsere Freunde haben ihm das Geld gegeben, und seine Familie in Albanien hat uns das Geld zurückgegeben. Ich bin nicht ganz sicher, ob es sich nun wirklich so zugetragen hat. Ich war acht Jahre alt, und seither sind 68 Jahre vergangen.
Albert Ramaj: Sie meinen, dass der albanische Konsul in Berlin Ihnen das Visum nur wegen des Geldes erteilt hat?
Johanna Jutta Neumann: Ich glaube nicht, dass der albanische Konsul uns das Visum für Albanien gegeben hat, weil er Geld wollte. 1939 hatte König Zogu Order erteilt, jüdische Flüchtlinge ins Land zu lassen. Das Geld für seine Reise in die Schweiz war nur eine Nebensache.
Albert Ramaj: Haben viele Juden von den Visumsmöglichkeiten für Albanien gewusst?
Johanna Jutta Neumann: Ich denke nicht, dass die Möglichkeit, nach Albanien auszuwandern, vielen Juden in Deutschland bekannt war. Ich sage immer: Leider haben es nicht viele gewusst und getan. Viel mehr Juden hätten gerettet werden können, wenn sie in Albanien gewesen wären.
Albert Ramaj: Hatten Ihnen Ihre Eltern erzählt, dass Ihr Leben in Deutschland in Gefahr war?
Johanna Jutta Neumann: Wie die Situation in Hamburg war, und wie gross die Gefahr war, das konnte ich sogar als Kind leicht spüren. Ich durfte nicht mehr auf dem Spielplatz spielen, man konnte nicht mehr auf einer Parkbank sitzen, wir konnten nicht mehr in unsere Synagoge gehen! Am 9. November 1938 sind ja die meisten Synagogen in Deutschland und Österreich angezündet und vollkommen zerstört worden. Da gibt es keine Frage, ob man als Kind von der Gefahr wusste: Ja, wir haben alle in grosser Angst gelebt.
Albert Ramaj: Wie haben Sie sich für die Reise vorbereitet?
Johanna Jutta Neumann: Ich kann mich sehr gut an die Vorbereitungen für unsere Ausreise erinnern. Mein Vater hatte sehr viele Briefe und andere Erinnerungen von seinen Eltern, seiner Schwester und seinem Bruder, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Da er nicht viel mitnehmen konnte, musste er sehr vieles vernichten und hat es verbrannt. Das war alles sehr schwer für ihn. Dann kam es zum Packen: Da wir glaubten, dass wir nur für kurze Zeit nach Albanien reisen würden, packten meine Eltern nur einige Koffer für Albanien. Alles andere sollte in einem Container in einem Speicher im Hamburger Hafen aufbewahrt werden bis zu unserer Ankunft in New York. Das sollte nicht sein! Wir blieben sechseinhalb Jahre in Albanien. Meine Spielsachen und Bücher und vieles andere blieb in Hamburg. Als wir Deutschland 1939 verliessen, mussten meine Eltern alle Wertsachen abgeben: Schmuck, Silberbesteck und andere silberne Gegenstände. Unsere deutschen Pässe hatten ein grosses rotes “J“ für Jude auf der ersten Seite. Wir durften nur zehn Reichsmark pro Person mitnehmen. Noch nicht einmal unsere Schiffskarten von Bari nach Albanien durften wir in Hamburg bezahlen: Wir mussten in Italien warten, bis die Schwestern meiner Mutter uns Geld aus Amerika geschickt hatten, damit wir die Karten kaufen konnten.
Albert Ramaj: Können Sie uns Ihre Reise nach Albanien beschreiben?
Johanna Jutta Neumann: Unsere Abfahrt war sehr traurig, da wir meine Grossmutter zurücklassen mussten. Wir sind von Hamburg nach München gefahren, haben dort übernachtet und sind dann über den Brennerpass nach Bologna gereist. Als wir die Grenze überquerten, wurden meine Eltern von der deutschen Grenzpolizei aus dem Zug geholt. Sie mussten sich eine Leibesuntersuchung gefallen lassen. Sie kamen erst zurück, als der Zug gerade weiterfahren wollte. In Bologna wurden wir von italienischen Studenten am Bahnhof empfangen und eine Woche lang von der jüdischen Gemeinde und den Studenten beherbergt. Nachdem wir Geld von meinen Tanten aus Amerika erhalten hatten, sind wir nach Bari gefahren und von dort über Nacht nach Durrës. Ich glaube, wir sind am 1. März 1939 in Durrës gelandet. Durrës hatte damals nur einen kleinen Hafen und machte an diesem verregneten Morgen einen sehr tristen Eindruck. Wir wurden aber warm von anderen Emigranten empfangen und im Hotel Splendid untergebracht. Wir waren nun in Albanien!
