Am 2. Dezember 1995 starb in London der aus Gmunden stammende Zeichner, Maler, Werbegrafiker und Erfinder Hugo Dachinger. 20 Jahre Abstand, eine weitere Generation, sind ein guter Anlass, um die Geschichte eines bemerkenswerten Menschen und Künstlers zu erzählen - und seinen Einfluss auf den offiziellen Umgang mit der Zeitgeschichte.
Hugo Dachinger mit seinem Freund Erich Fried im August 1988 in Gmunden, Bildquelle: Archiv der Salzkammergut-Zeitung
Vertreibung
Hugo Dachingers Eltern, aus Galizien zugezogene Juden, Teil einer in Gmunden lebenden Grossfamilie, wollten, dass ihr Sohn so wie der Vater Textilhändler werden sollte. Doch Hugos Herz gehörte der Kunst. Schon mit 19 Jahren verkaufte er Radios, um Geld für den Besuch der Kunstschule in Leipzig aufzutreiben. Dort, wo ihn unter anderen Bauhaus-Künstler unterrichteten, stockte er seine Finanzen mit Kinderporträts auf, die er im Park zeichnete und verkaufte.
Zurück in Österreich, arbeitete er als Werbegrafiker und Auslagendekorateur grosser Kaufhäuser. Er erfand ein dem „Letraset" ähnliches Beschriftungssystem für Auslagen und liess es als „Reklamograf" patentieren. Ein grosser Wiener Verlag engagierte ihn und schickte ihn in diverse europäische Hauptstädte. Dachinger hielt sich gerade in Warschau auf, als er im März 1938 vom Einmarsch der Hitler-Truppen erfuhr. Sofort entschloss er sich über Dänemark nach England zu emigrieren.
In Gmunden hatte er zuvor schon durch besondere Gehässigkeit deutlich zu spüren bekommen, dass Unheil drohte. Als die Nazis auch dort an Einfluss gewannen, hatte ihn der Gmundner Schwimmklub, für den Hugo als junger Kunstspringer mehrere Preise geholt hatte, seiner Abstammung wegen ausgeschlossen.
Hugo Dachinger: One World in a Million, Öl auf Leinwand, 1943. Foto: Galerie Martin Suppan
Durchbruch mit Kunst hinterm Stacheldraht
In London konnte der begabte Grafiker zunächst noch eine Werbefirma gründen, doch bald steckten ihn die Briten in ein Internierungslager für „feindliche Ausländer". Aus der Zeit dort sind Arbeiten erhalten geblieben, die heute als bewegende zeitgeschichtliche Dokumente gelten. Mit Pinseln, die er aus Haaren bastelte, und Farben, die er aus Gras, Erde und Rinderknochen kochte, bannte Hugo Dachinger Szenen aus dem Lagerleben auf Zeitungspapier.
Die Blätter weckten das Interesse des Lagerleiters Timothy Eden. Dieser - übrigens ein Bruder des späteren Premiers
Anthony Eden - verhalf ihm 1940 schliesslich zur Freilassung. Es waren auch diese Arbeiten - als „Art Behind Barbed Wire" in der Londoner Redfern Gallery ausgestellt -, die ihm schon 1941 einen künstlerischen Durchbruch ermöglichten.
„Puck" & Gmunden:
Alte Liebe rostet nicht
Hugo Dachinger war privat, unerkannt und unbekannt schon seit den 1950er Jahren samt seiner Familie viele Sommer zurück an den Traunsee gekommen. Auch seine Freunde nannten ihn hier „Puck". Den Kosenamen hatte ihm seine Frau Meta gegeben. Er stammte vom Kobold aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum" und war an Treffsicherheit nicht zu überbieten, denn der stille, kleine Mann blieb immer gütig und liebenswürdig, schlimmstenfalls redete er ironisch und verschmitzt. Er hielt seiner Heimatstadt bis zu seinem Tod die Treue und verzichtete auf jegliche Wiedergutmachung. Seine liebende Einstellung zum Leben bewirkte auch in der Stadt, deren Menschen ihn vertrieben hatten, eine nachdenkliche, kritische Rückbesinnung.
Es ist der Netzwerkarbeit des Gmundner Historikers Dr. Heinrich Marchetti und des Bäcker-Ehepaares Alois und Edeltraud Födinger zu verdanken, dass die Liebe, die Hugo Dachinger immer für seine alte Heimatstadt empfand, dort wieder Gegenliebe wachrief.
Anfang der achtziger Jahre fädelte Heinrich Marchetti erste Ausstellungen in örtlichen Banken ein. Sie und Rezensionen in der regionalen Presse leiteten die Wiederentdeckung des Malers ein, die 1988 - 50 Jahre nach seiner Vertreibung - in einer grossen Personalausstellung im Kammerhofmuseum gipfelte. Die Vernissage bleibt unvergesslich, denn kein geringerer als der grosse Lyriker Erich Fried hielt die Laudatio. Ihn verband mit Dachinger über die Schicksalsgemeinschaft hinaus eine tiefe Freundschaft, gereift im Londoner Exil.
