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„Ich fühle mich hier ganz wie Zuhause!“

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Jüdische Frauen, vertrieben aus Wien, Neuanfang in New York

Elfi Hartenstein: Jüdische Frauen im New Yorker Exil. 10 Begegnungen

Berlin: edition ebersbach 1999, unveränderte Neuauflage 2010

127 Seiten, gebunden, 19 S/W-Fotos

Euro 17,30 [A] | 16,80 Euro [D]

ISBN 978-3-86915-030-7

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Sie werden gerne übersehen, die tapferen jüdischen Frauen, die rechtzeitig oder im letztmöglichen Augenblick das für Juden zusehends unwirtlicher werdende Österreich verlassen, um in New York noch einmal ganz von vorne anzufangen. Da sie nicht den Bekanntheitsgrad einer Hannah Arendt, Rose Ausländer oder eines Albert Einstein, Lion Feuchtwanger oder Klaus Mann haben, werden sie schlichtweg übersehen und übergangen. Deshalb macht sich im Frühjahr 1991 die Autorin und Übersetzerin Elfi Hartenstein auf den Weg nach New York, um einige dieser Frauen, keine davon ein Heimchen am Herd, nach ihrem neuen Leben in New York zu befragen. Die Antworten sind vielfältig und mindestens genauso interessant wie die schon bestens bekannten Zeugnisse der „Prominenten": Ihre Kunst, ihre Arbeit ist ihnen wichtig, ja, bestimmt eigentlich ihr Leben, weshalb alle Interviewten ihren Beruf auch noch im Jahr 1991 ausüben, obwohl sie schon längst im Rentenalter sind und sich zu einem Kaffee und Kuchen mit den Freundinnen treffen könnten. Aber dann hätten sie sich oder anderen kaum etwas zu sagen, wie eine von ihnen über ein in einem Wiener Café überhörten Gespräch zweier Damen in ihrem Alter berichtet. Die Psychotherapeutin Alexandra Adler, Jahrgang 1901, Tochter des österreichischen Individualpsychologen Alfred Adler, behandelt als Hartenstein sie 1991 in New York besucht, immer noch einen festen Stamm von PatientInnen. Kochen hat sie dagegen nie gelernt. Für sie gibt es keine Heimat mehr, die Arbeit ist ihre Heimat. Die bildende Künstlerin Käthe Berl, Jahrgang 1908, hat, wie sie sagt, nie ein Flüchtlingsleben geführt. Schnell findet sie Anerkennung, zuerst in London, später in New York. Von Anfang an fühlt sie sich nicht als Österreicherin, sondern als Emigrantin mit US-amerikanischem Pass. Anders verhält sich dagegen Amalia Elberger, Jahrgang 1913. Sie ist Geschäftsfrau, die den grössten Ausstattungsbetrieb für Freimaurer in den USA betreibt. Seit 1967 pflegt sie ihre Kontakte zu Österreich, in das sie zwei- bis vier Mal im Jahr zu einem Besuch fährt. Aber zurückkehren? Nein, das kann auch sie sich nicht vorstellen. Für Lisa Frank, Jahrgang 1903, die sich als religionslos und heimatlos betrachtet, ist es ein Schock, dass ihr dazu noch alle Kultur abgesprochen wird. Beinahe notgedrungen wird sie Bibliothekarin, denn schon ihr Vater ist Direktor der Wiener Universitätsbibliothek und bis zum „Anschluss" 30 Jahre lang im Unterrichtsministerium für das österreichische Bibliothekswesen zuständig. Mimi Grossberg, Jahrgang 1905, ist die eine Schriftstellerin. Sie schreibt seit 1933; nach dem Krieg findet sie Anerkennung auch wieder in Österreich. Für sie hat sich alles so ergeben: die Arbeit, der Ehemann, die Auswanderung und eben das Schreiben. Aber: zurück in die alte Heimat? Ja, wo denn? Stella Hershan, Jahrgang 1915, hat ein Buch über Eleanor Roosevelt  geschrieben und über ihr Engagement für Emigranten, trotz der Ablehnung von Flüchtlingen in der breiteren Gesellschaft. Zurück nach Österreich? In ihrem Bekanntenkreis hat das niemand getan, und es wäre auch charakterlos gewesen, wie sie meint. Schon mit elf Jahren gibt die Pianistin Erna Jonas, Jahrgang 1906, ihr erstes Konzert. Später hat sie als Pianistin Erfolg. Um ein Affidavit für die USA zu bekommen, sucht sie in der amerikanischen Botschaft in Wien im New Yorker Telefonbuch nach Namensvettern, weil sie selbst keine direkten Verwandten in den USA hat. Sie schreibt die Menschen an und bekommt drei oder vier Affidavits. Sie schafft es nach New York, und praktisch von Anfang an verdient sie sich ihren Lebensunterhalt als Klavierlehrerin selbst, an ihren Erfolg als Konzertpianistin kann sie nicht anknüpfen. Die hier vorgestellten Frauen, haben allesamt Heimat, Freunde, oft genug die gesamte Familie verloren, sie sind dennoch der Meinung, andere hätten viel Schlimmeres erlebt. Interessant ist, ganz nebenbei bemerkt, dass für alle zehn Frauen, die in diesem Buch zur Sprache kommen, ihr Judentum nicht die geringste Rolle spielt - obwohl sie auswandern mussten, weil sie Jüdinnen sind. Dieses Buch über jüdische Frauen im New Yorker Exil offenbart eine weitere Facette der Verfolgung jüdischer Menschen und deren Umgang damit. Aufschlussreich und lesenswert! Und sehr zu empfehlen!