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Der Maler Jehudo Meier Epstein. Das Werden eines Ausnahmekönners

Gerald GNEIST

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Er war niemals Ornamentenmaler, stellte auch keine stadtbekannten Frauen aus der feinen Wiener Gesellschaft halbnackt in seinen Werken öffentlich zur Schau, und dennoch schaffte es ein Künstler ostjüdischer Herkunft im Fin de Siècle aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten, in Wien Fuss zu fassen: Jehudo Meier Epstein.

Epstein, im russischen Slouk (Sluck)1 bei Minsk (heute Sluzk in Weissrussland) geboren, war Jude des sogenannten Ansässigkeits-Rayons.2 Er besass wie die meisten seiner damaligen Glaubensgenossen zunächst kein staatliches Geburtsdokument, denn Judenkinder immatrikulierte man nicht. Erst zwölf Jahre später wurde ein Schein ausgestellt, der seine Geburt beglaubigte, die im Monat Juli des Jahres 1870 stattgefunden haben soll.3 In Slouk lebten seinerzeit grösstenteils Juden, die aber ein recht kümmerliches Dasein4 neben Russen und Polen führten, und der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Epstein erlernte mangels Schulunterricht im Umgang mit den wenigen Russen auch nur mangelhaft die Staatssprache.

Von einem talmudisch und auch weltlich gebildeten Mann erfuhr der heranwachsende Epstein irgendwann, dass es auf der Welt Schulen gibt, wo das Zeichnen, also seine Leidenschaft, gelehrt werde, und dass diejenigen, die schöne Bilder malen, in der Welt auch ihr Auskommen fänden. Obwohl sein Vater eigentlich geplant hatte, ihn studieren zu lassen, nahm Jehudo Epstein in Wilna den ersten Zeichenunterricht. Als sein Gönner, ein Buchhändler, plötzlich starb, wurde ihm von dessen Frau das Stipendium entzogen. Lediglich drei Rubel des örtlichen Unterstützungsvereins bildeten daraufhin das einzige regelmässige monatliche Einkommen.

Übersiedlung nach Wien

Die korrupten Verhältnisse in Russland, 5 insbesondere aber der an allen Schulen eingeführte Numerus Clausus für Juden, sowie die finanziell unbefriedigende Situation bewogen Epstein im Alter von 18 Jahren,6 ins Ausland zu gehen, und dies ohne Empfehlungen und ohne die deutsche Hochsprache zu beherrschen.7 Er wünschte sich als Studienort eine deutsche Stadt. Schliesslich wurde Wien der Vorzug gegeben, weil die Fahrt dorthin die geringsten Reisespesen verursachte.

An der Wiener Gewerbeschule bereitete sich Epstein vorerst für die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste vor. Er bestand sie souverän und wurde sofort in den zweiten Jahrgang aufgenommen. Er hatte somit einen Jahrgang übersprungen. Selbst sein kritischer Vater war über diesen Erfolg erfreut und unterstützte ihn bescheiden, ebenso zwei weitere Gönner. Auch der Wilnaer Unterstützungsverein, dessen Schützling Epstein noch war, zeigte sich für das zweite Semester spendabel. Zum Zeitpunkt seines Eintrittes in die Akademie bekam Epstein den Antisemitismus überall zu spüren.8 Er nahm ihn allerdings nicht widerspruchslos hin, wodurch sich Reibereien ergaben. Als er sich bereits im dritten Jahrgang der Akademie befand, wurde er mutwillig von einem Kollegen beleidigt. Da Epstein ihn ohrfeigte, forderte dieser Satisfaktion. Zwar kassierte Epstein dabei durch Säbelhiebe einige Schmisse,9 doch von nun an respektierte man ihn.

Den Lebensunterhalt bestritt er während seines Studiums, sieht man von den bescheidenen Zuwendungen ab, nach wie vor durch kleine Zeichenarbeiten. Daher dauerte das Studium des Meisterschülers von August Eisenmenger10 an der Akademie der bildenden Künste länger, nämlich von 1888 bis 1894.11 Nicht ganz unwesentlich für die künstlerische Entwicklung waren nach Beendigung der schulischen Ausbildung wohl auch die beiden Reisestipendien der Beerschen Stiftung für Italien in den Jahren 1894 und 1900.

