Früher gingen die Kinder und Jugendlichen der Zwi-Perez-Chajes-Schule in einem Gründerzeit-Haus in Wien 2, Castellezgasse 35 aus und ein. Irgendwann aber platzte das Gebäude aus allen Nähten. Also entschied sich die Israelitische Kultusgemeinde für einen Neubau. Das dafür ausgewählte Grundstück im Prater hat eine lange Vergangenheit: Es ist Teil des ursprünglichen Areals des legendären Sportclubs Hakoah. Architekt Thomas Feiger plante die neue Anlage, und auch das neue ZPC-Schulgebäude, das im Westen direkt an die Dreifach-Turnhalle anschließt. Das Team von BEHF gestaltete das Innere der neuen Schule und ließ sich dabei vom Bild einer lebendigen Stadt leiten. Die Gänge, Foyers und Pausenhallen sind wie Straßen und Plätze angelegt, in den Gruppenräumen und Klassen führen bunte Farben und die Nutzergemeinschaft der Lehrenden und Kinder das Regiment.
Zum Laubhüttenfest gerüstet: die glasgedeckte Pergola im Innenhof der Zwi-Perez-Chajes Schule lässt sich öffnen. Foto: Dieter Werderitsch
Die Zwi-Perez-Chajes-Schule ist eine Institution mit Geschichte. Bereits am 1. Oktober 1919 hatte das vom berühmten Oberrabbiner Zwi Perez Chajes gegründete und durch Spenden und Subventionen der Kultusgemeinde erhaltene jüdische Privatgymnasium in der Innenstadt, Drahtgasse 4 seinen Betrieb aufgenommen. Obwohl die Lehrerinnen und Lehrer in der krisengebeutelten Ersten Republik nicht damit rechnen konnten, ihre Gehälter pünktlich ausgezahlt zu bekommen, wurden 122 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Koedukation, Sonntagsschule und vier bis fünf Stunden Hebräischunterricht pro Woche zählten zu den Eckpfeilern der Lehre, der schon damals hohes Niveau bescheinigt wurde. 1921 bekam die Schule das Öffentlichkeitsrecht verliehen, 1923 erfolgte der erste Umzug, in die Castellezgasse 35. Ein Jahr später vermerkte Landesschulinspektor Oskar Benda in einem Bericht,
„dass die Anstalt hinsichtlich des Standes in den humanistischen Fächern den Durchschnitt der Bundesmittelschulen nicht nur erreicht, sondern vielfach nicht unbeträchtlich übersteigt und im allgemeinen einen Eindruck hinterlässt, den man an Privatmittelschulen zu begegnen nicht gewohnt ist."
1936/37 übersiedelte das Gymnasium in die Staudingergasse, während der Kindergarten das Haus in der Castellezgasse belegte. Zwei Jahre später wurde die Schule durch das NS-Regime geschlossen, das Gebäude bis 1945 als Sammellager für den Transport von Juden in die Konzentrationslager genutzt. Nach dem Krieg vermietete die IKG Wien das Gebäude fast 38 Jahre lang an den KZ-Verband, bis es 1983 wieder zu einer Volksschule mit Kindergarten umgebaut wurde. 1984 begann der Unterricht in einer ersten Klasse Gymnasium, 1991 folgte ein Zubau, 1992 schloss der erste Maturajahrgang ab. Doch die Schule platzte aus allen Nähten und konnte dem Andrang an Lernwilligen nicht mehr gerecht werden. Erst wurde ein Grundstück im nahen Augarten erwogen, dann entschied sich die Kultusgemeinde für einen Neubau an einem Standort mit viel Vergangenheit und viel Zukunft. Das Grundstück an der Simon-Wiesenthal-Gasse liegt auf dem ehemaligen Areal des legendären Sportclubs Hakoah in einem Stadterweiterungsgebiet erster Güte. Viel sportlicher und grüner geht es auch heute kaum: Im Süden quert die Trasse der künftigen U-Bahn-Verlängerung den Horizont über den schmucken Kleingärten, hinter denen der Prater beginnt. Die beiden großen Stadien, die gleichnamige U2-Station, Stadion-Center, Prater Hauptallee und Donau sind nur einen Steinwurf entfernt, unmittelbar an der westlichen Grundgrenze beginnt die neue Hakoah Sport- und Freizeitanlage, deren Dreifach-Turnhalle im Westen direkt an die ZPC-Schule angebunden ist.
