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Wilhelm Fraenkel (1844-1916)

Ursula PROKOP

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Heuer begehen wir das 150-jährige Jubiläum der Wiener Ringstrasse, deren erster Abschnitt im Mai 1865 von Kaiser Franz Josef feierlich eröffnet wurde. Noch heute bewundern wir die Monumentalbauten, die prachtvollen Palais und gedenken der grossen Ringstrassenarchitekten, wie Theophil Hansen, Friedrich von Schmidt und anderer mehr. Während bei den Bauherren die wichtige Rolle zahlreicher prominter Juden gewürdigt wird, wie der Todesco, Ephrussi und Epstein, ist hingegen der Umstand, dass auch jüdische Architekten  mitgewirkt haben, nahezu unbekannt. Darunter Wilhelm Fraenkel, der wahrscheinlich der erste in Wien tätige jüdische Architekt überhaupt war.

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Porträt Wilhelm Fraenkel, um 1868. Quelle: Österr. Ing. u. Architektenverein.

Wilhelm Fraenkel kam - wie die meis-ten Wiener - von auswärts. 1844 in Oberglogau (heute Glogowek, Polen) geboren, stammte er aus dem so genannten Oberschlesien, das damals zu Preussen gehörte.1 Bereits seit dem Mittelalter gab es in der kleinen Stadt, die zu dieser Zeit rund 4.000 Einwohner hatte, eine jüdische Gemeinde. Im Gegensatz zur Donaumonarchie wurde den Juden in Preussen jedoch bereits 1812 völlige bürgerliche Gleichstellung gewährt, 2 was zu einem kulturellen Aufblühen und zu einem erstarkten Selbstbewusstsein der der dort ansässigen Judengemeinden führte. Diese Gegebenheiten reflektiert in gewisser Weise auch die Biografie Fraenkels. Als  Sohn eines Schnittwarenhändlers geboren, war die Familie offenbar bereits so gut situiert, dass der junge Wilhelm an die königliche Bauschule nach Breslau (Wroclaw) gehen konnte, um danach in Berlin an der Deutschen Bauakademie  - damals eine der renommiertesten Ausbildungsstätten überhaupt -  Architektur zu studieren. Genaue zeitliche Angaben über seine Studienzeit haben wir nicht, allerdings könnte die 1864 von ihm errichtete kleine Synagoge in Oberglogau ein Hinweis dafür sein, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits sein Studium abgeschlossen hatte.3 Gegen Mitte der Sechzigerjahre kam Fraenkel nach Wien. Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können. Die Stadt war in diesen Jahren infolge des fieberhaften Ausbaus der Ringstrasse von einem Bau- und Wirtschaftsboom sondergleichen geprägt. Fraenkel trat als Praktikant in das Baubüro von Karl Tietz ein, das damals eines der grössten der Stadt überhaupt war. Sicherlich hat bei der Wahl des Ateliers auch der Umstand eine Rolle gespielt, dass Tietz, gleichfalls aus Preussen stammte und sich die beiden daher höchstwahrscheinlich noch aus ihren Berliner Jahren kannten. Darüber hinaus war Tietz in Wien bestens vernetzt und mit Theophil Hansen einem der massgeblichsten Ringstrassenarchitekten eng befreundet, so dass sein Atelier die besten Aufstiegsmöglichkeiten für einen jungen Architekten bot.

