Am 11. März 1938 wurde folgender Befehl des Bezirksgendarmeriekommandos Gänserndorf ausgerufen:„11. März 1938: Heil Hitler!!! Endlich frei! Ein Volk, ein Reich, ein Führer!"1 Mit der Unterzeichnung des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938 in Linz kam es ebenso in Niederösterreich zur Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Berta Löbl, die Mutter von Alfred Löbl.
Der Jurist Dr. Roman Jäger übernahm die Funktion des Landeshauptmannes und die Landesräte wurden durch Nationalsozialisten ersetzt. Am gleichen Tag wurde Josef Bürckel mit der kommissarischen Leitung der NSDAP und der Vorbereitung der Volksabstimmung für den 10. April 1938 von Hitler beauftragt.2 Folgende Frage war zu beantworten: „Bekennst du dich zu unserem Führer Adolf Hitler und damit zu der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich?" In der niederösterreichischen Gemeinde Hohenau an der March ergab sich bei der Volksabstimmung folgendes Verhältnis: Ja-Stimmen 2337, sieben Neinstimmen und drei ungültige Stimmen. Somit stimmten 99,57% der Hohenauer für den „Anschluss". Für die jüdische Bevölkerung in Niederösterreich beziehungsweise im politischen Bezirk Gänserndorf war die Machtübernahme der Nationalsozialisten ein gewaltiger Einschnitt in ihre Lebensbedingungen. Es begann ein nicht enden wollender Terror, wobei Nationalsozialisten in jüdische Häuser, Wohnungen, Geschäfte und Betriebe eindrangen und Geld, Schmuck, Wertpapiere sowie Autos beschlagnahmten.3 Nicht nur jüdische Einrichtungen und Geschäfte waren von Wut, Hass und Terror betroffen, sondern auch jüdische Friedhöfe wurden geschändet. Bereits in diesen Märztagen des Jahres 1938 kam es zu ersten Übergriffen und in den grösseren Dörfern entstanden Reibpartien. Die Juden wurden seitens des NS-Regimes als fremd, minderwertig und rachsüchtig dargestellt.4 Die Verfolgung, der Terror und die Diskriminierung erreichten in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 mit dem Novemberpogrom einen weiteren Höhepunkt. Es kam zu Massenverhaftungen und zu Zerstörungen von Synagogen und jüdischen Bethäusern.
Max Löbl, der Vater von Alfred Löbl.
Eine weitere Phase der Judenverfolgung bildete die sogenannte Arisierung jüdischen Vermögens. Hier handelt es sich um den Vermögensentzug, um den verbrecherischen Raub an jüdischem Eigentum. Der Terminus „Arisierung" geht aus den antisemitischen Strömungen der 20er Jahre hervor. Im engeren Sinn wird der gewaltsame Übergang von jüdischem Eigentum in „arischen" Besitz verstanden, im weiteren Sinn bezeichnet die „Arisierung" den Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung und der Existenzvernichtung der Juden.5 Ein wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Arisierungspolitik war die Liquidierung und Stilllegung zahlreicher jüdischer Betriebe, dabei waren Einzelhandel und Handwerk sehr stark betroffen. Durch die Auflösung oder Übernahme der jüdischen Betriebe sollte die rückständige ostmärkische Wirtschaft angekurbelt werden. Diese Massnahmen wurden später durch zahlreiche Arisierungsgesetze gestützt. Die „Arisierung" (auch „Entjudung" genannt) erfolgte in mehrere Phasen. Anfänglich kam es zu „wilden Arisierungen", später zu organisierten legalen Übergaben, schliesslich folgten verschärfte Zwangs-"Arisierungen". „Arische" Kommissare überwachten dabei die Plünderungen bzw. die planlosen Zerstörungen.
Alfred Löbl als KZ-Häftling in Auschwitz.
Ein Beispiel dazu war das Schicksal der Familie Max und Berta Löbl aus Hohenau an der March (Niederösterreich). Max und Berta Löbl, wohnhaft in Hohenau an der March, besassen je zur Hälfte die Liegenschaft E.Z. 2032, Grundbuch Kat. Gemeinde Hohenau. Die Familie Löbl wohnte in der Hauptstrasse Nummer 9, wo sie eine Schlosserei und Eisenhandlung betrieb. Das gesamte Vermögen wurde mit einem Gesamtwert von 29.624,94 RM in der Vermögensanmeldung vom 15. Juli 1938 dokumentiert. Da der jüdische Besitzer Max Löbl sich weigerte, sein Haus und sein Geschäft zu verkaufen, wurde im Rahmen der „Arisierung" das Reichswirtschaftsministerium in der Sache „Löbl" aktiv und veranlasste eine „Zwangsentjudung". Schliesslich wurde die Liegenschaft am 12. November 1942 um den Kaufpreis von 21.000 RM an die Familie Karl und Theresia Ziegelbecker aus Rabensburg verkauft. Max Löbl wurde am 14. September 1942 nach Maly Trostinec deportiert und vier Tage später dort ermordet.6 Im Herbst 1939 musste Alfred Löbl, der Sohn von Berta und Max Löbl, sein Geschäft und sein Haus verlassen. Er wurde nach Wien gebracht und später nach Auschwitz deportiert. Im KZ Auschwitz deklarierte er sich als Schlosser und Mechaniker, reparierte die Fahrzeuge der Offiziere. Auf diese Weise konnte Alfred Löbl sein Leben retten und in seine Heimat zurückkehren.7
Schlosserei und Eisenhandlung in Hohenau an der March, Hauptstraße Nr. 9, Besitzer: Berta und Alfred Löbl.
Die Vertreibung der Juden aus Niederösterreich erfolgte regional unterschiedlich. In den grenznahen Gebieten, wie zum Beispiel Hohenau an der March, wurden sie oftmals unter Druck gesetzt und aus dem Land ausgewiesen. In Hohenau an der March mussten die ca. 70 jüdische Familien ihre Heimat verlassen, wurden nach Wien in Sammellager und später weiter in Konzentrationslager deportiert. Mit den gross angelegten Deportationen und der Vernichtung in den Konzentrationslagern schliesst sich der grausame Kreis der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie.
Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung T. Gaida.
1 Befehl des Bezirksgendarmeriekommandos Gänserndorf vom 11. März 1938, 20:30 Uhr. In: 1938 in NÖ. Wanderausstellung der VHS Gänserndorf.
2 vgl. Bezemek Ernst: Zur NS-Machtübernahme in Niederösterreich. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. Hg. Verein für Landeskunde von Niederösterreich. Wien. 1985. S.190f.
3 vgl. Lind Christoph. „...sind wirdoch in unserer Heimat als Landmenschen aufgewachsen...". Der Landsprengel der Israelitischen Kultusgemeinde St. Pölten: Jüdische Schicksale zwischen Wienerwald und Erlauf. Linz. 2002. S. 39ff.
4 Ebd., S. 17.
5 vgl. Bajohr Frank: Arisierung als gesellschaftlicher Prozess. Verhalten, Strategien und Handlungsspielräume jüdischer Eigentümer und arischer Erwerber. In: Arisierung im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis. Hg. Fritz Bauer Institut. Frankfurt. 2000. S. 15.
6 Gaida Thomas: „...die Bewilligung zur Zwangsentjudung erteilt". Jüdischer Besitz- und Vermögensentzug im grenznahen Raum Niederösterreichs und der Slowakei. Wien. 2014. S. 145f.
7 Ebd., S. 85f.