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Ein Schritt nach vorne im Umgang mit unserer Geschichte.

Tina WALZER

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Während seiner Amtszeit als Bundesminister für Landesverteidigung setzte der österreichische Politiker und nunmehrige Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, Norbert Darabos, eine Reihe von Massnahmen, in deren Zentrum eine kritische Auseinandersetzung mit Österreichs Rolle während der NS-Zeit stehen. Besonders die Neugestaltung des Denkmals des Toten Soldaten im Äusseren Burgtor sowie die Errichtung eines Denkmals für die Deserteure der Wehrmacht  stellen jahrzehntelange Desiderate der österreichischen Innenpolitik dar, die erst nahezu 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges umgesetzt wurden.

 

DAVID: Herr Darabos, in Ihrer Amtszeit als Bundesminister für Landesverteidigung der Republik Österreich haben Sie wesentliche Schritte unternommen,  den Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit neu zu gestalten. In der Gedenkstätte des Äusseren Burgtores in Wien liessen Sie die ominöse „Kapsel" suchen. Wie beurteilen Sie das Ergebnis der Nachforschungen?

Darabos: Es war ja schon lange gerüchtehalber davon die Rede, dass im Denkmal des Toten Soldaten in der Krypta am Burgtor ein Schreiben versteckt wurde. Daher habe ich damals weitere Nachforschungen beauftragt, die eine genaue Untersuchung des Denkmals einschlossen. Dass die Nachforschungen dann tatsächlich ein nationalsozialistisches Jubelschreiben des Bildhauers Wilhelm Frass zutage gefördert haben, hat endlich Klarheit gebracht. Die wahre Sensation - noch dazu mit erfreulichem Inhalt - war aber das zweite Schriftstück, das auch in der Metallkapsel im Betonsockel des Denkmals gefunden wurde. Dabei handelt es sich um ein pazifistisches Schreiben des Bildhauers Alfons Riedel, der den wichtigen Satz geschrieben hat: „Ich wünsche, dass (sic!) künftige Generationen unseres unsterblichen Volkes nicht mehr in die Notwendigkeit versetzt werden, Denkmäler für Gefallene aus gewaltsamen Auseinandersetzungen von Nation zu Nation errichten zu müssen." Beide Fundstücke wurden mittlerweile an das Heeresgeschichtliche Museum Wien übergeben, wo sie als Faksimile zu sehen sind. Die beiden Schreiben sind von grossem zeithistorischem Wert, auch, weil sie die Ambivalenz jener Zeit widerspiegeln, zu der das Denkmal errichtet wurde.

 

DAVID: War es schwierig, diese Nachforschungen durchzusetzen?

Darabos: Wie gesagt: Das Gerücht, dass im Denkmal des Toten Soldaten ein nationalsozialistisches Huldigungsschreiben versteckt wurde, kursierte ja schon seit Jahrzehnten. Wirkliche Untersuchungen wurden aber nie angestellt. Für mich war der Gedanke unerträglich, dass in dieser zentralen Gedenkstätte der Republik irgendwo ein Nazi-Jubelschreiben versteckt ist. Ich habe daher im Mai 2012 den Auftrag erteilt, zu untersuchen, wie man dieses Schriftstück am besten suchen könnte, ohne die Skulptur zu beschädigen. Es wurde dann in penibler Art und Weise der Tote Soldat geöffnet. Die Arbeiten wurden gefilmt, ein Notar war anwesend, die Burghauptmannschaft, das Bundesdenkmalamt und Vertreter des Ministeriums waren involviert.

DAVID: Kann der neue Umgang mit der Gedenkstätte am Äusseren Burgtor den Blick auf Österreichs jüngste Vergangenheit verändern?