Albert Ramaj: Ihre Mutter wollte in Durrës nicht von Bord gehen – weshalb?
Johanna Jutta Neumann: Es war ein kalter, regnerischer Morgen, und es gab nur eine Landungsbrücke. Dort lag ein grosser Haufen Holzkohle, der im Regen vollkommen nass geworden war, so dass alles schwarz war auf der Landungsbrücke. Es war ein sehr trauriges, deprimierendes Bild. Nachdem jemand, der Deutsch sprach, uns am Hafen abgeholt und uns im Hotel Splendid untergebracht hatte, war alles schon besser.
Albert Ramaj: Wie waren Ihre ersten Eindrücke von Albanien?
Johanna Jutta Neumann: Schon meine ersten Eindrücke von Albanien waren gut! Und das sollte dann auch so bleiben: ein freundliches, warmes und offenes Volk. Den gleichen Eindruck hatte ich jetzt so wie mein Mann und meine Tochter, als wir in Albanien waren.
Albert Ramaj: Und wie fühlten Sie sich in Albanien?
Johanna Jutta Neumann: Mit einem Wort: Es war wunderbar, sehr emotionell. Wir alle sind von der albanischen Bevölkerung mit offenen Armen aufgenommen worden. Die Leute waren alle ganz besonders nett und haben sich viel Mühe mit uns gemacht. Für mich als Kind war die Reise wie Albanien selber ein grosses Erlebnis, und ich hatte überhaupt keine Angst. Angst hatte ich erst, als 1943 die Deutschen Albanien besetzten. Für meine Eltern war es natürlich alles ganz anders. Mein Vater hatte seine Existenz verloren, hatte Familie und Freunde zurück gelassen und wusste nicht, was die Zukunft bringen würde.
Albert Ramaj: Waren Sie in den Gedanken bei Ihrer Grossmutter, die nicht mitkommen konnte?
Johanna Jutta Neumann: Albanien war damals in vieler Beziehung ganz anders als Deutschland. Wir dachten immer, dass es für Grossmutter schwer gewesen wäre, sich dort einzuleben. Natürlich wussten wir damals noch nicht, was sich in Deutschland entwickeln würde. Die Grossmutter ist noch 1940 nach Amerika gekommen.
Albert Ramaj: Hatte das Konsulat in Deutschland die albanischen Behörden über ihre Ankunft informiert?
Johanna Jutta Neumann: Ich nehme an, dass das albanische Konsulat in Berlin die Behörden in Albanien über unser Kommen informiert hatte. Wir hatten doch ein Visum für Albanien.
Albert Ramaj: Haben die albanischen Behörden in Durrës geholfen, eine Unterkunft zu finden?
Johanna Jutta Neumann: Damals lebten schon einige Emigranten in Tirana und in Durrës. Sie hatten ein grosses Haus in Durrës gemietet, die „Casa Shijaku“. Es war schon ganz voll, als wir angekommen sind. Wir wurden deshalb im Hotel untergebracht. Später wurde ein zweites Haus angemietet, wo wir dann auch 1939 von Mai oder Juni bis September wohnten. Ich glaube, dass das alles vom Joint, einer jüdischen Organisation aus den USA, arrangiert wurde, mit Erlaubnis der Albaner.
Albert Ramaj: Wie haben Sie die ersten Tage in Albanien verbracht?
Johanna Jutta Neumann: Nach unserer Ankunft in Durrës haben wir uns im Hotel Splendid eingelebt. Wir mussten jeden Tag mehrmals ins Emigrantenheim gehen, da wir alle zusammen dort gegessen haben.
Albert Ramaj: Können Sie sich noch an die anderen Juden dort erinnern?
