Richard Duschinsky, 1897 in Wien geboren, war als junger Mann ein Schauspieler, der zu Hoffnungen berechtigte. Seine Karriere begann auf der Wanderbühne des Österreichischen Volksbildungsamtes, mit der er 1920 bis 1922 reiste. Ein Engagement am Raimund-Theater in Wien folgte. Seit 1925 lebte und arbeitete Duschinsky in Berlin. Am 10. Dezember 1928 hatte Duschinskys Stück „November in Österreich" dort am Renaissance-Theater Uraufführung. Der Bilderbogen um den Untergang der k.u.k. Monarchie und das gleichzeitige Desaster einer Liebe erlebte jedoch nur wenige Aufführungen.
Einige Monate später, am 1.Oktober 1929 wurde - wieder am Renaissance-Theater - Duschinskys sozialkritisches Zeitstück „Die Stempelbrüder" uraufgeführt. Der Autor hatte das Drama unter einem Pseudonym eingereicht, wegen des Misserfolgs von „November in Österreich". „Die Stempelbrüder" schienen das richtige Stück zur richtigen Zeit. Arbeitslosigkeit war am Vorabend der Weltwirtschaftskrise das Thema der Zeit. Das Drama um den arbeitslosen Tischler Lorenz, prominent besetzt mit Heinrich George, Hedwig Wangel, Felix Bressart und Hilde Körber, fand ein paar Aufführungen lang den Beifall des Publikums und das Lob des prominenten sozialdemokratischen Politikers Philipp Scheidemann, der meinte, das Stück müsse - als Abbild der sozialen Wirklichkeit - auf der grössten Bühne der Reichshauptstadt gezeigt werden, aber die Kritik verriss es.
Anfang Juni 1932 verliess Duschinsky Berlin. Die Reise im Nachtschnellzug nach Wien war keine Flucht vor dem, was sich in Deutschland zusammenbraute. Duschinsky fuhr nach Österreich, weil „Kaiser Franz Joseph" von Max Reinhardt vorbereitet wurde. Das Stück wurde zunächst in Graz gegeben, und erst am 27. Januar 1933 in Wien. Vor der Rückkehr nach Berlin wollte Duschinsky die politische Entwicklung in Deutschland abwarten, nachdem die NSDAP Regierungspartei und Antisemitismus Staatsdoktrin geworden waren. Dann fiel der Entschluss, in Wien zu bleiben. Im Juli 1933 wurde der Berliner Haushalt aufgelöst; seine Frau Lilli - sie war keine Jüdin - folgte ihm nach Wien. Die Ehe blieb zerrüttet und wurde nach einiger Zeit geschieden.
Flucht nach Prag
Die Einsamkeit vieler Jahre vergeblichen Hoffens auf Bühnenerfolg, auf die zweite Karriere, auf den endlichen Durchbruch nach überlanger Düsternis und Not waren wohl auch der Bitternis, der Starrheit des zunehmend Enttäuschten geschuldet, der sich in verzweifelnder Suche nach Sinn und Ziel, nach Wiederanknüpfung an das Einst verhärtete. Aus Österreich wanderte Duschinsky weiter in die Tschechoslowakei. Am Deutschen Theater Mährisch-Ostrau war er Gast als Schauspieler und Regisseur. Zwei Stücke von ihm wurden aufgeführt.
Als Folge des Münchner Abkommens, mit dem die Sudetengebiete dem Deutschen Reich zur Annexion preisgegeben wurden, flieht Duschinsky 1938 nach Prag. Von dort aus antwortet er auf einen Fragebogen der „Deutschen Akademie im Exil" in New York, die sich um Hilfe für Emigranten aus Deutschland bemüht. Duschinsky sitzt mittellos im Prager Hotel Axa, beschreibt selbstbewusst seine Erfolge als Dramatiker, listet auf, welche Stücke wo Premiere hatten, nennt Bühnen und berühmte Theaterleute in Berlin, Wien, Zürich, Prag, Stockholm, Amsterdam, New York, Paris. Freilich waren die Erfolge Eintagsfliegen und rasch vorbei, aber Richard Duschinsky war trotzdem kein Unbekannter, den die Welt schon vergessen hatte.
