Ausgabe

Acht und neunzig Seiten. Erinnern an die Mutter

Tina WALZER

Content

In ihrer Ausstellung Acht und neunzig Seiten zeigte die Künstlerin Eva Beresin  vom 11. September bis zum 10. Oktober 2015 in der Wiener Galerie Charim Werke, die aus der Auseinandersetzung mit dem Tagebuch ihrer Mutter entstanden sind: Bilder, Stoffe, Schiwa-Hocker.

 

DAVID: In Ihrer jüngsten künstlerischen Arbeit setzen Sie sich mit handschriftlichen Notizen Ihrer seligen Mutter  auseinander.

Eva Beresin: Das Heftchen war immer ein Reiz. Man wusste, man kennt die Handschrift, aber sie ist so verblasst, man kann sie nicht lesen. Es ist wie ein Muster. Du weisst, Deine Mutter wurde deportiert. Du weisst, worum es in dem Heft geht. Die Botschaft meiner Mutter an mich aber war Zeit ihres Lebens, nicht darüber sprechen: „Es ist Vergangenheit."

 h107_0021

DAVID: Wie hat sich aus dem Studium des Heftchens Ihr Projekt Acht und neunzig Seiten entwickelt?

Eva Beresin: Im Laufe der Lektüre und Recherchen  habe ich für mich noch andere Aspekte entdeckt - den Entwurf eines  Stoffes, den sie in der Kunstschule Anfang der 1940er Jahre gemacht hatte, Fotos aus ihrer heilen Welt, noch aus 1943.

 

DAVID: Wie und zu welchem Eindruck finden sich diese Elemente zusammen?

Eva Beresin: Zuerst habe ich den Text eingescannt, dann elektronisch bearbeitet, sodass die Konturen der Schrift  sichtbar wurden. Nachdem ich aber den Text so noch immer nicht lesen konnte, druckte ich die Blätter aus und fing an, die Buchstaben, Silben und Sätze zu überschreiben. Nächtelang habe ich wie besessen gearbeitet. Mein Ehemann sagte immer dazu: „Du sitzt schon wieder Schiwa". Es ist tatsachlich eine Trauerarbeit, die den Aspekt der Malerei beinhaltet. Die Idee zu einer Veröffentlichung kam dann als logische Folge. Hier haben mir Familie und Freunde mit dem Übersetzen des Texts aus dem Ungarischen ins Deutsche sehr geholfen. Schliesslich ist, mit einer wirklich grosszügigen Unterstützung der Initiative Respekt, das Buch entstanden und im Verlag für moderne Kunst erschienen.

 h107_0020

DAVID: Wie kam es zur Ausstellung?

Eva Beresin: Der Text war sehr inspirierend, ich habe monatelang gemalt. 40, 50 Arbeiten sind so entstanden. Es war ein Versuch, die Eindrücke des Tagebuches irgendwie in Bilder zu fassen, das nicht Darstellbare  darzustellen. Ich habe dann Miryam Charim und Kurt Klader von der Galerie Charim  meine Arbeit  gezeigt. Sie haben das so interessant gefunden, dass sie mich  baten, ich solle ein Konzept zu einer Ausstellung entwickeln. Der nächste Schritt war, die vielen Elemente zusammenzufügen: die Schrift, eine Publikation, die Fotos,  und gemalte Arbeiten. Und einen Stoffentwurf . Meine Mutter hatte  eine Kunstschule in Budapest besucht, und nur ein einziger, von ihr mit der Hand gemalter, 10x10cm grosser Entwurf ist übrig geblieben. Ich entwickelte daraus einen Rapport und habe mit Hilfe  von Frau Mag. Melitta Rivers von Vienna Fabrics (ehemalige Firma Backhausen) den Stoff produzieren lassen - man kann ihn jetzt bestellen! Dadurch, dass Mirjam Charim die Ausstellung für mich möglich gemacht und meine Arbeiten gezeigt hat, hat das Projekt einen würdigen Rahmen bekommen, worauf ich sehr stolz bin.

 

DAVID: Sie haben also auch etwas zum Leben erweckt, was sich die Mutter immer gewünscht hat, und woraus in ihrem Leben nichts geworden ist?

Eva Beresin: Genau! Sogar in mehrfacher Hinsicht.  Erstens sah sie meine Zukunft als Künstlerin und förderte mich dabei stark. Ich glaube, sie wäre sehr glücklich, zu sehen, dass doch etwas in dieser Richtung mit mir geschehen ist. Zweitens natürlich, was diesen Stoffentwurf betrifft: Ich habe mich entschieden, den Stoff als Möbelstoff zu machen, für ein selbst entwickeltes Möbelstück - einen „Schiwa-Hocker" - etwas, das eigentlich nicht existiert - einen tragbaren Klapphocker. Meine Mutter wusste damals, als sie ihre Notizen schrieb nicht, ob ihr Vater, ihr Bruder, ihr Verlobter noch am Leben sind: Ich habe also drei Hocker gemacht für diese drei wichtigsten Menschen im Leben meiner Mutter. Dreissig Personen aus ihrer Familie sind ums Leben gekommen in der Shoa.

