Seit März besitzt die an Sehenswürdigkeiten reiche Stadt Krakau ein weiteres Museum. Es ist Oskar Schindler (1908-1974) zugedacht, dem deutschen Fabrikanten , der etwa 1.200 Juden zur Mitarbeit verpflichtet und somit vor dem sicheren Tod gerettet hat. Für die Cineasten Protagonist in Steven Spielbergs Meisterwerk „Schindlers Liste", für die Deutschen eines der viel zu raren Beispiele menschlicher Barmherzigkeit im Naziterror und für die Juden ein Gerechter, erhielt Oskar Schindler mit diesem Museum nun auch für die Polen den Nimbus eines Helden.
Es sollte Frühling sein in der alten polnischen Königsstadt Krakau, doch der Winter hat die Metropole Kleinpolens noch fest im Griff. Es ist Mitte März und der Rynek, Europas grösster zusammenhängender Renaissance-Marktplatz mit seinen Tuchhallen bereitet sich auf die kommende Saison vor. Nur noch vereinzelt trotzen graue Häuser den erstklassigen polnischen Restauratoren. Immerhin gilt dieser Platz als Prunkstück und Kleinod italienischer Baukunst im Norden.
Kazimierz, die Judenstadt
Die ersten Touristen sind schon eingetroffen. Pferdekutschen und Elektromobile warten auf ihre Gäste. Auf dem Weg zum Stadtteil Podgórze weht mir noch ein kräftiges Schneegestöber ins Gesicht, der Fussmarsch wird ungemütlich. Hier in Krakau frieren die Menschen, während in Deutschland ungewöhnlich warme Temperaturen herrschen. Ich denke an den 3. März 1941, als alle Juden im Großraum Krakau auf Geheiß des Reichsleiters der NSDAP des Generalgouvernements Hans Frank den jüdischen Stadtteil Kazimierz verlassen und in das von den Nazis errichtete Ghetto umziehen mussten. Zu diesem Zweck trieben die Nazi-Okkupanten die polnischen Bewohner aus deren Wohnungen und pferchten die jüdischen Menschen hinein. Ihre Vernichtung war bereits programmiert. Die Deportationen in das Vernichtungslager Belzec liefen bereits im Mai, Juni und Oktober 1942 an. Nun stehe ich auf dem ehemaligen Sammelplatz (Plac Zgody), heute Platz der Helden des Ghettos benannt. Von hier aus wurde der Abtransport geregelt. Auf diesem Platz und in den umliegenden Strassen ermordete am 13. und 14. März 1943 Amon Göth mit seinen Nazi-Schergen in aller Öffentlichkeit mehr als 2.000 Menschen: Die Stadt Krakau sollte judenfrei sein.
Letzte Zuflucht
Die Apotheke Pod Orlem (Unter dem Adler) war für viele Juden die letzte Zuflucht. Tadeusz Pankiewicz, Besitzer der Apotheke, versuchte eine angeschossene Jüdin zu retten. Seine Hilfe war grossmütig, doch erfolglos. Dennoch gab er unzähligen Menschen Hoffnung und Zuversicht. Der Krakauer Dichter Mordechaj Gebirtig hielt sich oft in dieser Apotheke auf. Im Seminar Erinnern für die Zukunft mit Jugendlichen aus Polen, Deutschland, der Ukraine, der Slowakei, Tschechien und Israel lernen die jungen Menschen seine Lieder zu singen und mit den Liedern die versinkende Sprache Jiddisch in der Melodik des kaum noch in Polen existenten Judentums kennen. Hungerik dajn kezele, ein Gebirtig-Lied, das die Jugendlichen im Workshop einstudieren, beklemmt noch heute nicht nur die Kinderherzen. Gebirtig wurde am 4.Juni 1942 gemeinsam mit dem Maler Abraham Neumann auf offener Strasse erschossen. Die Apotheke Unter dem Adler ist heute ein Museum. Ich frage den Portier nach dem Weg zu Oskar Schindlers Emaillefabrik. „Laufen Sie einfach gerade über den Platz der Helden des Ghettos, nach 700 Meter finden Sie das neue Schindler-Museum", bekomme ich zur Antwort.
Ambiente wie einst
An überdimensionalen, leeren Stühlen, die auf dem Platz installiert sind und an das Massaker von 1943 erinnern sollen, führt mich der Weg in den Stadtteil Zablocie. Denselben Weg waren von 1941 bis Ende 1944 mehr als 1.000 Juden gegangen, die für Schindler in seiner Fabrik arbeiteten. Sie kamen vorwiegend aus dem Ghetto Podgorze. Ich passiere eine Strasse, deren Aussehen seit Kriegsende unverändertgeblieben ist. Steven Spielberg war 1992 bei der Motivsuche für seinen Film Schindlers Liste begeistert. In Podgorze scheint tatsächlich die Zeit stehengeblieben zu sein. Spielberg benötigte für den Film kaum Kulissen, es stand noch alles an Ort und Stelle.