Nach der Rückkehr aus dem Süden pflegte Epstein Kontakte zu Künstlerkollegen, und nur zwei Jahre später (1902) wurde er als Mitglied des Wiener Künstlerhauses aufgenommen,12 was zweifellos zusätzliche Reputation bedeutete.13 Ein weiterer wesentlicher Faktor seines Aufstieges war sicherlich, dass er sich als osteuropäischer Jude in die Gesellschaft einfügen konnte. Er selbst äusserte sich dazu folgendermassen: „Die vielen konfessionellen Äusserlichkeiten, die jeder fromme Jude sehr ernst nahm, die dabei aber mit dem Kern des Glaubens keinen sichtbaren Zusammenhang haben, hafteten niemals fest an mir."14 Die Bezeichnung Künstlerhaus galt damals einerseits für das Ausstellungsgebäude, andererseits für die Künstlervereinigung selbst.15

Schon im Jänner 1905 hatten einige Maler den Wunsch geäussert, im Künstlerhaus alleine ausstellen zu wollen, doch wurde das zunächst aus hauptsächlich technischen Gründen abgelehnt. Die daraus resultierenden Spannungen führten alsbald zur Bildung von Kreisen. Einen davon führte bereits der jugendliche Epstein an, der sich mit gleichgesinnten Künstlern auch ausserhalb des Künstlerhauses traf. Auf diese Art und Weise bildete sich im Winter 1908/09 der Malerverband der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens, welcher sich jedoch schon 1915 wieder auflöste. Auch hier war Epstein eingeschrieben gewesen.

Um die Solidarität zu stärken, wurde am 4. Februar 1925 die „Ständige Delegation" der drei Künstlervereinigungen (Künstlerhaus, Secession, Hagenbund) um den Bund österreichischer Künstler erweitert. Dieser neuen Delegation gehörte Epstein dann an. Damit waren alle bedeutenden Vereinigungen, unabhängig von der politischen Einstellung, zusammengefasst. Bis 1928 war Jehudo Epstein immer wieder in verschiedenen Positionen für die Vereinigung des Künstlerhauses tätig. Nicht uninteressant ist die Tatsache, dass er auch in der Rubrik „ordentliche Mitglieder" des Aquarellisten-Clubs der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens bzw. der Aquarellisten-Vereinigung vermerkt ist. 16

Nachdem es 1929 im Künstlerhaus zur Gründung eines neuen Malerverbandes gekommen war, bildete sich parallel dazu die sogenannte Gruppe Gsur. Sie war aus Verärgerung über manche Vorgänge im Ausstellungswesen des Künstlerhauses entstanden. Ein Grossteil des alten, kauffreudigen Publikums war nämlich den Präsentationen des Künstlerhauses ferngeblieben. Epstein wurde ein prominentes Mitglied jener Dissidentengruppe.

Emigration nach Südafrika

Eine Zäsur nicht nur für die Künstlerschaft stellte natürlich die Weltwirtschaftskrise dar. Insbesondere um die staatlichen Förderungen stand es schlecht. Die andauernde Stagnation der Wirtschaft, die hohe Steuerbelastung, die längst nicht nur mehr die Armen traf, sowie politischer Radikalismus kennzeichneten den Alltag. Vier Monate hindurch war es der Delegation z.B. nicht möglich, bei Bundeskanzler Engelbert Dollfuss auch nur einen Besuchstermin zu erwirken.17 Mit dem Feingefühl eines Künstlers hatte indes Epstein entschieden, Österreich zu verlassen. Er kehrte im Jahr 1934 von einer Studienreise nach Südafrika einfach nicht mehr zurück. Zu seinem Emigrationsentschluss gehörte sicherlich Mut, bedeutete doch die Fremde individuellen Existenzkampf, oft genug Elend und Kümmernis. Ausserdem liessen viele Auswanderer beim Verlassen ihrer Heimat ihren Ruhm hinter sich.

Am 16. November 1945 verstarb Epstein in Johannesburg. Seine Urne aber wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof, am neuen Jüdischen Friedhof beim Tor 4 beigesetzt.18 Zu Lebzeiten als einer der bedeutendsten jüdischen Maler angesehen, ist er heute dem Gedächtnis der breiten Masse entschwunden. Die Schätzwerte von Werken Epsteins lagen bei Auktionen vor wenigen Jahren dennoch zwischen 1.300 und 6.000 Euro.19 Die erzielten Preise für seine Bilder stellen wohl das Resultat des freien Spiels der Kräfte auf dem Kunstmarkt dar. Epsteins Bilder besitzen jedenfalls aussergewöhnlichen Charakter und sind für Liebhaber mehr als nur eine Momentaufnahme in technischer Perfektion und vornehmer Eleganz. Das mögen auch die Gründe dafür sein, dass potente, kunstverständige Käufer wie etwa Nelly und Bernhard Altmann die Werke des Professors (seit 1923)20 schätzten. Er selbst meinte, über Kunst allgemein philosophierend, diese stehe mit dem Verb „können" in Zusammenhang,21und das Talent des Malers sei lediglich eine Frage des Charakters.22 Bilder mit Motiven des jüdischen Alltags,23 des Volkslebens24 sowie biblische Szenen malte Epstein in seiner Volksverbundenheit gerne, doch das künstlerische Genie spiegelt sich heute für uns bei seinen Portraits in Öl auf Leinwand.25 Hier stechen sowohl die Bildnisse des Generals Roth als auch der Michiko Meinl hervor (siehe Textkästen).26 Die beiden Arbeiten bieten interessante historische Aspekte und sind schon aus diesem Grunde als die Glanzlichter Epstein‘schen Schaffens anzusehen.