Der Ehrenbürger
Die grösstmögliche Ehre erwies das offizielle Gmunden dem damals 85-Jährigen im Mai 1993. In einer Festsitzung des Gemeinderates verlieh ihm die Stadt den Rang eines Ehrenbürgers.
Die Stadt zeigte damit deutlich Flagge, denn Gmunden war in den Jahren zuvor unrühmlich in die Schlagzeilen und in den Verdacht geraten noch immer ein braunes Pflaster zu sein. Das Begräbnis des Kriegsverbrechers Walter Reder hatte 1991 hier stattgefunden und war zu einem Aufmarsch der Ewiggestrigen und Revisionisten geworden. Und erst ein Jahr vor der Ehrenbürgerfeier für Hugo Dachinger hatten Gmundner Neonazis aus den Reihen der VAPO einen Brandsatz in ein Aslywerberheim im nahen Traunkirchen geschleudert.
Kunstgeschichtlicher Rang
Im Londoner Künstlerviertel Hampstead, wo er über Erich Fried und den Österreicher-Klub bedeutende Zeitgenossen wie Paul Hamann und Kurt Schwitters kennen lernte, wurde „Puck" über die Jahrzehnte hin zu einer Institution. Mit Zeichenblock und Feder verbrachte er viele Tage als stiller Beobachter in Kaffeehäusern, um mit knappen Strichen Menschen zu porträtieren und den Augenblick einzufangen.
Seine ansatzweise abstrahierende, sich verspielt schlängelnde Linienführung, die auch seinen Aquarellen und Gemälden Form und Dynamik gibt, und die immer im Flächigen und Dekorativen bleibende Figürlichkeit seiner Collagen und Akte weisen ihn als grossen Vertreter der klassischen Moderne aus.
Die Modern Art Gallery und andere Galerien des Londoner West End stellten seine Arbeiten neben jenen von Kurt Schwitters, Max Ernst, Andre Masson, Oskar Kokoschka und Pablo Picasso aus. So viel zu seinem internationalen Rang, den in Österreich bis heute nur wenige wahrnehmen. Grosse Ausnahme: Die Wiener Galerie Martin Suppan widmete Dachinger zuletzt 2007 eine Einzelausstellung samt Monografie mit Werkübersicht und plant gerade für Februar 2016 eine weitere Schau im Palais Coburg in Wien. Suppan verwaltet auch den künstlerischen Dachinger-Nachlass.
Gmunden und die Juden
Die Geschichte „Puck" Dachingers war und ist für Gmunden auch ein Anstoss, sich seine einstige jüdische Gemeinde in Erinnerung zu rufen. Deren Auslöschung und Vertreibung war den National-sozialisten leider nachhaltig gelungen. In der Stadtchronik legt das der Gmundner Historiker Heinrich Marchetti ausführlich und schmerzhaft dar. Unter Berufung auf Marchetti beschäftigen sich auch die AHS-Geschichte-Professoren Holger und Eckhard Höllwerth in ihrem 2012 erschienenen Zeitgeschichte-Band noch einmal damit.
Von den 125 jüdischen Bürgern, die Mitte der dreissiger Jahre hier lebten, hat sich nach Kriegsende kein einziger wieder hier niedergelassen. Nur 56 hatten den Krieg überlebt, 32 waren im KZ oder einer Euthanasieanstalt ermordet worden.
Heute erinnert nur noch der verwaiste, kleine jüdische Friedhof an sie, der als Denkmal gepflegt wird. Er war von den Nazis verwüstet und nach dem Krieg wiederhergestellt worden. Die letzten Bestattungen fanden zwischen 1945 und 1948 statt. Dabei handelte es sich um ehemalige KZ-Häftlinge, die - todkrank von den Qualen des Lagerlebens - nach ihrer Befreiung aus dem 15 km entfernten Lager Ebensee hier gestorben waren.
Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung J. Aigner.
Quellen:
Dr. Heinrich Marchetti, Gmundner Chronik von Karl Piringer, S. 429ff
H. & E. Höllwerth: „Gmunden 1918 - 1945. Eine Stadt in schwierigen Zeiten", „S. 211 - 216, S. 149 - 149, S. 325 - 334
Salzkammergut-Zeitung 39/87; 34/1988; 50/1995, S 28; OÖN 21. 6. 2001
Erich Fried: Zur Dachinger-Ausstellung 1988
Zum Autor: Josef Aigner (56), früher Redakteur der Salzkammergut-Zeitung, ist für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtgemeinde Gmunden zuständig. Er war mit „Puck" Dachinger persönlich bekannt.