DAVID: Herr Gouverneur, ist die Talsohle der Wirtschafts- und Finanzkrise bereits erreicht? Wann wird es wieder bergauf gehen?
Nowotny: Die nächste Prognose erscheint im Juni - aber die bisherigen Konjunkturprognosen werden wir für 2009 insgesamt nach unten revidieren müssen, weil der österreichische Export stärker eingebrochen ist, als erwartet. Wir sehen aber Anzeichen, dass das untere Ende erreicht ist, es gibt einige „grüne Sprossen". In Deutschland haben die Auftragseingänge erstmals wieder zugenommen und es gibt eine Entspannung auf den Finanz- und Kapitalmärkten. Aber leider können wir auch nach der Abschwungphase nur mit niedrigen Wachstumsraten rechnen, sodass die Arbeitslosigkeit vorerst weiterhin ansteigen wird.
DAVID: Die EZB sowie weitere Notenbanken haben große Geldsummen in den Markt gepumpt um die Wirtschaft anzukurbeln. Nun gibt es, wie Sie auch selber erwähnen, Anzeichen für eine Abschwächung des wirtschaftlichen Abschwungs. Wie früh müssen die Zentralbanken beginnen, die stark ausgedehnte Geldmenge wieder zu verringern und die Zinspolitik restriktiver zu gestalten?
Nowotny: Die Tendergeschäfte der EZB sind durch unterschiedliche Fristigkeiten gekennzeichnet. Die Laufzeit reicht von einer Woche bis zu 12 Monaten. Laufen diese Geschäfte aus, wird die Liquidität quasi automatisch zurückgeführt. Sollte das aber nicht reichen oder nicht schnell genug wirken, haben wir weitere Instrumente der Liquiditätsabschöpfung. Wir können beispielsweise selbst Anleihen begeben und das mit dem Verkauf eingenommene Geld so vom Markt nehmen. Unsere Möglichkeiten gehen weit über die Änderung des Leitzinses hinaus.
DAVID: Ist Österreichs Ausrichtung generell zu einseitig auf Osteuropa gewesen? Sind die profitablen Zeiten nun vorbei?
Nowotny: Die guten Zeiten sind für alle und die gesamte Weltwirtschaft vorerst vorbei. Für Österreich war es sicher richtig, die großen Chancen in Osteuropa zu nutzen. Die österreichischen Banken haben dort für beide Seiten gutes geleistet. Sie haben die wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa gefördert und gutes Geld verdient. Gleichwohl ziehen die österreichischen Banken Lehren aus der Krise und werden ihr Geschäftsmodell verändern. Zum Beispiel wird die starke Rolle von Fremdwährungskrediten wie beispielsweise Euro-Kredite in Ländern wie Ungarn tendenziell abnehmen.
DAVID: Welche Änderungen im Geschäftsmodell der Banken müssen außerdem folgen?
Nowotny: Die Dynamik wird abnehmen. Die österreichischen Banken werden sicher in Osteuropa engagiert bleiben und eine wichtige Rolle spielen. Aber Wachstumsraten von 40 bis 60 Prozent im Jahr wird es nicht mehr geben. Nicht zuletzt, weil diese Märkte reifer geworden sind.
DAVID: Sind die österreichischen Banken im CESEE-Raum nicht doch zu spekulativ gewesen?
Nowotny: Die hervorragende Wettbewerbsposition Österreichs in europäischen Wachstumsmärkten, insbesondere in Zentral-, Mittel- und Osteuropa, wurde durch heimische Unternehmen wohlüberlegt vorbereitet und langfristig aufgebaut. Sie wurde nicht durch kurzfristige Spekulation, sondern vielmehr auf Basis tiefgehender Marktkenntnis erreicht. Österreichs Banken stehen daher konsequenterweise auch weiterhin zu ihrem Engagement in diesen Märkten. Dieses Verhalten ist durchwegs rational und zu begrüßen, weil das vergleichsweise große Entwicklungspotenzial dieser Region auch künftig für eine dynamische ökonomische Entwicklung sorgen wird.
DAVID: Was halten Sie von der derzeitigen Diskussion eines beschleunigten Beitritts einiger osteuropäischer Länder in die Eurozone?
Nowotny: Dafür gibt es feste Kriterien. Wer die erfüllt - wie zuletzt Slowenien und die Slowakei - ist herzlich willkommen. Aber ich bin strikt dagegen, die Spielregeln zu verändern.
DAVID: Wie kann Mitgliedsstaaten, die aufgrund der Wirtschaftskrise in finanzielle Not geraten sind, geholfen werden? Ist eine Gemeinschaftsanleihe das richtige Instrument?
Nowotny: Hier muss man die kurz- und langfristigen Perspektiven unterscheiden. Kurzfristig ist das nicht möglich, schon allein weil Deutschland und andere Länder dagegen sind. Längerfristig glaube ich schon, dass sich mit einem einheitlichen europäischen Kapitalmarkt auch einheitliche Finanzierungsinstrumente entwickeln werden. Aber das setzt gemeinschaftliche Akzeptanz voraus. Es gibt ja schon eine Annäherung daran mit der Europäischen Investitionsbank, die eine indirekte Haftung aller EU-Staaten hat.
DAVID: Abschließend nochmals zurück zum Thema Banken: Braucht Österreich eine „bad bank"?
Nowotny: Wir haben keinen Bedarf. Österreich hat ein Stabilisierungspaket von über 100 Milliarden Euro. 10 Milliarden für den Anlegerschutz, 15 Milliarden für die Eigenkapitalstärkung der Banken und der Rest entfällt auf Garantien. Das ist, gemessen an der Größe des Landes, ein sehr großes Paket, das wohl nicht ausgeschöpft werden muss. Wir haben bewusst einen Sicherheitspolster eingebaut.
DAVID: Wir danken für das Interview.
Das Interview führte CR Ilan Beresin