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Das sogenannte Heilige Land Tirol erlangte schon im Hochmittelalter durch den Handel zwischen den oberdeutschen Städten und Venedig große Bedeutung. Bereits unter dem Landesherrn Meinhard II. (1238-1295) hatte sich dort die Umstellung von der Naturalleistung zur Geldwirtschaft vollzogen. Der Wohlstand des Landes sowie Friede und Sicherheit lockten fremde Kaufleute vermehrt an und ließen den Brenner noch mehr zur bevorzugten Handelsroute über den Alpenhauptkamm werden. Gleichzeitig etablierten sich Leihbanken, die im Auftrag des Landesfürsten meist von Florentinern und Juden betrieben wurden. Letztere waren auch nach dem Ende des Mittelalters einer permanent judenfeindlichen Gesinnung ausgesetzt, gelangten sie doch mitunter durch Handel und Geldverleih, der den Christen verboten war,1 zu wirtschaftlicher Bedeutung. Eine derartige Sonderrolle trug zur Vertiefung der gesellschaftlichen Gegensätze nicht unerheblich bei. Neben der diskrimierenden rechtlichen Stellung2 der Juden im Reich war auch ihre soziale Isolierung signifikant. Sie wurde durch gezielte obrigkeitliche Verordnungen verursacht, worin etwa das Tragen des Judensterns genau geregelt wurde.3 Mitverantwortlich für eine derartige Politik in Tirol war auch Erzherzog Ferdinand II. (1529-1595). Er versuchte, die damals aus seiner Sicht anstehenden Unzulänglichkeiten in Justizwesen, Polizei, Finanzwesen, Schule und Kirche zu beseitigen.
Ferdinands Bedeutung läßt sich zwar in Hinblick auf die inneren Verhältnisse der gefürsteten Grafschaft Tirol nicht mit jener seiner prominenten Vorgänger messen, dennoch hat sein Wirken in der reformierten Landes- und Polizeiordnung von 1573 sowie in der Schulordnung deutlichen Niederschlag gefunden.4
Auf dem Tiroler Landtag5 von 1573 wurde den Ständen zunächst durch Ferdinand angekündigt, daß die Landesordnung nun druckfertig sei. Der Erzherzog hatte es aber für unnötig gehalten, dem Landtag diese Ordnung zur weiteren Beratung vorzulegen, da sie, wie er meinte, eigentlich ohnehin Sache des Landesfürsten sei. Die zeitgemässen Neuerungen gingen also bereits von den fürstlichen Kabinetten aus, während die Stände weitgehend als Verteidiger des Althergebrachten dargestellt erscheinen. Schließlich war Ferdinand auf untertänigstes Bitten des kleinen Ausschusses dann dennoch bereit, einer eigens verordneten Ständedeputation die Landesordnung zur Durchsicht zuzustellen. Der Landtag wählte alsbald Deputierte, die gemeinsam mit den erzherzoglichen Abgeordneten die Probleme des öffentlichen Lebens berieten. Anschließend wurden dem Landesfürsten Ratschläge unterbreitet, der dann darüber entschied. Eine umfassende Überarbeitung und Neuauflage der Landesordnung war deshalb notwendig geworden, weil die alte von 1532 der inzwischen eingetretenen Entwicklung in Tirol nicht mehr gerecht wurde und viele darin enthaltene Artikel einer näheren Erläuterung bedurften. Schon seit längerem waren Bitten der Stände um eine Reformierung an den Landesherrn herangetragen worden. Der Fürst wurde ersucht:
„...solche landtsordnung, iren hergebrachten rechten, Freyhaiten, gueten alten Breuchen vnnd Gewonhaiten , gleich vnnd gemäß (zu) reformirn, enndern, corrgiern, meren vnnd bessern, vnnd in sonderhait die vnlautern Artikel zu declariern vnnd zu erleutern vnnd die beschwärlichen gnedigist aufzuheben vnnd abzuthuen, vnnd also die Landtsordnung in ain guete beständige form bringen vnnd stellen."
Bei inhaltlicher Betrachtung des ersten Buches ist zu ersehen, wie umfassend die Landesordnung6 von 1573 das Leben der Bevölkerung ordnete. Dieses erste Buch z.B. hat zehn Titel, „ vnnd sagt von den Vnderthanen/ Burgern/ Gerichtsleuten/ Angesesenen vnnd ledigen, auch Diennstknecht vnnd Püergckwerchs verwonten (Angehörigen) Pflicht, Ayd, Frey oder Wappenbrief haben." Jener längst verflossenen Zeit fehlte der Humor nicht. In einem Exemplar etwa lautet im dritten Buch der Titel XLII: „Was der Mann thuen soll, dem sein Haußfraw mit Tod abgangen ist." Ein Zeitgenosse hatte darunter handschriftlich vermerkt: „ Eine Jungfrau heirathen, wan eine zu bekhomen". Die mit angefügtem Register 147 Blatt umfassende Landesordnung trug am Ende eine mit Prägestempel aufgedruckte Unterschrift des Erzherzogs, ferner die eigenhändige Signatur des Kanzlers sowie anderer Räte: Greussing; Holtzapffel, Ernstinger. Die anbei gebundene Polizeiordnung war ebenso unterzeichnet (XXIX Blatt). Darin sind besonders hohe Strafen gegen gotteslästerliches Fluchen vermerkt. Auch die Vaganten7 werden darin hart angefaßt.