Ich überquere Bahngleise, und in etwa 300 Meter Entfernung entdecke ich ein frisch herausgeputztes Fabrikgebäude: Das Schindler-Museum. Die Umgebung ist nicht gerade einladend. Aus der tristen Landschaft sticht der gesamte Gebäudekomplex beinahe unwirklich hervor. Vor dem Haus die ersten Besucher, vorwiegend Touristen: Sightseeing Tour mit Elektromobilen. Am Haupttor unterhält sich eine Gruppe polnischer Jugendlicher über den absolvierten Museumsbesuch. Und schon entsteht ein Erinnerungsvideo. Ich frage mich, was diese fröhlichen Teenager wohl denken und wende mich an die 18-jährige Monika Ostafin, die feststellt:
„Schindler war ein Industrieller, Mitglied der NSDAP und Profiteur der deutschen Okkupation. Schliesslich gab er sein eigens Vermögen her, um Juden freizukaufen und riskierte sogar sein eigenes Leben".
Monika wird nachdenklich, hält inne:
„Mich interessiert seine Motivation, warum Schindler so und nicht anders handelte. Das ist nur aus der Vergangenheit, die sehr extrem war, zu begreifen. Fakt ist aber, dass 1.200 Menschen gerettet wurden. Daher stehen diesem Menschen, diesem Gerechten unter den Nationen der Welt, alle Wertschätzung, Anerkennung, Dankbarkeit und unser Gedächtnis zu."
Originalschauplatz
Im Parterre des neuen Museums erwartet die Besucher eine Fotoausstellung über den Zustand der Fabrik zu Schindlers Lebzeiten. Man liest Dokumente und versucht, die Zeit nachzuempfinden. Ab Herbst dieses Jahres soll hier auch das Alltagsleben der jüdischen, polnischen und deutschen Bevölkerung in Krakau vor und während des Zweiten Weltkriegs gezeigt werden, besonders aber das Leben und Wirken des 1908 im Sudetenland geborenen Oskar Schindler. Die Direktorin Monika Bednarek von der Krakauer Museenverwaltung freut sich über das enorme Interesse für das Schindler-Museum, das an Originalschauplätzen und Drehorten von Spielbergs Film Schindlers Liste installiert wurde. Bednarek erzählt mir, dass diese Produktionsstätte bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg dem jüdischen Fabrikanten Abraham Bankier gehört hatte:
„Den bankrott gegangenen Betrieb erwarb dann Oskar Schindler. Nach dem Krieg übernahm bis zur politischen Wende 1989 die staatliche „Telport", ein Elektronikkombinat, das gesamte Gelände. Danach kam die marode Fabrik in die Hände privater Investoren. Ein unverhofftes Interesse der Touristen brachte dann Spielbergs Film."
Jetzt durchschreiten wir im ersten Stock riesige, weiss getünchte, vom Tageslicht durchflutete aber leere Ausstellungsräume. Monika Bednarek:
„Das Fabrikgebäude, das letztendlich die Stadt Krakau erworben hat, ist bis auf einige Räume noch leer. Aber wir überlegen uns die Nutzung für zeitspezifische Präsentationen."
Die Krakauer Museenverwaltung trug dem Wunsch der „Filmtouristen" Rechnung und entwickelte eine historische Stadtrundfahrt. Die Emailfabrik Schindlers ist eine von 13 Stationen.
Oskar Schindler, ein Gerechter
Von Juden wird Oskar Schindler für seine guten Taten als Gerechter, Hebräisch: חסיד אומות העולם, Chassid Umot ha-Olam betrachtet. Der Begriff bezieht sich auf eine Stelle im Talmud: „Die Gerechten aus den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt."
Heute ist Gerechter ein in Israel nach der Staatsgründung 1948 eingeführter Ehrentitel für nichtjüdische Einzelpersonen, die unter nationalsozialistischer Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten.1953 verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, das Gesetz zum Gedenken an Märtyrer und Helden, in dessen Ausführungsbestimmungen die Gedenkstätte Yad Vashem den Auftrag erhielt, eine Gedenkabteilung für die Gerechten aus den Völkern einzurichten, „die ihr Leben riskierten, um Juden zu retten".
Mit der Umwandlung des ehemaligen Verwaltungsgebäudes von Oskar Schindlers Emailfabrik in eine Abteilung des Krakauer Geschichtsmuseums erfährt der deutsche Industrielle als Gerechter unter den Nationen posthum (er verstarb 1974 völlig verarmt) eine hohe Ehrung - erstmals auch von polnischer Seite. Ab September 2009 wird in den Fabrikräumen dann eine ständige Ausstellung über Krakau während der NS-Zeit und die Verfolgung und Ermordung der Juden in Polen gezeigt. n
Manfred Lemm ist Workshopleiter der internationalen Jugend-Initiative Erinnern für die Zukunft. Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Przemys�aw Jaskó�wski