Zukunft im Bau: am nördlichen Nachbargrundstück der neuen Schule entsteht das Maimonides-Zentrum, wo alte Menschen ihren Lebensabend verbringen können. Foto: Dieter Werderitsch
Am nördlichen Nachbargrundstück ragen Kräne in den Himmel: Aus der Bauernfeldgasse in Döbling hierher übersiedelt das Maimonides-Zentrum, wo alte und betreuungsbedürftige Menschen ihren Lebensabend verbringen. Am 15. Dezember wird das neungeschossige Gebäude mit Pflegeheim für 204 Betten, Seniorenresidenz und 149 Wohnungen eröffnet.
„Hier entsteht ein Campus der Israelitischen Kultusgemeinde für alle Generationen", sagt Architekt Thomas Feiger, der die neuen Anlagen für Hakoah-Sportzentrum, Schule und Maimonides-Zentrum plante. „Die Idee der Kombination von alt und jung hat uns fasziniert: die Eltern, die hier ihre Kinder zur Schule bringen oder abholen, können gleich ihre eigenen Eltern im Maimonides-Zentrum besuchen." Außerdem wird im Hakoah-Sportzentrum für die Bewohner des Seniorenheims Gesundheitsturnen angeboten. Generell wirkt sich auch die Nähe zu jungen Menschen positiv auf sie aus. Die Kinder wiederum können aus dem Umgang mit den Älteren und deren Lebenserfahrung lernen.
Synergien nutzen
Die Schule ist ein viergeschossiges, zweiflügeliges Gebäude aus Stahlbeton mit großen Glasflächen und Putzfassade, das sich winkelförmig um Garten und Pausenhof legt. Ihr nördlicher Trakt ist mit Garderoben und Sanitärräumen im Erdgeschoss unmittelbar an die Dreifach-Turnhalle der Hakoah angebunden, dadurch braucht die Schule keinen eigenen Turnsaal mehr.
„Auch das ist ein toller Synergieeffekt. Die Sportanlagen sind vormittags kaum in Betrieb. Aufgrund des direkten Zugangs können die Schüler zwischen 8 und 17 Uhr turnen und alle anderen Anlagen benutzen, sofern diese zur Verfügung stehen",
so Architekt Feiger. Im Erdgeschoss liegt auch der Kindergarten. Den drei Gruppenräumen im Süden ist eine glasgedeckte Pergola vorgelagert, die sich zum Pausenhof erweitert. „Das Dach ist teilweise beweglich, damit man es zum Laubhüttenfest öffnen kann", erklärt Feiger.
Hebräisch als fixer Bestandteil des Unterrichts und schmucker Aufputz für die Aula, dem zentralen Hauptplatz der Schule. Foto Dieter Werderitsch.
Die fünf Gruppenräume im anderen Flügel sind nach Westen orientiert. Vor ihren großen Fenstern verläuft eine lange Terrasse mit einer schützenden Lärchenholzbrüstung, dahinter stehen Tischtennis-Tische auf grünem Sportbelag zwischen kleinen Bäumchen. Dieser Spielbereich mündet auf einen großen freien Platz, der von Sitzstufen gesäumt wird. Wie eine Arena klettern sie den Hang zu den angrenzenden Freiflächen des Hakoah-Sportzentrums hoch. Dieser Sprung im Gelände kommt der Turnhalle zugute, die dadurch direkt auf Erdgeschossniveau erschlossen werden konnte. „Aus der Doppelnutzung ergab sich die Anordnung der Gebäude", sagt Feiger. „Mir war wichtig, dass sich zwischen den verschiedenen Altersgruppen eine Kommunikation entwickeln kann, die sowohl vertikal als auch horizontal funktioniert. " Deshalb grenzt der Werkraum des Gymnasiums an den der Volksschule, liegt die Aula am Kreuzungspunkt der beiden Flügel und verjüngen sich die Gänge zwischen den Klassen und Nebenräumen. „Je mehr Kinder in Richtung Aula strömen, umso mehr Platz gibt es, um sich zu entfalten."
