Evelyn Adunka und Gabriele Anderl: Jüdisches Leben in der Wiener Vorstadt - Ottakring und Hernals
Wien: Mandelbaum Verlag 2013
390 Seiten, Euro 24,90
ISBN 978385476-389-5
Der Wiener Mandelbaumverlag hat ein wichtiges, lesenswertes Buch von Evelyn Adunka und Gabriele Anderl veröffentlicht. Das Buch zeigt auf, welchen Anteil Juden an der Entwicklung der beiden Bezirke Ottakring und Hernals hatten. Es dokumentiert das Leben von Prominenten, die zum Glück noch heute unter uns sind, wie Arik Brauer, aber auch das vieler „kleinen Leute", die als Arbeiter, kleine Gewerbetreibende, Taglöhner und Hausierer schwer ums „bisschen Leben" schufteten und die sicher nicht dem Bild entsprechen, das sich so viele noch heute von „den Juden" machen.
Das Buch ist nach Themen und nicht chronologisch geordnet, was dem Leser ermöglicht, die Kapitel, die am meisten interessieren, zuerst zu lesen. Die Lebensgeschichten sind faszinierend und zeigen eine Vielfalt, die den vorgefassten Meinungen über „die Juden" widerspricht. Manche waren zum Christentum konvertiert, andere wieder verliessen die Kultusgemeinde bzw. lebten in einer „Mischehe" und konnten dadurch ihr Leben retten. Die meisten Protagonisten aber waren dem kaschierten oder offenem Antisemitismus ausgesetzt. Es stimmt traurig, wie lange es nach der Befreiung gedauert hat, bis die katholische Kirche das absurde menschenfeindliche Bespucken und Malträtieren des „Körbeljud" in der Kalvarienkirche im 17. Bezirk abgestellt hat, und es erschüttert, wie der Antisemitismus auch nach dem Ende des Völkermords fortwirkte: Der 1930 geborene Rudolf Gelbard hatte Jahre im Konzentrationslager Theresienstadt verbracht. „Als er sich 1945 in einem Kino in Hernals mit zwei Freunden einen Film ansehen wollte, wurden die drei Jugendlichen plötzlich von einem Mob von Erwachsenen umringt und mit den Worten ‘Es Scheissjuden, es Hurenjuden, wieso seid ihr nicht vergast worden? geschmäht. Erlebnisse der in diesem Buch porträtierten Rosina Kohn, die lange Jahre in Hernals als Geschäftsfrau tätig war, belegen, dass der Antisemitismus auch heute noch nicht überwunden ist ..."
Die beiden Autorinnen haben einführende Bemerkungen verfasst. Evelyn Adunka beschreibt die jüdischen Institutionen, Persönlichkeiten sowie die Berufsgruppen Rechtsanwälte und Ärzte, das Volksheim Ottakring, das Ottakringer Settlement und einen Epilog nach 1945. Gabriele Anderl dokumentiert die „Arisierung" von Apotheken und bringt Porträts bzw. Lebenserinnerungen von Ottakringer Juden sowie den brutalen Vermögensentzug nach dem Anschluss.
Anhand von drei Beispielen jüdischer Frauen schildert sie das heutige jüdische Leben in diesen Bezirken. Ein besonderes Kapitel ist den Hilfeleistungen für verfolgte Juden gewidmet, die von allzu wenigen geleistet wurden. Es gab zu wenig Gerechte, umso mehr verdienen diese erwähnt zu werden. Anderl zitiert den Journalisten und Autor Bruno Frei, der das Männerwohnheim in der Wurlitzergasse in höchsten Tönen lobte. Tatsächlich habe ich, nachdem ich nach meiner Rückkehr 1951 ein paar Wochen im Asyl in der Meldemannstrasse gelebt hatte, die Wurlitzergasse ebenfalls positiv in Erinnerung.
76 Jahre nach dem Zusammenbruch aller Werte und der Kapitulation vor der Macht der Irrationalität und des Terrors kann ein solches Buch der Aufklärung dienen und dazu beitragen, allzu verbreitete Gedankenlosigkeit und Vergesslichkeit zurückzudrängen.