Seine Situation in Prag schildert Duschinsky in erschütternden Worten:
"Ich bin gegenwärtig in einem Zustand totaler geistiger und materieller Erschöpfung. Eine neue grosse Arbeit zu beginnen bin ich augenblicklich nicht in der Lage. Meine derzeitige Anstrengung ist darauf gerichtet: 1. Meine tatsächliche psychische und materielle Verfassung nach Tunlichkeit zu tarnen, um die Mitwelt nicht damit zu behelligen, und 2. kleine Geschichtchen für Zeitungen zu schreiben, um etwas damit zu verdienen."
Der einst gefeierte Schauspieler und einigermassen erfolgreiche Bühnenautor war, als er in Prag im Elend sass, wenig älter als 40 Jahre. Seine Karriere hätte sich in normalen Zeiten gut entwickelt. Auch wenn es Verrisse gab, so war der Dramatiker doch bekannt und seine Stücke waren gespielt worden, und seine Verbindungen hätten zusammen mit Talent und Möglichkeiten mindestens das Auskommen garantiert.
Dann musste Duschinsky um das nackte Leben fürchten. Er entkam den Nationalsozialisten 1938 nach London, führte dort das Emigrantenleben, das Intellektuelle und Künstler knapp über Wasser hielt. Duschinsky trat im Kabarett des österreichischen Exils Das Laterndl auf, war Rundfunksprecher und Autor der deutschsprachigen Sendungen der BBC. Im wirtschaftlichen Elend ging die zweite Ehe in die Brüche. Das Kriegsende änderte nichts an der Situation des Schauspielers aus Österreich bzw. des Dramatikers aus Berlin in Grossbritannien.
Neubeginn
Ende 1948 schien das Comeback für Duschinsky in Wien bevorzustehen. Das Volkstheater brachte am 23. Dezember sein Stück „Kronprinz Rudolf". Das Publikum war begeistert, aber nicht vom historischen Bilderbogen, sondern von den Leistungen der Darsteller, der Regie und vor allem, dass Hans Jaray, ein Liebling der Wiener, nach zehn Jahren des Exils in der Titelrolle wieder auf der Bühne stand. Ihm galt der Jubel im Theater und in den Kritiken, der Autor dagegen bekam Unfreundliches zu hören.
Irgendwann Anfang der 1960er Jahre verliess Duschinsky London und übersiedelte in die USA. Von dort aus machte er noch einmal den Versuch, in den deutschen Sprachraum zurückzukehren. Ein Jahr lang, 1970/71, lebte er in München, denn Wien und Berlin kamen für ihn nicht mehr in Frage. Er hatte Hoffnungen, Bühnen und Verlage schienen sich zu interessieren.
Aber es waren Illusionen. Duschinsky ist enttäuscht. Wieder einmal. Wie er von Beamten und Behörden enttäuscht ist. Er sieht in allen Amtsstuben Nazis, er wittert überall Antisemitismus, er hält „die Deutschen" für schuldig, nicht gebessert, nicht für besserungsfähig. Die Zeit in München, 1970/71, in der er sich eine neue Existenz aufbauen wollte, ist eine Zeit der Illusionen und falscher Hoffnungen. Richard Duschinsky kehrt in die Vereinigten Staaten zurück und verlässt sie nicht mehr.