Ein skulpturaler, freigeformter Lichtkörper, den die Architekten BEHF entwarfen. Die Kinder lieben ihn. Schließlich sieht die textile Bespannung nicht nur gut aus, sie eignet sich auch wunderbar, um drunter durchzuflitzen oder Bilder aufzuhängen. Foto: Karoline Mayr
Kurz nach 17.30 Uhr an einem Dienstagnachmittag kommt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus dem Gebäude. Fast alle tragen ihre Uniformen, sind sehr aufgeweckt und an diesem Tag schon seit 7.30 Uhr da. „Es ist einfach super", sagt Batel, ein Mädchen aus der dritten Klasse der AHS. „Wir sind gern in der Klasse, aber auch gern am Gang." Weit kragt das Vordach auf schwarzen runden Säulen über den gedeckten Platz an der Simon-Wiesenthalgasse aus. Am Boden liegen helle Betonplatten, ein gläserner Windfang markiert den Eingang zum Kindergarten. Die runden, weißen Lampen an der Untersicht des Vordachs finden sich auch in der Aula wieder. Ihre Decke ist mit anthrazitgrau gestrichenen, schalldämmenden Herakustikplatten verkleidet, am Boden von Gängen und Foyer liegt hellgrauer Kunststein: jede Platte ist 100cm x 100cm groß. „Diese Maßstäblichkeit ist sehr urban, sie entspricht einem öffentlichen Platz. Wir haben die Schule als Stadt betrachtet. Es gibt Räume für die Gemeinschaft und Räume zum Rückzug", sagt Architekt Stephan Ferenczy vom Team BEHF, das die Innenräume gestaltete. Höchst ambitioniert ließ es sich dabei vom Stadtplan anleiten, den der Architekturhistoriker Nolli 1748 von Rom aufzeichnete: ein vielschichtiges Gewebe aus unterschiedlich breiten, verwinkelten und verzweigten Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern, die von repräsentativen und privaten Innenhöfen durchzogen sind. „Die Erschließungsflächen sind gleichermaßen die Straßen und Plätze. Sie sollten möglichst keine Farbe zeigen."
Gasse, Straße, Platz
Alle Gänge münden in die Aula, an der auch die Stiege liegt. Hellbeige Sitzwürfel stehen entlang der Seitenwand, durch die raumhohen Scheiben sieht man ins Freie: fließend scheinen grauer Boden und graue Decke in den gedeckten Außenraum überzugehen. „Diese Schule ist der internationalen Moderne verpflichtet", sagt Architekt Stephan Ferenczy. „Wir wollten, dass das Gebäude seinen Inhalt nach außen weiterträgt und man etwas Buntes und Lebendiges sieht, wenn man vorbeigeht." Von der Decke hängt ein freigeformter, textil bespannter Lichtkörper, der etwa einen Meter über dem Boden schwebt. Die Kinder lieben ihn, weil sie darunter durchflitzen oder sich wie unter einem Dach geborgen fühlen können. Außerdem lässt er sich mit Zeichnungen bekleben. Sonst aber nimmt sich der Raum zurück: grauer Kunststein am Boden, weißer Putz an den Wänden, raumhohe Glasflächen in schwarzen Aluminiumrahmen, lackierte Herakustikplatten an der Decke.
Modernes Design für eine alte Tradition: Stifterwand mit Spendernamen auf bronzefarbenene Kreisen, gestaltet von den Architekten BEHF. Foto: Karoline Mayr.
Der Kindergarten liegt im Erdgeschoss und hat Zugang ins Freie. „Er ist der Garten dieser Stadt", sagt Stephan Ferency. Deshalb gibt in den Bewegungs- und Gruppenräumen auch Grün den Ton an: grüner Kautschuk am Boden, grüne Farbe an den Wänden, helles Holz für die niedrigen Tische und Sessel der Kleinen und Kleinsten. In der Mitte jedes Raumes aber steht ein herbstlaubrotes, skulpturales Möbel mit Treppe und Schlafpodest, das sich beklettern lässt und viele Möglichkeiten für Rückzug und Entspannung bietet. Jede Gruppe hat Platz für 24 Kinder, Garderoben und eigene Nasszellen: flächendeckendes Rosa an Boden, Wand und Decke mit den kleinen Toiletten hinter halbhohen Schwingtüren für die Mädchen, ebenso flächendeckendes Mintgrün bei den Burschen. Dieses Prinzip der durchgehenden Farbgebung in Rosa und Mint setzt sich konsequent auch in den Sanitäreinheiten der Schule fort.