Darabos: Die Umgestaltung der Krypta dient der Anpassung der Gedenkstätte an eine zeitgemässe Gedächtniskultur. Mit der Untersuchung des Frass-Denkmals und dem Fund der verborgenen Botschaften wurde der Startschuss für die Neugestaltung gegeben. Auch die Entfernung der Totenbücher und deren Übergabe an das Staatsarchiv zur historischen Weiterbearbeitung war ein wichtiger Schritt in Richtung formaler und inhaltlicher Erneuerung. Ich bin überzeugt, dass wir als Republik Österreich mit einer fachlich fundierten Umgestaltung von Krypta und Weiheraum und mit der Errichtung eines Denkmals für die Deserteure der Wehrmacht wieder einen grossen und nicht zu unterschätzenden Schritt nach vorne gemacht haben - einen Schritt nach vorne im Umgang mit unserer Geschichte. Mit unserer Geschichte, die mit dunklen Flecken behaftet ist.

DAVID: Wie verlief der Entscheidungsprozess, dieses Denkmal für Wehrmachtsdeserteure zu realisieren, und wie sehen Sie Ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang?

Darabos: Österreich stellt sich seiner Verantwortung, damit setzen wir den Weg fort, der unter Bundeskanzler Franz Vranitzky eingeschlagen wurde. Es gab eine breite öffentliche Diskussion darüber, wie, und vor allem, wo das Denkmal realisiert werden soll. Unter anderem hab ich damals die Militärhistorische Denkmalkommission beauftragt, Empfehlungen für Standorte vorzulegen. Ich bin damals öffentlich für die Errichtung eines Denkmals für die Deserteure der Deutschen Wehrmacht eingetreten. Diejenigen, die damals die Waffen niedergelegt haben, taten das aus Überzeugung. Sie haben sich für diesen Weg entschieden, um nicht Werkzeuge des Nazi-Terrorregimes zu werden. Das verdient Achtung und Respekt.

DAVID: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Rolle der Deserteure der breiten Öffentlichkeit über das Denkmal hinaus bewusst zu machen und ihr Andenken angemessen zu würdigen?

Darabos: Ein ganz wichtiger Schritt hierzu war das Rehabilitierungsgesetz, mit dem die Opfer von Justiz und Verwaltung in der Zeit von 1933 bis 1938, die für ein demokratisches und unabhängiges Österreich eingetreten sind, rehabilitiert wurden. Damit haben wir als Republik Österreich klargestellt: Das Dritte Reich ist nicht mit Rechtsstaatlichkeit in Zusammenhang zu bringen. Letztes Jahr hat Verteidigungsminister Gerald Klug mit dem Bundesheer am 8. Mai eine Mahnwache für die Opfer der Nazi-Barbarei vor der Krypta abgehalten und damit verhindert, dass die Burschenschaftler aufmarschieren konnten, um ihr sogenanntes Totengedenken zu veranstalten. Die Politik spielt hier eine wichtige Rolle, indem sie immer wieder klare Zeichen setzt und sich vom Nationalsozialismus distanziert. Und indem sie etwa veranlasst, dass Gedenkstätten und insbesondere die militärische Erinnerungskultur regelmässig im Licht neuer Erkenntnisse der historischen Forschung auf ihre Angemessenheit überprüft werden.

DAVID: Glauben Sie, dass sich das Bild von den Deserteuren in der Öffentlichkeit durch die Diskussion um das Denkmal bereits geändert hat?

Darabos: Ich denke, dass solch öffentliche Diskussionen sehr fruchtbar sind. Viele Menschen werden zum Nachdenken veranlasst und fangen an, Überkommenes zu hinterfragen. Andere beginnen vielleicht, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass der Umgang mit Geschichte ein Prozess ist. Natürlich gibt es auch die Ewiggestrigen und Unbelehrbaren, die das Nazi-Regime immer noch verharmlosen und die Desertion im Dritten Reich mit jener in rechtsstaatlichen Demokratien vergleichen. Aber ich möchte nicht ausschliessen, dass selbst unter diesen im Zuge einer öffentlichen Diskussion ein Nachdenken einsetzt.

 

DAVID: Gibt es Initiativen und Unterstützung für die Aufarbeitung dieses Themas von Seiten des Bundesheeres?