Auszeichnungen Jehudo Maier Epsteins:

1894 Michael-Beer-Preis der Berliner Akademie, Grosse Goldene Staatsmedaille,  1920 Reichel-Preis, 1923 Professorentitel. Funktionen im Wiener Künstlerhaus: 1909 Mitglied in der Jury der Carl-Ludwig-Medaillen, 1910 Entsendung ins „Mitglieder-Aufnahmekomitee", bis 1928 weitere Funktionen im Künstlerhaus.

Michiko Tanaka alias Michiko Meinl alias Michiko de Kowa-Tanaka

Geboren am 15. Juli 1909 wurde Michiko Tanaka in Kanda (Tokio) als Tochter eines Malers. Ihre Eltern schickten sie zum Studium nach Wien. Der damalige Vormund in Wien, ein japanischer Gesandter, öffnete ihr aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung den Zugang in die gehobene Gesellschaft. Sie heiratete in Wien den 26 Jahre älteren Julius Meinl II. Als Opernschauspielerin debütierte sie am Grazer Stadttheater, und später stand sie mit Richard Tauber auf der Bühne. Meinl II. liess für sie von Paul Abraham ein Operette schreiben27 und finanzierte ihren ersten Film. Nach ihrer Scheidung und Affären mit Carl Zuckmayer und dem Schauspieler Sessue Hayakawa heiratete sie im Jahre 1941 Viktor de Kowa.28 Ihm war 1933 im Film der Durchbruch als Konkurrent Joseph Schmidts um das Mädchen seines Herzens gelungen.29 Während des 2. Weltkrieges war das Haus de Kowa-Tanaka in Berlin eine Anlaufstelle für viele Japaner. Michiko de Kowa-Tanaka machte dort Seiji Ozawa mit Herbert von Karajan30 bekannt, welcher später sein Lehrer wurde. Viktor de Kowa31 drehte hingegen Anfang der 40er Jahre einen Napola-Propagandafilm,32 um nach Kriegsende als Pazifist bei internationalen Friedenssymposien aufzutreten.33 Michiko de Kowa war auch kulturell stark engagiert. So war sie an der Gründung der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tokyo beteiligt. Im Jahr 1952 wurde ihr Wirken, als erste Japanerin, mit einer Tafel am Mozartgedenkhaus gewürdigt. In ihrem Ruhestand lebte Michiko de Kowa-Tanaka in München, wo sie 1988 verstarb.

Josef Roth von Limanòwa-Lapanòw

Roth-Limanòwa34 kam am 22. November 1859 in Triest zu Welt. Der  Sohn eines Oberleutnants entstammte einer württembergischen Familie. 1879 wurde er als Leutnant in der Theresianischen Militärakademie zu Wiener Neustadt ausgemustert. Von 1884-1886 absolvierte er die Kriegsschule, um anschliessend in den Generalstab übernommen zu werden. Im Jahre 1901 gelang Roth der Sprung zum Oberst, 1908 war er Generalmajor und 1912 Feldmarschalleutnant. Von 1910 bis zum 1. Juli 1914 war Roth Kommandant der Theresianischen Militärakademie, dann Divisionär des IV. Korps (Innsbruck) als welcher er an der Ostfront in die Schlacht von Limanòwa-Lapanòw ging. Zur Führung der Schlacht hatte Feldmarschall Conrad35 unter Fmlt. Roth die Armeegruppe Roth gebildet, welche lediglich formal dem Kommando der 4. Armee unterstand, tatsächlich aber operativ vom Armeeoberkommando bzw. taktisch von Roth geführt wurde. Er besass das uneingeschränkte Vertrauen Conrads.36 Den Kampfraum bildete das Beskidenvorland. Roth gelang es trotz einer Krise, den Durchbruch der Russen bei Krakau nach Schlesien und Mähren zu unterbinden. Der Gegner musste das Schlachtfeld räumen. Für diese Erfolge erhielt er das Ritterkreuz des Militär-Maria-Theresien-Ordens.