Kulturgeschichtlich äußerst interessant ist ein Artikel über die Juden (Blatt XV). Da heißt es wörtlich:
„Wir wellen, Setzen und Gebieten auch, das alle vnnd yede Juden, so in disem vnnseren lannd sitzen, Also auch die darinnen oder dardurch, hin vnnd wider wanndlen vnnd erkennt werden, An jren Ober Röcken oder Klaidern, auf der Linggen Seiten der Brust, außwenndig, yeder zeit einen „ Gelben Ring, Hieunden zu Ennd dises Titels, verzaichneter Runde vnnd Braitte des Zirkels, vnnd nicht schmäler oder klainer, von einem Gelben Tuech gemacht, offentlichen vnnd vnuerporgen tragen sollen, doch wann die Juden, jrem Gwerb vnnd notturfft nach, vber Lannt ziehen, sollen Sy solch zaichen, auff der Strassen zu tragen nit schuldig sein, biß sy in jre herberg vnnd Nachtleger in die Stett, Flecken oder Dörffer kummen, als dann sollen Sy das zaichen, wider herfür nemmen vnnd tragen, und sich dardurch für Juden zu erkennen geben, Wecher Jud aber das wie obgemelt, vbeerfüre, der solle zum Ersten vnnd Anndern mal, die Klaidung so er antregt, vnnd alles das jenig, was bey jme befunden wirdet, verwürckt haben, vnnd der halb Thail derselben dem Anzaiger, vnnd der vbrig halb Thail, der Oberkeit oder dem Gericht, darunter der Jud also one Zaichen betretten worden, zusteen vnnd eruolgen, Im fall aber, das Er zum dritten mal betretten wurde, soll Er nit allein yetzgehörter massen die Klaydung vnnd was bey jme befunden wirdet, verwürckt haben Er samt seinem Weib, Kindern vnnd gesind, noch darzue vnnd alßbald, dises vnnd aller anderer Vnserer Oesterreichischen Fürstenthumb vnnd Lannde, in Ewigzeit verwiesen werden."8
Ferdinand stand während seiner Regentschaft den Juden wie die meisten Habsburger in vielerlei Hinsicht zurückhaltend gegenüber. Nicht ihnen galt sein Hauptinteresse. Dieses lag vielmehr ganz eindeutig bei Ferdinands Hang zur Repräsentation als Landesfürst. Schlußendlich stürzte die glänzende Hofhaltung des Erzherzogs die Grafschaft Tirol in arge Schulden, weil er wie so viele Potentaten zum Geld keine richtige Beziehung hatte. Nach dem Tod von Erzherzog Ferdinand II. erlebte Tirol ein kurzes Interregnum, da die Söhne aus der unebenbürtigen Ehe mit Philippine Welser nicht nachfolgeberechtigt waren sowie Katharina von Mantua ihrem Gatten nur Töchter geboren hatte. Plötzlich waren die Stände auch nicht mehr bereit, die einst zur aufwendigen Hofhaltung bewilligten Hilfen nach dem Ableben Ferdinands weiter zu bezahlen. Aber das ist bereits eine andere Geschichte.
1 Das kanonische Zinsverbot schränkte die Durchführung von Geldgeschäften praktisch auf Juden und wenige andere gesellschaftliche Gruppen ein.
2 Sie wurde durch Schutzbriefe bestimmt, die vom König einzeln, später an die sich bis zu einem gewissen Grad selbst verwaltenden jüdischen Gemeinden in zahlreichen Städten verliehen wurden (daher auch Schutzjuden genannt), allerdings geschah dies gegen entsprechende Abgaben, die der königlichen Kammer zuflossen (daher die Bezeichnung servi camerae nostrae - jüdische Kammerknechte).
3 Das Ghetto in den Städten und die Kleiderordnung wurden seit dem 4. Laterankonzil von 1215 verbindlich.
4 Vgl. Egger, Geschichte Tirols (Innsbruck 1876); II, 245ff.
5 Hatten im 16. Jh. die Tiroler Landtage ihre alte entscheidende Stellung noch behauptet, so sollte sich das in den nächsten Jahrzehnten ändern. Vorbilder der absolutistischen Fürstenmacht in Spanien und Frankreich machten sich bemerkbar. Ansätze dafür finden sich bei Ferdinand II ( 1564 - 1595), der vielfach über die Köpfe der Landschaft hinweg regierte.
6 Die Ordnung ist in neun Bücher geteilt.
7 Das Vagantentum entstand mit dem Aufkommen der Universitäten und artete teilweise in Landstreicherei aus.
8 Das Zitat ist einem unveröffentlichten Manuskript von Georg Wagner entnommen Die Transkription wurde zwecks besserer Lesbarkeit leicht abgeändert.