Darabos: Ich habe im meiner Amtszeit grössten Wert auf eine klare Abgrenzung des Österreichischen Bundesheeres von nationalsozialistischem Gedankengut gelegt und mein Nachfolger tut das auch. Für Angehörige des Österreichischen Bundesheeres gilt eine Politik der „Null-Toleranz" auch nur beim Anstreifen am Verbotsgesetz. Was den Bereich der militärischen Gedenkkultur und den Umgang mit baulichen Hinterlassenschaften der NS-Zeit betrifft, habe ich in meiner Amtszeit eine Reihe von Massnahmen gesetzt: Das reicht von baulichen Massnahmen wie der Überarbeitung des „NS-Freskos" in der Klagenfurter Khevenhüller-Kaserne, über das Anbringen von Gedenktafeln und das Abhalten von Festakten für Opfer des NS-Regimes, bis hin zur Beendigung der Teilnahme des Bundesheeres am sogenannten Ulrichsbergtreffen. Ausserdem unterstützt das Bundesheer zahlreiche Studien, Ausstellungen und gibt Publikationen, etwa zur NS-Militärjustiz, heraus.

DAVID: In Ihrer Zeit als Verteidigungsminister wurden zahlreiche Kasernen umbenannt. Gab es im Bundesheer Diskussionen über die Frage, wer mit Benennungen geehrt werden soll? Welche Rolle spielt die österreichische Innenpolitik in diesem Prozess der Bewusstmachung? Wie sehen Sie Ihre Rolle in diesem Prozess heute?

Darabos: Die Umbenennung von militärischen Liegenschaften wurde von mir aktiv gefördert. Beispielhaft möchte ich die Umbenennung des Wiener Amtsgebäudes Schwenkgasse in Kommandogebäude Heckenast-Burian nennen, die Ausdruck dieser Politik des Geschichtsbewusstseins ist. Oberstleutnant Franz Heckenast und Hauptmann Karl Burian wurden von den Nazis ermordet, weil sie sich gegen das Verbrecherregime gewandt haben. Ihre Namen sind heute für das österreichische Bundesheer Vorbild, Leitbild und Verpflichtung.Wie bereits gesagt, spielt die Politik die zentrale Rolle, wenn es darum geht, sich als Gesellschaft der eigenen Geschichte zu stellen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Mit der Umbenennung von Gebäuden, der Neugestaltung oder Errichtung von Gedenkstätten und dem Abhalten von Gedenkveranstaltungen setzt die Politik wichtige Zeichen. Oft geht damit eine öffentliche Debatte einher, die förderlich ist für die Vergangenheitsbewältigung. Als Legislative kommt ihr auch die massgebliche Rolle zu, zu regeln, wie mit den Verbrechen der Nazi-Zeit umzugehen ist, beispielweise mithilfe des Rehabilitierungsgesetzes oder des NS-Verbotsgesetzes.

DAVID: Sie werden den EU-Wahlkampf für die SPÖ leiten. Was werden die inhaltlichen Schwerpunkte Ihrer Partei sein?  Wie wollen Sie den nationalistischen Parteien  begegnen?

Darabos: Wir als Sozialdemokraten wollen einen Kurswechsel in Europa erreichen. Wir wollen eine demokratischere und sozialere Politik in der EU. Mehr Geld für die Bekämpfung von (Jugend-) Arbeitslosigkeit, soziale Mindeststandards, mehr direkte Demokratie und strengere Regeln für den Finanzsektor - das sind unsere zentralen Forderungen. Wir stehen für ein Europa der Vielfalt, in jeder Hinsicht. Wir setzen uns vehement gegen jede Form der Diskriminierung ein, ob von Frauen, MigrantInnen oder Glaubensgemeinschaften. Rechte Hetze darf keine Chance in unserer Gesellschaft haben! Europa ist ein einzigartiges Friedensprojekt, das weiterentwickelt werden muss. Dazu gehört heutzutage vor allem die Wahrung des sozialen Friedens. Und dafür braucht es ein starkes und geeintes Europa. Wir werden nicht zulassen, dass die Europäische Gemeinschaft von rechten Hetzern zerstört wird.

DAVID: Vielen Dank für das Gespräch!