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Robert im Glück

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Rudolf Lorenzen: Alles andere als ein Held. Roman.

Berlin, Verbrecher Verlag 2007/2014

701 Seiten, 32 Euro

ISBN 978-3-943167-45-0

Ein ziemlich dicker Wälzer denkt man beim ersten Anblick. Wer sich aber dennoch an Lorenzens Erzählung über das Leben des Robert Mohwinkel wagt, wird angenehm überrascht sein. Lorenzens lakonischer, trockener Stil, der keine Schnörkel im Sinn von langatmigen Landschaftsbeschreibungen oder Schilderungen des Innenlebens des Protagonisten enthält, fesselt die Aufmerksamkeit. Man will wissen, wie es Robert weiter ergeht.

Ja, Robert Mohwinkel wächst in einem typisch deutschen, kleinbürgerlichen Elternhaus auf. Er wird kurz vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten geboren, die seine jungen Jahre prägen. Robert kommt zwar aufs Gymnasium, muss es jedoch wegen schlechter Noten verlassen. Der Kommentar seiner Mutter: „Wir blamieren uns ja. Lass ihn doch gleich Schuster lernen!", fasst die ganze Lieblosigkeit zusammen, mit der Robert aufwächst. Er interessiert sich für wenig, wenig kann ihn begeistern, er will nirgends anecken und gilt überall als der Duckmäuser schlechthin. Und aus ihm wird nie etwas werden, davon ist seine Mutter überzeugt; das wiederholt sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Robert wird Lehrling im Büro eines Schiffsmaklers, das war auch der Autor; er schildert also ein ihm bekanntes Milieu. Seine Freizeit peppt Robert auf, indem er sich in der Tanzschule anmeldet. Er macht seinen ersten Kurs mit, auf den er einen weiteren folgen lässt, ja, er wird eine feste Einrichtung in der Tanzschule Lahusen, ein „Tango-Jüngling", äusserlich und innerlich. Dort lernt er auch seine erste Freundin kennen. Sie tanzen in der Tanzschule, machen Ausflüge und sogar einmal einen Urlaub zusammen in der Heide. Allerdings hält Robert sich zurück und beschränkt sich auf Küsse und Berührungen.

Mit der Einberufung Roberts zum Militär ist Schluss mit lustig. Auch dort wird er als Schwächling eingestuft und zur Ausbildung als Funker nach Dresden geschickt. Man schickt ihn nach Osten. Direkt vor Roberts Augen werden drei Partisanen aufgehängt, später wird er noch einmal Zeuge einer ähnlichen Hinrichtung, diesmal durch Erschiessen. Sonst hat Robert nichts gesehen, nichts gehört und auch nichts gesagt. Er entkommt noch rechtzeitig dem Kessel von Stalingrad. Am Ende, als er auf dem Weg Richtung Westen zu lange schläft, fällt er der vorrückenden russischen Armee in die Hände und wird gefangen genommen. Bis an den Ural gelangt er, muss im Straflager, im Bergwerk schuften, kann sich, Robert im Glück, gerade noch retten, bekommt eine Rippenfellentzündung und liegt lange in der Krankenbaracke. Von dem Sanatorium, in dem man neue Medikamente an den Insassen ausprobiert, entlässt man Robert in die Freiheit.

Wieder zu Hause heuert Robert in der Schiffsmaklerfirma an, in der er schon als Lehrling vor dem Krieg arbeitete; sein neuer Chef ist der Sohn des alten Inhabers. Robert erkennt schnell, dass sich die Machtverhältnisse auch nach dem Krieg nicht geändert haben: Wer vor dem Krieg angesehen war, ist auch danach wieder angesehen; wer ein armer Komis war, ist es auch nach dem Krieg. Dank der Empfehlung des jungen Chefs gelangt Robert nach Bordeaux. Nach einer Zwischenstation in Valence bei einer Speditionsfirma sucht Robert sich einen Job als Hafenarbeiter in Marseille. Der Abstieg ist perfekt. Ein Kapitän erkennt ihn und berichtet in Bremen von Robert als Hafenarbeiter in geflicktem Pullover mit einer Schirmmütze. In seiner Heimatstadt ist Robert erledigt. Er lernt, ein bisschen zu schmuggeln, Geld auf die Seite zu legen, so viel Geld, dass er schliesslich mit einem Kapitän, nicht aus Bremen, ein Schiff kauft und sich in Lübeck als Schiffsmakler und kleiner Reeder niederlässt.

Als seine Eltern Robert sechs Jahre, nachdem sie ihn nicht gesehen haben, in Lübeck besuchen, will seine Mutter nicht glauben, dass etwas aus ihrem Sohn geworden ist. „Siehst du, mein Junge, für die in Bremen bist du immer noch der Hafenarbeiter in Frankreich. Ich finde das ungerecht, wo du doch jetzt die schöne Stellung hier in Lübeck hast. Aber für die in Bremen bist du gestorben." Die Mutter hat nichts begriffen. Dass ihr Sohn eine eigene Firma und selbst ein Handelsschiff besitzt, das will ihr nicht in den Kopf. Armer Robert. Aber er lebt bestens ohne seine Eltern, ohne Bremen, aber mit Haushälterin Therese, seinem Geschäftspartner Kapitän Kleinschmitt und seiner Firma. Er ist neununddreissig Jahre alt.

Ein „Angestelltenroman" wie Lothar Müller im Nachwort ihm bescheinigt? Nicht ganz, denn es gibt auch ein Leben ausserhalb des Büros. Robert entwickelt sich, vom Drückeberger über Hafenarbeiter zu einem feinen Herrn und freien Unternehmer. Innerlich wird aus dem gehemmten Jungen allmählich jemand, der, wie wohl viele Menschen, Gefühle und Skrupel fahren lässt und sich im Leben einrichtet.

Der Roman „Alles andere als ein Held" erschien nach Aussage des Verlags 1959 zum ersten Mal. Trotz guter Kritiken wurde er jedoch dank Grass „Blechtrommel" und Bölls „Billard um halb zehn" in den Schatten gedrängt. 2002 erscheint der Roman ein zweites Mal und wird gefeiert. Im Rahmen seiner Lorenzen-Werkschau hat der Verbrecher Verlag ihn noch einmal aufgelegt. Ein angenehm zu lesender Bericht über eine für Deutschland schwere Zeit, über die ohne belastende historische Exkurse erzählt wird.