Hedwig Brenner: Jüdische Frauen in der bildenden Kunst. Ein biographisches Verzeichnis V. Hg. von Erhard Roy Wiehn
Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2013
172 Seiten, 1 DVD, Euro 19,95
ISBN 978-3-86628-473-9
„Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist", zitiert Hedwig Brenner David Ben-Gurion im frisch erschienenen, neuesten Band ihres Lexikons „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst". Denn obwohl sie ihr Lexikon ursprünglich als Einbänder plante, bildet der aktuelle, 172-seitige Band bereits den fünften Teil der Reihe. Brenner fokussiert sich im aktuellen Werk erstmals ergiebiger auf Architektinnen, Innenarchitektinnen, Stadt- und Landschaftsplanerinnen. Daneben setzt sie manch wohlbekannte oder vergessene Fotografin, Bildhauerin und Designerin. Kurzum: Sie bereichert ihre seit 1998 publizierten 1.328 Künstlerinnen-Viten um weitere 353.
„Unkonventionell" nennt Hedwig Brenner ihr Lexikon. Auch im fünften Band geht es ihr nicht um den grossen wissenschaftlichen Diskurs, nicht um langatmige Definitionsversuche des vielschichtig verfänglichen Begriffs „jüdische KünstlerInnen". Sie trachtet nicht nach der Kreation fussnotenschwangerer Texte mit hieb- und stichfesten Quellenangaben, schon gar nicht nach der unwiederbringlich gültigen kunsthistorischen Würdigung. Es geht Brenner schlicht und ergreifend darum, die zahllosen, im traditionellen Kunstbetrieb der letzten Jahrhunderte gleich doppelt vergessenen jüdischen Frauen sichtbarer, bekannter, greifbarer zu machen. Brenner will den unzähligen Übersehenen und Totgeschwiegenen ihre Namen zurückgeben. Gerade im Bereich der Baukunst, jahrhundertelang eine rigide Männerdomäne, scheint der Handlungsbedarf in der Tat chronisch gross: Als Myra Warhaftig 2005 ihr mehr als 500 Seiten starkes Mammutwerk „Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933" auf den Markt brachte, listete sie darin eine beklemmend bescheidene Architektinnenzahl auf - obwohl Ute Maasberg und Regina Prinz nahezu zeitgleich in ihrem Ausstellungskatalog „Die Neuen kommen. Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre" konstatierten, dass bereits unter den BaukünstlerInnen der Weimarer Republik etliche Frauen jüdischer Herkunft weilten.
Erstmals nach Berufsgruppen sortiert, rekrutiert Brenner die Künstlerinnen des aktuellen Bandes aus allen erdenklichen Staaten und vielerlei Dekaden. Sie startet mit der russisch-israelischen Architektin Genia Awerbuch/Averbuch (1909-1977). Awerbuch hinterliess eine respektable Zahl strahlend weisser, hochmoderner Bauten, dürfte den meisten aber wegen ihrer - inzwischen stark veränderten - glatt geputzten, horizontalistischen Arbeiten für den Dizengoffplatz in Tel Aviv ein Begriff sein. Direkt hinter Awerbuch platziert Brenner eine Neuentdeckung der Forschung: die ungarische Bauhaus-Schülerin Zsuzsanna Bánki (1912-1944). Schon von Maasberg und Prinz gesichtet, war Bánki lange Zeit vollständig vergessen. 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet, gilt ihr Œuvre als nahezu restlos zerstört. Ella Briggs (1880-1977) und Karola Bloch (1905-1994) dagegen firmieren unter den rühmlichen Ausnahme-Baukünstlerinnen der Brennerschen Reihe: Ihnen glückte nicht nur die Flucht vor den Nazis, sondern auch ein zweites, erfülltes Architektinnen-Leben nach 1933/45. Sträflich ignorierte und reichlich zitierte Künstlerinnen eint Brenner auch in den Folgekapiteln: Hier die - zumindest in Fachkreisen - bekannte Malerin Tony Simon-Wolfskehl (1893-1991). Dort die beharrlich übersehene Kollegin Elisabeth Jung; geboren 1884, wurde sie 1942 nahe Lublin ermordet.
„In der Geschichte" habe die Frau „zu keiner Zeit eine Rolle als produktive Künstlerin gespielt", resümierte Karl Scheffler 1908 in seinem reaktionären Pamphlet „Die Frau und die Kunst". Weil Scheffler mit seinem verqueren Thesenkonvolut Hundertschaften zeitgenössisch anerkannter Künstlerinnen überging, stiess er schon vorkriegszeitlich auf harschen Protest. Gleichwohl war er selbstredend nicht der erste Hüter misogyner Fehlsichtigkeit. Und schon gar nicht der Letzte. Als der Schriftsteller Arnold Zweig 1934 seine wohlgemeinte „Bilanz der deutschen Judenheit" zog, um der antisemitischen „Hakenkreuzzone" zu trotzen, zählte er darin reichlich jüdisch-stämmige Künstler auf. Den damals in allen Genres bahnbrechend hohen Anteil jüdisch-stämmiger Künstlerinnen indes liess er weitgehend unkommentiert. Dass Brenner all diese aktiv oder passiv exkludierten Frauen-Namen unermüdlich und akribisch ins Gedächtnis ruft, ist ein beträchtliches Verdienst. Dass sie den Begriff der „jüdischen Künstlerin" dabei bisweilen dezent überdehnt (oder war die US-amerikanische Fotografin Lee Miller realiter jüdischer Herkunft?), scheint zweitrangig. Vielmehr gilt es, frohen Mutes Band VI entgegenzublicken. Angekündigt hat Brenner ihn bereits - wenn auch mit diskreter Einschränkung „falls das Schicksal es mir gestattet. Diese Frage ist noch offen!", gibt die inzwischen 95-Jährige zu bedenken. Wir drücken beide Daumen. Ganz fest!