Johanna Jutta Neumann: Ich erinnere mich sehr gut an fast alle anderen jüdischen Emigranten, die damals in Durrës lebten. Es waren nur österreichische und deutsche Juden im Heim. Ob es Juden aus anderen Ländern in Albanien gab, weiss ich nicht. Nachdem Jugoslawien von den Deutschen besetzt worden war, sind an die 2.000 Juden über die Grenze aus dem Kosovo nach Albanien gekommen. Es gab auch jüdische Familien aus Griechenland in Durrës, die dort ein grosses Stoffwarengeschäft hatten. Mit denen kamen wir ab und zu in Berührung.
Albert Ramaj: Wie war die Lage der Juden damals?
Johanna Jutta Neumann: Ich glaube, sie war gut. Alle hatten versucht, aus Europa hinauszukommen, bevor es zum Krieg kam. Aber sonst gab es keine Gefahr für die Juden, weder von Seiten der Albaner noch von Seiten der Italiener nach dem 7. April 1939. Unser Unterhalt wurde vom Joint bezahlt. Davon konnten wir wohnen und essen. Wir waren sehr, sehr dankbar, dass wir in Albanien Asyl gefunden hatten.
Albert Ramaj: Hatten Sie Kontakt zur albanischen Bevölkerung?
Johanna Jutta Neumann: Zu der Zeit kannten wir noch keine Albaner, und so waren die anderen Emigranten aus Österreich unsere wichtigsten Kontakte. Freundschaft mit albanischen Familien kam erst später. Wir Kinder haben aber oft mit albanischen Kindern auf der Strasse gespielt, auch wenn wir nicht miteinander sprechen konnten. Kinder haben ihre eigene Sprache. Als Kind will man alles so tun wie die anderen Kinder.
Albert Ramaj: Wie entwickelte sich das Verhältnis zu den Albanern?
Johanna Jutta Neumann: Schon im Hotel, wo wir die ersten paar Wochen gelebt haben, haben wir uns mit Albanern ausgetauscht. Jeder wusste, warum wir dort waren und dass die Zustände für Juden in Deutschland sehr schwierig waren. Alle waren gleich sehr freundlich und hilfsbereit. Wir haben bald auch eine albanische Familie kennengelernt. Die Frau kam aus Österreich, ich kann mich aber nicht mehr an ihren Namen erinnern. Meine Eltern hatten mit der Zeit viele Freunde. Als wir 1940 nach Berat kamen, wohnten wir bei einer muslimischen Familie. Immer wurden wir eingeladen. Wir waren dort zur Zeit von Ramadan und Bajram. Sie haben uns sogar zum G‘ttesdienst in die Moschee mitgenommen. Zu Bajram wurden wir mit Essen und Süssigkeiten beschenkt. Ich muss sagen, dass wir immer nur sehr gute und liebe Menschen in Albanien gekannt haben.
Albert Ramaj: Sie gingen in Albanien zur Schule. Können Sie Ihren Schulbesuch beschreiben?
Johanna Jutta Neumann: Ich war leider nur eine kurze Zeit in der Schule. Es war eine italienische Schule, die Lehrerinnen waren katholische Nonnen. Zusammen mit mir waren albanische Kinder in der Klasse – wir durften immer sitzen bleiben, wenn die katholischen Kinder ihr Morgengebet sprachen. Die Nonnen waren sehr gut, auch sie wussten, dass ich eine Jüdin war.
Albert Ramaj: Wie sind Sie und Ihre Eltern mit dem Leben in Albanien zurecht gekommen?
Johanna Jutta Neumann: Für mich als Kind war es ein Abenteuer, eine ganz andere Welt als die, an die ich gewöhnt war: ein neues Land, neue, unbekannte Menschen und so weiter. Aber Kinder leben sich schnell ein, und so war es auch. Ich spielte mit albanischen Kindern auf der Strasse und hatte so auch Albanisch gelernt. Für meine Eltern war es etwas anderes: Sie konnten weder Albanisch noch Italienisch, und ausserdem gab es keine Arbeitserlaubnis. Für sie war es sehr schwer gewesen, alles zu verlieren und eine lange Vergangenheit zurückzulassen. Die Familie meiner Mutter hatte seit über 200 Jahren in Hamburg gelebt. Von Seiten der Albaner wurden wir nur als Gäste behandelt und überall mit offenen Armen und inniger Freundschaft willkommen geheissen. Meine Eltern wollten aber ein neues Leben anfangen und nach Amerika fahren, wo wir Verwandte hatten.