Bereits 1868  machte sich Fraenkel, nachdem er auch die Baumeisterkonzession erworben hatte, selbständig. Gerade zu diesem Zeitpunkt hatten die Juden in der Habsburgermonarchie erst die völlige bürgerliche Gleichstellung erhalten und damit auch die unbeschränkte Möglichkeit an den Akademien und Universitäten zu studieren, was bis dahin nur vereinzelt der Fall gewesen war. Das heisst, es gab damals nur ganz wenige Architekten jüdischer Herkunft in Wien und noch viel weniger Baumeister, da die strikt reglementierte Baumeisterinnung zünftisch organisiert war und sich der Aufnahme von Juden die längste Zeit entgegengestellt hatte. Somit war Fraenkel mit grosser Wahrscheinlichkeit der erste in Wien tätige jüdische Baumeister überhaupt. Noch im selben Jahr trat er auch dem renommierten „Ingenieur- und Architektenverein" bei. Ein ungefähr aus dieser Zeit stammendes Porträtfoto zeigt einen eleganten, modisch frisierten jungen Mann voller Selbstbewusstsein. Tatsächlich hatte er - ungeachtet seines jugendlichen Alters - infolge der guten Baukonjunktur schon bald volle Auftragsbücher. Obwohl er seinen Entwurf für den Bau einer Synagoge in Fünfhaus nicht realisieren konnte,4 erhielt er kurz darauf 1869 einen prestigeträchtigen Auftrag für die Errichtung einer Gruppe von Miethäusern auf einem durch den Abriss der Bas-teien gerade frei gewordenen Areal. Diese noblen Stadtwohnhäuser in der Schottenbastei 4-8  in der Formensprache einer dezent eleganten Neorenaissance trafen den Geschmack der Zeit und brachten dem jungen Architekten breite Anerkennung ein. Bereits ein Jahr später 1870 konnte Fraenkel erstmals ein unmittelbar an der Ringstrasse gelegenes Mietpalais am Schottenring 18 realisieren. Bauherr war Gustav Ritter von Schlesinger (1833-1906), der als Bankier, Besitzer einer Ziegelfabrik und Miteigner der Lemberg- Czernowitzer Bahn zu den Aufsteigern der Ringstrassengesellschaft gehörte. Das äusserst grosszügig gestaltete Gebäude mit einer aufwändigen skulpturalen Ausgestaltung der Fassade und vornehm eingerichteten Vestibül befand sich infolge seiner Situierung unmittelbar neben der Börse und am äusseren Abschluss des Textilviertels im Hotspot des damaligen jüdischen Lebens. Es verwundert daher nicht, dass hier erstmals ein jüdischer Architekt an der Ringstrasse bauen konnte.

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Mietpalais Gustav Schlesinger, Schottenring 18. Quelle: Prokop.

Fraenkel realisierte in der Folge einige weitere Miethäuser sowohl im Textilviertel, das weitgehend von jüdischen Unternehmern dominiert wurde, aber auch vornehme Palais und Villen  sowohl für den alten Adel als auch für den neuen Geldadel. Unter anderen für den Grafen Mittrowsky und insbesondere für den Freiherrn Reitzes von Marienwerth, der als Industrieller und Bankier zu grossem Reichtum gekommen war. Nachdem Fraenkel bereits 1878 ein innerstädtisches Mietpalais  (Wien 1, Universitätsstrasse 15) für die Familie Reitzes erbaut hatte, plante er nur kurze Zeit später für denselben Auftraggeber eine aufwändige Villa im damaligen Vorort Döbling (Wien 19, Sieveringer Strasse 245) im Stile eines feudalen Schlosses. Nach dem „Anschluss" Österreichs  an NS-Deutschland 1938 wurde das Stadtpalais, wie auch die Villa, seitens der NS-Behörden „arisiert", wobei in letzterer eine Aussenstelle der Deutschen Reichspost eingerichtet wurde. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges erhielt die Familie Reitzes im Rahmen der sehr zögerlich durchgeführten Restitution nur das Stadtpalais zurück, während die Villa in Döbling weiterhin die längste Zeit als Fernmeldezentrale diente. 5

Neben der Errichtung von Wohnbauten für die feudale Oberschicht, war aber Wilhelm Fraenkel - in der Nachfolge seines früheren Arbeitgebers Karl Tietz - insbesondere auf dem relativ neuen Gebiet des Hotelbaus tätig. Neben einem sich allmählich heraus formenden Tourismus, waren es vor allem die grossen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, die den Bedarf an modernen Hotels forcierten. Im Zuge der umfassenden baulichen Planung für die Weltausstellung von 1873 in Wien errichtete Fraenkel unter anderem das „Hotel Austria" am Schottenring, dessen Bestand jedoch unter keinem guten Stern stand und das schon bald  - möglicherweise infolge des Börsenkraches - Pleite ging. Das Gebäude wurde vom Innenministerium aufgekauft und diente als Polizeidirektion, bis es während des 2. Weltkrieges im Zuge eines Bombenangriffes zerstört wurde.6

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Hotel Sacher. Quelle: Prokop.