Einen Stock höher führt eine Rampe auf die große Terrassenplattform, die sich über der Kindergartenebene ausbreitet. Hier betritt man die Volkschule, hier sind die Namen der Stifter an einer Wand verewigt. Wie einst bei ihrer Gründung trugen viele Spender zum Bau der neuen ZPC-Schule bei. „Wir wollten die Abstufungen des Gebens ablesbar machen", erklärt Stephan Ferenczy: je größer der Betrag umso größer der Kreis und desto höher die Reihung.
Aus etwa 500 Personen - Lehrerinnen und Lehrern, Kindergarten- und Nachmittagsbetreuenden, Schülerinnen und Schülern, Kindern und Reinigungspersonal - konstituiert sich derzeit die Einwohnerschaft dieser Stadt, deren Hauptplatz die Aula ist. Hier liegt auch der Speisesaal, ein großer, heller Raum, durch dessen durchgehende Fensterfront im Süden man in den Pausenhof sieht. Braune, leicht durchscheinende Vorhänge geben ihm eine feierliche Note und sorgen dafür, dass die Sonne mittags nicht zu stark hereinfällt. „Das gemeinsame Essen ist ganz wichtig, Licht das gestalterische Thema dieses Raumes", sagt Stephan Ferenczy. Durch die Glaswand gegenüber sieht man direkt in die Küche: weiß, sauber und klar in zwei Bereiche für Milch und Fleisch getrennt. Als ruhige, leuchtende Streifen ziehen Neonröhren zwischen den transparenten Wänden diszipliniert ihre Bahnen über die Decke. Auch die Stirnwand des Saales ist kupferfarben, alle Tische und Stühle aber sind weiß. Im Geschoss darüber liegt die Synagoge, der zweigeschossige Raum mit der Galerie für die Mädchen, in dem das spirituelle Herz der Schule schlagen wird. Dieser besondere Raum soll ganz besonders gestaltet werden, das braucht seine Zeit: voraussichtlich wird er im Laufe des Jahres fertiggestellt werden. Bis dahin steht ein provisorischer Altar im Speisesaal.
Kindergarten: alle Gruppenräume haben Zugang ins Freie. Auch die Gestaltung ist der Natur ganz nah. Kleine Sessel und Tische aus hellem Holz ein großes Raummöbel zum Beklettern und Entspannen in dunklem Herbstrot. Diese Farbe tragen auch die Kästen. Foto: Karoline Mayr.
Vom Platz vor dem Raum zum gemeinsamen Essen zweigt die Hauptstrasse ab: der Gang zwischen den Klassen. Die verzinkten Spindmöbel, die hier stehen, haben Sitzbänke aus Holz und lassen sich mit Rolläden öffnen und schließen. So bilden sie quasi den kollektiven Garderobenkasten vor den Klassen, die analog zu Privatwohnungen gestaltet sind. Gelb, Blau, Rot: Jede Tür trägt innen eine andere Farbe, an der sich auch die Wände und Decken orientieren. „Farbe hat einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung. In dieser Schule gibt es viele Nuancen", sagt Stephan Ferency. Die 2a-Klasse der Volksschule hat ein gelbes Türblatt, der Boden ist ockerfarben, die Wände leuchten zitronengelb, die abgehängte Decke aus Gipskarton ist in etwas satterem Gelb gestrichen. An einer Wand hängen schillernde CD-Rohlinge, aus denen die Schüler Käfer gebastelt haben. Eine andere Klasse trägt Blau, alle Möbel aber sind weiß, und überall zeigen sich die Früchte des Unterrichts: Tulpen, Buchstaben des hebräischen Alphabets, israelische Nationalflaggen, Bilder und vieles mehr zieren die Wände, Türen und Borde der farbig lackierten Kästen und Regale.
„Diese Schule ist viel schöner als die alte. Wir haben 20.000 Quadratmeter! Viele Kinder mögen ihre Klassen, wir sind aber auch gern im Garten", sagt Elior. Dort kann man am besten mit den anderen spielen. Nathan aus der Fünften hat den Chill-Out-Room am liebsten, weil dort eine Couch steht und die Lehrer weit weg sind. Tamar ist gern im Computerarbeitsraum, wo weiße Tische und kühles Blau an den Wänden eine nüchterne Atmosphäre verbreiten. Michaela aber weiß zu schätzen, dass die Lehrer gut unterrichten. Ein größeres Kompliment kann man einer Schule wohl kaum machen.