Lange bevor auch der Versuch der Remigration nach Deutschland scheiterte, war ihm Entschädigung für die vernichtete Laufbahn als Schauspieler und Dramatiker verweigert worden. Vom Berliner Entschädigungsamt, in dem ein Beamter zum Schluss gekommen war, die Reise nach Wien 1932 zur Aufführung seines Dramas „Kaiser Franz Joseph", von der er wegen Hitler nicht nach Berlin zurückkehrte, sei Rückkehr oder „Auswanderung ins Heimatland" gewesen, nicht lebensrettende Flucht. Sein Brief aus dem Jahr 1958 an den Berliner Bürgermeister ist wahrscheinlich nie abgesandt worden. Er fand sich im Nachlass der Freundin, die ihn entworfen hat. Darin heisst es:
„Ich war von 1925 bis 1933 ein Schauspieler und Bühnenautor in Berlin, wo ich meinen Wohnsitz hatte. Zu meinen Dramen, die in Berlin und ganz Deutschland aufgeführt wurden, gehören „November in Österreich", „Die Stempelbrüder" und „Komparserie". Unter den Künstlern, die in meinen Stücken und Filmen auftraten, waren Albert und Else Bassermann, Heinrich George, Ernst Deutsch, Anton Edthofer, Harry Liedtke, Jakob Tiedtke, Hilde Wangel, Nora Gregor, Hilde Körber, Sybille Binder. Als Schauspieler wurde ich u.a. von den Regisseuren Leopold Jessner, Jürgen Fehling, Karlheinz Martin, Max Reinhardt, Gustav Hartung für ihre Inszenierungen herangeholt. Meine Karriere in Berlin ging rasch und steil aufwärts. Dafür liegen dem Berliner Entschädigungsamt Zeugnisse von Ferdinand Bruckner, Prof. O.F. Schuh, Professor Tiburtius, Hilde Körber, Wolfgang Hoffmann-Harnisch vor. Aber ich bin Jude. Dieser Umstand allein hat dazu geführt, dass ich heute, in meinem 62. Lebensjahr, aus England diesen Brief an Sie schreibe. Ich meldete im Januar 1952 meinen Anspruch auf Entschädigung an. Dieser Anspruch wurde mit Bescheid vom 2. Juli 58 vom Berliner Entschädigungsamt abgewiesen. Die haarsträubende Ungerechtigkeit dieser Ablehnung, die Herzlosigkeit, ja Unmenschlichkeit, der sie entspringt, die totale Ausserachtlassung des Geistes, dem das relevante Gesetz seine Entstehung verdankt, die brutale Abschiebung menschlicher Belange auf das tote Geleise juristischer Spitzfindigkeit, der kein höherer moralischer Wert innewohnt als den Nürnberger Gesetzen - all dies im Namen des neuen Deutschland! - haben mich zutiefst verletzt, gekränkt, erbittert, enttäuscht."
Im Mai 1979 fand der Bühnenautor Richard Duschinsky zum letzten Mal ein Publikum im Theater. Als Beitrag zu den Wiener Festwochen hatte das Volkstheater noch einmal „Kaiser Franz Joseph" inszeniert und sechsmal aufgeführt. Die Titelrolle spielte Hans Jaray, den österreichischen Sozialistenführer Victor Adler, dem Duschinsky in seinem Stück ein Denkmal setzen wollte, gab Karl Paryla, der auch Regie führte. Die Reaktionen der Kritik waren verhalten, nicht besonders böse, eher gelangweilt. „Kaiser Franz Joseph" war 1932 in Coburg zur Uraufführung gekommen.
Das wahrscheinlich meist gespielte Stück Duschinskys huldigte dem Sozialdemokraten Victor Adler und spiegelte damit auch damalige politische Positionen des Autors. Im Laufe der Zeit wurde der Autor dann immer konservativer, schliesslich zeigte er sich als erbitterter Antikommunist und reaktionärer Anhänger Richard Nixons. Der Sinneswandel sorgte in den 1980er Jahren noch einmal für Aufregung. Held eines neuen Dokumentarspiels aus der Feder Richard Duschinskys war der 1934 ermordete österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuss, den die Linke seit den Februar-Unruhen 1934 als Arbeitermörder sah. Duschinsky zeichnete ihn als Märtyrer, als erstes Opfer des Zweiten Weltkriegs und bekannte sich in einem Interview energisch zu seinem Helden.
„In meinem Drama ging und geht es mir darum, die Gestalt eines bedeutenden Staatsmannes und grossen Österreichers im Licht der historischen Wahrheit darzustellen" - parteipolitischen Dogmen habe er sich nie verpflichtet gefühlt. Sein wirkliches Interesse habe dem Menschen Dollfuss gegolten (wobei er sich auf Auskünfte der Tochter stützen konnte), aber, fügte er in Pose hinzu, es sei an der Zeit, diesem Mann ein Denkmal zu setzen: "Ich habe das in meinem Franz-Joseph-Drama für Victor Adler getan. Ich tue es mit gleicher Überzeugung für Engelbert Dollfuss."
Duschinsky ist immer misstrauischer geworden, war unfähig, Fragebögen auszufüllen, verweigerte Angaben zur Person, weil man nicht wissen könne, was mit den Informationen geschehe, fühlte sich auch in den Vereinigten Staaten unsicher und bedroht, wollte in New York, wo er eine Zeit lang lebte, nach Einbruch der Dunkelheit die Wohnung nicht mehr verlassen. 1990 starb er einsam in Los Angeles.