Die 4. Armee hielt sich in der Folge am Dunajec.37 Damit war aber die Ausgangslage für die siegreiche Durchbruchsschlacht von Tarnòw-Gorlice im Mai 1915 geschaffen worden. 1916 folgten Roths Ernennungen zum Landesverteidigungskommandanten von Tirol sowie zum Kommandanten des 20. Korps in Südtirol. Im Februar 1918 wurde Roth Generalinspekteur für die Militärerziehungs- und Bildungsanstalten. Josef Roth Freiher von Limanowa-Lapanòw verstarb am 9. April 1927 als Gerneraloberst a. D. in Wien.

1  Die Transkription erfolgt im deutschen Raum normalerweise über das Tschechische.

2  Im alten zaristischen Russland wurden von Ausnahmen abgesehen (z.B. Ärzte) Juden nur in den Randgebieten geduldet.

3  Offiziell war es der 6. Juli 1870, aber auch die Jahre 1869 oder 1871 könnten in Frage kommen.

4  Hauptbestandteil der Mahlzeiten war eine Graupensuppe, „Kruppnik" genannt.

5  Die Zaren griffen im Kampf gegen die korrupte russische Beamtenschaft auf Deutsche, oftmals Baltendeutsche, zurück, die gerade wegen ihres korrekten Verhaltens bei den Russen verhasst waren

6  Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. I (1957), S. 258.

7  „Mein Idiom der Umgebung war .. .der jüdische Jargon ...", schreibt Epstein. Der Grossteil davon bestand aus ostmitteldeutschen Wörtern und Lehnwörtern aus dem Russischen, Polnischen, Italienischen etc.

8  Irrtümlich sprach er von einer „Blütezeit des Antisemitismus".

9  Der Terminus stammt aus der Studentensprache,

10  August Eisenmenger (1830-1907), ein österreichischer Historien- und Portraitmaler der „Ringstrassenepoche".

11  Felix Czeike, Historisches Lexikon der Stadt Wien, Bd. 2 (1993).

12  Österreichisches Biographisches Lexikon 18151950, Bd. I (1957), S. 257.

13  Stolz titulierte er sich auf seinen Visitkarten von nun ab als Kunstakademiker.

14  Jehudo Epstein, Mein Weg von Ost nach West (Stuttgart 1929), S. 233. In der Folge zit.: Epstein, Mein Weg.

15  Ab 1986 existiert zusätzlich noch die Künstlerhaus Ges.m.b.H.

16  Wladimir Aichelburg, Das Wiener Künstlerhaus 1861-2001, Bd.1 (Wien 2003), S. 227.

17  Um einen Modus Vivendi zu finden, trat die Delegation am 23. März 1934 der Vaterländischen Front bei.

18  Felix Czeike, Historisches Lexikon der Stadt Wien, Bd. 2 (1993).

19  Auktion im Palais Dorotheum 2003.

20  Handbuch der österreichischen Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert, Bd. 1 (München 2002), Spalte 2193 f.

21  Epstein, Mein Weg, S. 310.

22  Ebd., S. 309.

23  Schachspielende polnische Juden (1892).

24  Betendes Bauernvolk in Burano (1914).

25  Selbstbildnis (1921).

26  General Roth in der Schlacht von Limanowa-Lapanow (1916); Michiko Meinl mit Blumenstrauss (1929).

27  Das Mädchen aus dem Tanzhaus.

28  Trauzeuge war Julius Meinl.

29  „Ein Lied geht um die Welt."

30  Eigentlich Karajanis.

31  Karriere in der NS-Zeit, NSDAP-Mitglied.

32  „Kopf hoch, Johannes".

33  Kay Weniger, Das grosse Personenlexikon des Films Bd. IV (Berlin 2001).

34  In der Monarchie war es möglich, dass bei Erhebung in den Adelsstand aufgrund militärischer Leistungen, der Name des Schlachtortes angenommen werden konnte.

35  Chef des österr.-ungar. Generalstabes, GdI Freiher Conrad von Hötzendorf.

36  Conrads Privatverhältnisse waren pikant. Er lebte in einem Dreiecksverhältnis mit dem Ehepaar von Reininghaus. Der Autor Frederic Morton widmete sich nahezu 100 Jahre später diesem Thema.

37  Der Dunajec durchfliesst die Zipps (Spiss) in Oberungarn und ist nun ein Grenzfluss zw. der heutigen Slowakei und Polen.