Albert Ramaj: Konnten die jüdische Flüchtlinge etwas in Erfahrung bringen über das Schicksal anderer Familienmitglieder, die nicht nach Albanien mitgekommen sind?
Johanna Jutta Neumann: Ich weiss nur von einem Fall: Ein Mann war mit uns in Albanien, aber seine Familie, seine Frau und zwei oder drei Kinder wurden nach Polen abtransportiert. Soweit ich weiss, hat der Mann nie mehr etwas über seine Familie erfahren.
Albert Ramaj: Haben Sie oder Ihre Eltern etwas über die Vernichtung der Juden in den Konzentrationslagern gewusst?
Johanna Jutta Neumann: Wir wussten, dass es Zwangsarbeitslager gab, aber nichts von Vernichtungslagern. Wir wussten, dass Menschen in Ghettos deportiert wurden, aber nicht, was wirklich vorgegangen war. Als wir Albanien 1945 verlassen hatten, kamen wir in ein Lager für Vertriebene, wo wir die erste Überlebende aus den Konzentrationslagern getroffen haben. Das war besonders schwer.
Albert Ramaj: Wussten die Albaner über die Verfolgung der Juden in Europa?
Johanna Jutta Neumann: Natürlich wussten sie über die Verfolgung, denn deswegen waren wir ja in Albanien.
Albert Ramaj: Wie haben die Flüchtlinge über die Albaner gesprochen?
Johanna Jutta Neumann: Wir haben alle die Albaner hoch geschätzt! Sie haben uns Gastfreundschaft gegeben, sie haben ihr eigenes Leben und das ihrer Familien in Gefahr gebracht, indem sie uns Juden geholfen haben. Bis zum heutigen Tag können wir dem albanischen Volk nicht genug Dank aussprechen. Im Buch Umweg über Albanien [in englischer Fassung Via Albania, Anm. d. Autors] habe ich meine Geschichte aufgeschrieben, damit die Welt endlich hört, was Albanien und was die Albaner geleistet haben – was der Rest von Europa nicht getan hat.
Albert Ramaj: Wie war der Abschied von Albanien?
Johanna Jutta Neumann: 1945 war die Lage in Albanien schwer und ungewöhnlich. Wir bekamen die Erlaubnis, nach Italien zu fahren – das ist alles, woran ich mich erinnere. Nach sechseinhalb Jahren hatten wir endlich die Möglichkeit, unser Ziel Amerika zu erreichen. Mein Vater wollte endlich wieder arbeiten und ein normales Leben führen. Mit der Familie wieder vereint zu sein, war natürlich eine grosse Freude. Andererseits mussten wir viele gute Freunde zurücklassen, weshalb uns der Abschied sehr schwer fiel. Viele Leute waren nicht nur Freunde, sie waren auch unsere Retter – wir hatten viele Freunde, die uns geholfen hatten.
Albert Ramaj: Gab es ein Wiedersehen?
Johanna Jutta Neumann: Ich hatte eine besonders enge Freundin, Erika Përmeti Toptani, die ich nach 47 Jahren wiedergetroffen habe. Es war ein grosses Wunder, dass wir uns wiedergefunden haben. Ich habe sie in Triest besucht, und sie war bei uns hier in Washington. Wir haben oft miteinander telefoniert, aber leider lebt sie jetzt nicht mehr.
Wir durften immer sitzen bleiben, wenn die katholischen Kinder ihr Morgengebet sprachen. Die Nonnen waren sehr gut, auch sie wussten, dass ich eine Jüdin war.
Albert Ramaj: Wie haben Sie Albanien verlassen?
Johanna Jutta Neumann: Ein britischer Frachtdampfer hat uns in Durrës abgeholt und nach Brindisi gebracht. Wir wussten auch gar nicht, was mit uns geschehen sollte, nachdem wir in Italien gelandet waren. Wir kamen dann in ein Vertriebenen-Lager in Tricase Porto.
Albert Ramaj: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Albert Ramaj ist Leiter des Albanischen Instituts in St. Gallen (www.albanisches-institut.ch)
Literaturhinweis:
Johanna Jutta Neumann: Umweg über Albanien. Ein persönlicher Bericht. DAFG Verlag, Hamburg 2003, ISBN 3-925297-31-6 (Englisch: Johanna Jutta Neumann: Via Albania: A Personal Account. Eigenverlag, 1983 (4. Auflage 2010).