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Josef Shaked und die Psychoanalyse

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Josef Shaked: Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Bibliothek der Psychoanalyse. Hrsg. von Hans-Jürgen Wirth

Giessen: Psychosozial-Verlag 2011

456 Seiten, Euro 41,10

ISBN 978-3-8379-2099-4  

Josef Shakeds Buch Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse ist das beeindruckende Beispiel einer Lebensbilanz, die sich nicht in Persönlichem erschöpft, sondern vielmehr anhand der Bildungs- und Berufsgeschichte das zugrunde liegende Erkenntnisinteresse entwickelt, das für alle Stationen des Weges von Shaked motivierend war. Wie bereits der Buchtitel ausdrückt, ist dieses bestimmende Moment die Psychoanalyse. Und so entstand eine faszinierende intellektuelle Autobiographie, in der aus Sicht und Erfahrung des Lernenden und Lehrenden, des Beobachters und Praktikers die vielfältigen theoretischen und methodischen Verästelungen der Psychoanalyse in ihren organisatorischen und institutionellen Gegebenheiten vermittelt werden.

Josef Shaked wurde 1929 in Ungarn in eine jüdische Familie geboren. Während der frühen 30er Jahre übersiedelten die religiösen und zionistischen Eltern mit ihm nach Palästina. Sehr früh - schon als 15jährigen - faszinierten Shaked die Schriften Sigmund Freuds. In der Folge liess ihn die Idee, einmal Psychoanalytiker zu werden, nicht mehr los. Nach der Teilnahme am israelischen Unabhängigkeitskrieg ging er zum Studium nach New York, das er nach einigen Jahren wegen der durch die Abwertung der israelischen Währung drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten wieder verlassen musste und 1955 nach Wien wechselte.

Wien war nicht nur die Stadt Freuds und Herzls, sondern auch jene von Lueger und Hitler. Sich diesem historischen Boden relativ knapp nach der Shoa auszusetzen, ist für Josef Shaked bis heute eine Herausforderung für aktive Auseinandersetzung geblieben: Vor allem die Wechselwirkung von politischen und psychischen (Massen-)Phänomenen und das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft mit ihren mannigfachen Konsequenzen bewirkten und verstärkten sein Interesse für analytische Gruppenarbeit - ein Gebiet, auf dem Shaked auch ein im internationalen Rahmen ausgewiesener Experte geworden ist.

Neben dem Medizinstudium absolvierte Shaked die Lehranalyse bei Igor Caruso. Er porträtiert seinen Lehrer als schillernde, charismatische Persönlichkeit, dessen Arbeitskreis für Tiefenpsychologie eine an Fragen der Philosophie, Theologie, Medizin und Psychoanalyse orientierte Diskussionsplattform war. Auch der Paradigmenwechsel im Denken Carusos von der Religion zum Marxismus tat seiner Autorität und Ausstrahlungskraft keinen Abbruch. Die posthum bekannt gewordene Verstrickung Carusos in die nationalsozialistische Kindereuthanasie in der Wiener Anstalt Am Spiegelgrund enttäuschten und erschütterten Shaked tief und nachhaltig.

Die Facharztausbildung für Psychiatrie absolvierte Shaked noch während der 60er Jahre u.a. in der psychiatrischen Anstalt Gugging bei Klosterneuburg. Er vermittelt die bedrückende Atmosphäre des Routinebetriebs einer grossen Verwahranstalt, in der schon damals Primarius Leo Navratil das künstlerische Potential einzelner Patienten zu wecken und zu nutzen versuchte. Shaked war sehr bemüht und engagiert, das Leid von apathisch gewordenen LangzeitpatientInnen zu lindern und sie zum Sprechen zu bringen. Während Navratil die PatientInnen zum Zeichnen und Malen motivierte, bildete Shaked Gruppen, in denen sie über ihre Empfindungen und Gefühle reden konnten. So kam langsam Bewegung in den monotonen Alltag der Anstalt.

Danach leitete Josef Shaked als Nachfolger Hans Strotzkas die psychotherapeutische Ambulanz der Wiener Gebietskrankenkasse, ehe er 1975 eine eigene Praxis eröffnen konnte. Im selben Jahr fanden entscheidende Begegnungen mit GruppentherapeutInnen statt, die langfristige Konsequenzen zur Folge hatten: 1976 gründete Shaked die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse IAG, in der er bis heute aktiv tätig ist. Die IAG ist eine renommierte und international vernetzte Institution, die in Altaussee Ausbildung und Weiterbildung in analytischer Gruppenpsychotherapie zur Qualifikation in Praxis, Klinik und Supervision anbietet. Die Geschichte der Gruppenanalyse und deren spezielle Probleme werden von Shaked ausführlich und informativ abgehandelt.

Ein anschauliches Beispiel von Grossgruppenarbeit war eine von Josef Shaked ab 2003 längere Zeit hindurch geleitete Grossgruppe (60 bis 120 TeilnehmerInnen pro Treffen) mit Nachkommen von Opfern und TäterInnen der österreichischen nationalsozialistischen Geschichte. Aus Israel kommend, ist Shaked nicht Teil dieser Geschichte, was ihm eine gewisse Aussensicht erleichtert - andererseits ist anzunehmen, dass seine jüdische Herkunft oft genug als Projektionsfläche nicht nur für Antisemitismus, sondern auch für Ansprüche oder Erwartungshaltungen herhalten muss, die im hohen historischen Schuldanteil der österreichischen Gesellschaft wurzeln.

Eine besondere Stärke des Buches liegt darin, dass es einen äusserst instruktiven und differenzierten Ein- und Überblick über die Hauptströmungen der Psychoanalyse im Gefolge Freuds gibt und deren wechselseitige Fehden mit teilweise destruktiven Erscheinungen nicht verschweigt. Auch für Laien erhält es dadurch stellenweise den Charakter eines guten Lehrbuchs.  Die Phase der pauschalen Entwertung der gesamten Psychoanalyse („Freud-Bashing") scheint mittlerweile überwunden, und vielfach haben Offenheit und Pluralismus die früheren dogmatischen Grabenkämpfe abgelöst.

Josef Shaked ist zutiefst dem humanistischen und kultur- und gesellschaftskritischen Ansatz der Psychoanalyse verpflichtet. Dadurch hat er wahrscheinlich mehr als andere erfahren, wie sehr die grossen Entwürfe zur Gesellschaftsveränderung immer wieder ihre Schranken in der einzelnen Person mit ihren inneren Konflikten finden. In Distanz zu den Verlockungen eines angepassten Opportunismus auf der einen Seite und zu den Irrwegen übertriebener Ideologisierung auf der anderen Seite gilt es die dialektische Spannung von Utopie und Realität, von Idealismus und Ernüchterung auszuhalten. Dabei hat Josef Shaked sicher auch sein legendärer Humor geholfen. Für sein beachtliches Lebenswerk ist ihm zu danken und zu wünschen, dass er sein produktives Wirken noch lang fortsetzen kann.