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„Is shwer zu sayn a jiddischer Gibber“

Felice Naomi WONNENBERG

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Am Vorabend des 28. April, des "Tages der Erinnerung an die gefallenen Soldaten der Kriege Israels" ertönen in Israel um 20 Uhr die Sirenen. Egal, welcher Beschäftigung die Menschen an diesem Tag auch nachgehen, jede Bewegung gefriert und das Land steht still für eine 2-minütige Gedenkpause. Von meinem Balkon aus sehe ich die Menschen vor ihren Fernsehern aufstehen, das Radio unterbricht seine Sendung. Menschen auf der Strasse steigen aus ihren Wagen und erstarren wie abgestellte, vergessene Skulpturen mitten auf der Hauptstrasse. Ich denke an die Soldaten in den öffendlichen Bussen, Jungen, kaum der Pubertät entwachsen, die meist vollkommen erschöpft in den Sitzen über ihren Gewehren zusammen gesunken eingeschlafen sind. „Is shwer zu sayn a Jid"  ist ein altes jiddisches Sprichwort. Noch schwerer jedoch ist es, ein „ jiddischer Gibber", ein jüdischer Held zu sein.

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Yaknehaz - mnemotechnische Zeichen für die Reihenfolge der Segenssprüche des Kiddusch am Pessach-Abend, welche am Schabbat-Abend auftritt. Holzschnitt, Minhagim Buch, Jiddisch, Niederschlesien, 1692. Tel Aviv, Gross Familiensammlung mit freundlicher Genehmigung F. Wonnenberg

 

Die historischen Umstände haben es jüdischen Männern seit Jahrtausenden schwer gemacht, „heldenhaft" zu erscheinen. Auch die Erwartungen und Wunschvorstellungen der jüdischen Gesellschaft gegenüber ihren Männern waren oft ganz anders als die der nicht-jüdischen Umgebung. In der Bibel wimmelt es nur so von „jüdischen Helden wider Willen". Jona zum Beispiel, gerade von G'tt zur Misson berufen, versucht sich sofort aus dem Staub zu machen. Auch Moses glaubt G'tt nicht, dass er der richtige Mann für die Heldenmission ist und muss erst vom Allmächtigen überredet werden. Nachdem er dann aber einen „heldenhaften" Einsatz geleistet und 40 Jahre lang das Volk Israel durch die Wüste geleitet hat, wird ihm der „heldenhafte" Einzug ins gelobte Land von G'tt verwehrt. Nach rabbinischer Interpretation, weil er zu sehr „gross getan" hat, als er mit seinem Stab auf den Felsen schlug, als ob er eigenmächtig das Wasser hervorbringen könnte, verkennend, dass es G'ttes Hilfe war, die den Quell hervorsprudeln hatte lassen. Auch um die Mannhaftigkeit ist es nicht immer klassisch heldenhaft bestellt. Abraham zeugte bis ins hohe Alter keine Nachkommen. Josef, der zwar in Ägypten Karriere machte, wird als - heute würde man sagen - Transvestit beschrieben: Er schminkte seine Augen und trug einen regenbogenfarbenen Mantel.

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Aus dem Film „Waltz With Bashir". Abbildung mit freundlicher Genehmigung F. N. Wonnenberg

In der Diaspora hatten Juden erst recht Grund, sich nicht in der Heldenrolle daheim zu fühlen. Im mittelalterlichen Europa war es ihnen untersagt, Waffen zu tragen. Die Zeit der Kreuzzüge und später der Inquisition brachten Pogrome und Verfolgung mit sich. So kam es sogar dazu, dass Juden sich selbst nicht als Helden, sondern ganz im Gegenteil als „gejagt wie die Hasen" empfanden. In Pessachgebetsbüchern findet man Holzschnitte mit sogenanten „Jag-ne-Has Darstellungen", in denen eine Gruppe von Hasen gezeigt wird, die von Hunden und Jägern verfolgt wird, wie in einem Beispiel aus Schlesien. 

In einer Haggada aus Barcelona (14. Jahrhundert) wird ein weiteres Sinnbild dazugenommen. Dort sieht man eine Darstellung des Wortspiels Domini Canes - Hunde Gottes. Die Dominikaner, die sich in der Inquisition besonders eifrig mit der Judenjagd befassten, werden als „Hunde Gottes" gezeigt, die jüdische Hasen jagen. So sieht man in den Hagadot, wie Hasen von schwarz-weiß gefleckten Hunden gehetzt werden. Die Fellzeichnung der Hunde soll an die Kutten der Dominikaner erinnern. Das ist ein jüdisches Selbstportrait, in dem sich die mittelalterlichen Juden Europas nicht als Helden, sondern vielmehr als Angsthasen darstellen.