Wesentlich glücklicher verlief dahingegen die Geschichte eines weiteren Hotelbaus von Fraenkel, dem in der Zwischenzeit weltberühmt gewordenen „Hotel Sacher", das er 1875 für den Gastronomen Eduard Sacher plante. Errichtet auf dem Areal des kurz zuvor abgerissenen Kärntertortheaters in der damaligen Augustinerstrasse (jetzt Philharmoniker Strasse), das durch den Neubau der Hofoper überflüssig geworden war. Das im Stil der „italienischen Renaissance" errichtete Hotel sollte bald aufgrund seiner exklusiven Élégance und ausgezeichneten Küche zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Wiener Gesellschaftslebens werden. Insbesondere die weltberühmte Sachertorte sollte zu dem Ruf des Hauses beitragen. Wie die zeitgenössische Literatur verrät war der ursprüngliche Bau, der an einen italienischen Palazzo erinnerte, in seinen funktionellen Anforderungen jedoch relativ bescheiden. Neben den Speise-  und Gesellschaftsräumen im Erdgeschoss befanden sich nur im 1. Stock Hotelzimmer, während die oberen Stockwerke Mietwohnungen vorbehalten waren. 7 Insbesondere unter der Leitung von Eduards Witwe Anna Sacher, die als Zigarren rauchendes Original in die Annalen ein-ging, florierte das „Etablissement" und wurde aufgrund seiner Lage hinter der Hofoper legendär als Zufluchtsstätte für gelangweilte Opernbesucher oder frustrierte Mitglieder des Kaiserhauses, die nach dem steifen Zeremoniell der Hoftafel hier Abwechslung suchten.  Auch noch in der Zeit der Republik stiegen Kaiser und Könige hier ab und die internationale Prominenz von John Lennon bis Marcel Prawy gab sich hier ein Stelldichein. Das Gebäude ist ungeachtet zahlreicher späterer An- und Ausbauten zumindest in seiner Aussenerscheinung bis heute weitgehend unverändert erhalten und reflektiert noch immer die Noblesse der damaligen Ringstrassenarchitektur.

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Wohnhaus Fraenkel, Portal. Quelle: Prokop.

Fraenkel, der auch späterhin sehr erfolgreich in Wien tätig war, realisierte einige Jahre später 1889 noch ein weiteres nobles Innenstadthotel. Das an der Rotenturmstrasse gelegene „Hotel Habsburg", war nicht nur dafür berühmt über eine technische Ausstattung auf dem neuesten Stand, wie u. a. eine Zentralheizung, zu verfügen, als auch eines der elegantesten Cafés der Stadt zu beherbergen. 8 Auch dieser Bau ist heute nicht mehr erhalten. Obwohl Fraenkel in stilistischer Hinsicht dem Historismus verpflichtet war, passte er sich bereits in fortgeschritteneren Jahren noch der zeitgenössischen „Moderne" an und war auf der Höhe der Zeit. Als er sich offenbar sehr gut situiert um 1905 sein eigenes sehr elegantes  Haus mit angeschlossenem Atelier in einer stillen Nebengasse in der Wiener Josefstadt (Krotenthallergasse 8) errichtete, gestaltete er es in der Art eines kleinen Barockpalais und liess insbesondere bei der Schmiedearbeit des Portals die üppige Formenvielfalt der Fin de Siècle - Kultur  nochmals aufblühen. Das hübsche kleine Gebäude ist bis heute weitgehend unverändert erhalten.9 Bemerkenswerterweise hat Fraenkel nie seine Kontakte nach seinem heimatlichen Preussen aufgegeben und war auch dort fallweise als Architekt tätig. Neben seiner Beteiligung für diverse Bismarckdenkmäler arbeitete er insbesondere immer wieder für die grossen jüdischen Berliner Familien, wie u. a. die Arnheims, für die er um 1910 eine Villa errichtete. Wilhelm Fraenkel ist schliesslich während des ersten Weltkrieges 1916 in Wien verstorben.

Alle Abbildungen: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

1  Siehe dazu I. Scheidl, Wilhelm Fraenkel, in Wiener Architektenlexikon (www.architektenlexikon.at)

2  Die Voraussetzung zur Gleichstellung war die Annahme eines deutschen Nachnamens.

3  Die Synagoge wurde in den Dreissigerjahren des 20. Jhdts. umfassend  umgebaut und erweitert, schliesslich 1938 zerstört.

4  Fraenkel wurde, möglicherweise im Rahmen einer kleinen Konkurrenz, seitens des Fünfhauser Tempelvereines eingeladen Pläne für eine Synagoge zu erstellen, den Auftrag erhielt jedoch Karl König (Morgenpost 1.6.1869).

5  Siehe dazu. Peter Melichar, Neuordnung im Bankwesen, Wien 2004, S.368ff

6  Heute befindet sich an dieser Stelle wieder ein Hotel - das Plaza Hilton

7  Allgemeine Bauzeitung 42.1877, S.76, T.69ff

8  Allgemeine Bauzeitung 57.1892, S.64, T.47ff

9  Heute ist hier der Sitz des Österreichischen Aussenhandelskontor untergebracht.