 

DAVID: Sie haben das Schicksal Ihrer seligen Mutter künstlerisch verarbeitet. Ist das etwas Neues für Sie?

Eva Beresin: Rückblickend und im Unterbewusstsein haben meine gemalten Geschichten immer schon etwas damit zu tun gehabt, es ging immer um das Gleiche: Angst, alleine zu sein. Verlustängste. Einsamkeit. Schmerz. Die Arbeit am Schicksal meiner Mutter war eine Befreiung. Ich habe überlegt - was will ich für die Ausstellung zeigen? Da haben mir schliesslich die teilweise neu entdeckten wunderschönen Schwarz-Weiss-Fotos geholfen. Sie stammen aus 1943, Europa war im Vollbrand. In Ungarn aber konnten Juden noch so leben! In weissen Kleidern, schick anzusehen. Da habe ich gewusst: so will ich meine Mutter darstellen. Das ist eine gewisse Befreiung. Eine riesige Freude! Es macht stolz, dass dann so etwas entsteht, und vor allem, dass ich es mit so vielen Menschen teilen darf.

 h107_0022

DAVID: Die Ausstellung zeigte ein Gesamtkunstwerk aus Raum, visuellen sowie haptischen Eindrücken. Woraus haben sich die einzelnen Elemente für Sie ergeben?

Eva Beresin: Die Ausstellung selbst war eine In-stallation, eine Art Salon, etwas Intimes. Ein zweigeteilter Raum, mit einer Nische zum Eingang hin, und Stoff auf einer vierzehn Meter langen Wand. Die Arbeiten habe ich auf den Stoff gehängt. Es war faszinierend zu erleben, wie gut die Bilder und der Stoff miteinander funktionierten. Dann gab es die Schiwa-Hocker, und halb abgedeckte Spiegel: das sollte die unbewusste Trauer während ihrer „Reise" symbolisieren. Meine Mutter schreibt über ihren Alltag: „Erst wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, beginnst Du weiter zu denken." Ihre Schilderungen sind so banal, und gerade darin so grundsätzlich. Ich glaube auch, dass es für meine Familie viel bedeutet hat, diese Arbeit zu machen, vor allem für meine Schwester und meine Nichten - sie hatten einen sehr engen Zugang zu meiner Mutter.

 

DAVID: Ihre selige Mutter bleibt in dem Projekt quasi anonym - was sind Ihre Gründe für diese Entscheidung?

Eva Beresin: Den Namen meiner seligen Mutter habe ich bewusst nicht betont. Die ungarischen Juden teilten alle das gleiche Schicksal. Zuerst das Lager, im Mai. Im Juni, Juli dann bereits die Deportation nach Auschwitz. Es war für alle, alle, ein und dasselbe Schicksal. Diese Fotos sind genauso wie jene tausender anderer Familien, die das Gleiche erfahren mussten: sie zeigen den Alltag.

 

DAVID: Was geschieht nun mit den einzelnen Ausstellungsobjekten?

Eva Beresin: Meine Arbeiten möchte ich natürlich weiter herzeigen. Man kann sie ebenso kaufen wie die Hocker, den Stoff oder den Katalog.

 

DAVID: Gibt es schon neue Pläne, Vorhaben? Wie werden Sie nun weitermachen?

Eva Beresin: Mein nächstes Projekt ist ebenfalls eine Zeitreise, ins Ungarn der 1970er Jahre. Ich sammle gerade Material, es war eine eigenartige Zeit: Anfang der 1970er Jahre in Ungarn. Nach dieser Geschichte bist Du dann in einem kommunistischen Land - wieder eingesperrt, aber diesmal schön verpackt. Eine Subkultur hat sich entwickelt. Ich war Jüdin, eine angehende Künstlerin. Wir haben dort in einer Art Blase gelebt, in der Subkultur eines von der Regierung quasi hineingeschmuggelten Kapitalismus. Rückblickend finde ich, das war eine irrsinnig tolle, spannende Zeit!

 

DAVID: Viel Erfolg mit Ihrem neuen Projekt, und danke für das interessante Gespräch!

Eva Beresin wurde 1955 als Tochter von Holocaust-Überlebenden in Budapest geboren. Ihr Vater war leidenschaftlicher Kunst- und Antiquitätensammler, sodass sie sich von Kindesbeinen an für Kunst, besonders für Malerei, interessierte und mit unterschiedlichen Medien experimentierte. Nach Besuch und Abschluss der Kunstschule in Ungarn erfolgte die Übersiedlung nach Wien, wo Beresin heute lebt und arbeitet.

Einzelausstellungen:

2002 Wien Expression

2002 New Jersey Expression

2003 Wien beSichter

2003 Wien Perspektive

2004 Wien beSichter2

2005 Wien neue Bilder

2008 Wien Flachwaren

2015 Acht und neunzig Seiten

 

Die Arbeiten, der Stoff und die Schiwa-Hocker sind zu kaufen bei: Galerie Charim, 1010 Wien, Dorotheergasse 12/1, T +43 1 512 09 15; Kontakt: charim@charimgalerie.at

 

Katalog: Eva Beresin: Acht und neunzig Seiten. Wien: Verlag für Moderne Kunst 2015. ISBN: 978-3-903004-58-0