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Aus dem Film „Defiance": jüdische Helden bis zum Hals im Schlamm, aber eine Waffe in der Hand. Abbildung mit freundlicher Genehmigung F. N. Wonnenberg

Aber wie sieht es heute in Israel aus in puncto Heldentum? Eigentlich gibt es ja Kriege genug, in denen man sich als Held profilieren könnte. In Krisenzeiten hat das Heroische immer Hochkonjunktur. Für eine zeitgenössige Analyse der Heldenbilder einer Kultur oder eines Landes bietet sich heute kein anderes Medium besser an als der Film. Was einst im Holzschnitt vermittelt wurde, pixelt sich heute über Leinwand und Flatscreen. Im israelischen Kino gibt es ein Genre, daß sich mit Heldentum im Krieg, allerdings verfehltem Heldentum befasst. „Jorim we bochim" nennt sich diese Kategorie „Schießen und Weinen" - eigentlich nicht die klassische Heldenrolle. Ein aktuelles Beispiel dieser Filmkategorie ist „Walzer mit Bashir" ein gezeichneter Dokumentarfilm von Arie Folman über die psychologischen Spätfolgen des ersten Libanonkrieges. Hier wird ein sehr klägliches Bild der israelischen Recken entworfen. Im Film sieht man die einstigen Kombattanten Jahrzehnte nach ihrem Kampfeinsatz von post-martialischen Traumata geplagt. Im Gespräch mit brothers-in-arms versuchen die Männer einen späten Ausweg aus ihren psychologischen Nöten zu finden. Auch „Beaufort" von Joseph Cedar, der auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, oder Klassiker wie „Jom Kippur" von Amos Gitai gehören zu diesem „Schiessen und Weinen" - Genre. All diese Filme setzen sich mit dem israelischen Mann als Soldat auseinander. In ihnen durchlaufen die Protagonisten während des Krieges Ernüchterungsprozesse, bis sie dahin gelangen, ihre Rolle als Kämpfer aufgeben zu wollen. Auffallend ist, dass gerade Filme dieses Genres im Ausland überaus wohlwollend rezipiert werden und oft vielfach mit Filmpreisen ausgezeichnet werden. Die damit ausgedrückte Grundhaltung ist psychologisch eindeutig: Wenn ein jüdischer Mann schon wehrhaft eine Waffe zur Hand nimmt, so soll es ihm danach wenigstens gründlich leid tun. Was im Kontext der inner-israelischen Film- und Kunstszene ein Beweis für Israels Fähigkeit zur selbstkritischen Betrachtung und freien Meinungsäußerung ist, wird im internationalen Kontext zum erhobenen Zeigefinger der nicht-jüdischen Intellektuellen gegenüber der Aussenpolitik des jüdischen Staates.

So muss schon eine amerikanische Produktion kommen, damit der jüdische Mann im Film dem klassischen Heldenimage entspricht. Der im Februar angelaufene Film Defiance - Wiederstand von Edward Zwick ist einer der wenigen Filme, die dieses Bild liefern. Zwick erzählt die Geschichte der Brüder Bielski, jüdische Partisanen im Zweiten Weltkrieg, die eine Gruppe von über 1.200 jüdischen Flüchtlingen in den Wäldern der Ukraine versteckten und so vor den Nazis retteten. Nur ganz wenige jüdische Leinwandhelden kommen zu so heroischer Größe wie diese drei unerschrockenen jungen Männer - dazu muß schon weit in der Filmgeschichte zurückgehen, Das herausragendste frühe Beispiel dieses Genres ist der Film „Exodus" (1960) mit Paul Newman. Der Scripttext von „Exodus" klingt auch im neuen Film „Defiance" durch. Im Streifen der 60er Jahre wird der so oft portraitierten angeblichen Passivität der jüdischen Opfer entgegengehalten: „Wir müssen kämpfen, damit wir wieder Menschen sind". In „Defiance" wurde eine Szene eingebaut, die fast wie eine filmhistorische Referenz wirkt: Nach etlichen Szenen, in denen man die Brüder und ihre Schützlinge vom Regen durchweicht im Wald kauern sieht, hat einer der Brüder, Tuvia, gespielt von James Bond Darsteller Daniel Craig, seinen Auftritt. Auf einem weißen Pferd vor der Gruppe auf- und abreitend verkündet er das Credo der Gruppe:

„Wir werden Kämpfer werden! [...] Mögen wir auch gejagt werden wie Tiere, wir werden nicht zu Tieren werden! [...] Und wenn wir sterben in unserem Bemühen zu leben, so sterben wir zumindest wie Menschen."

So schön die Rede hoch zu Ross auch klingen mag, es handelt sich hierbei um eine Darstellung aus nicht-jüdischer Sicht, eine US-amerikanische Produktion, einen Blick von außen auf die jüdische Geschichte. Die Diskrepanz zwischen der Sicht der israelischen Filmemacher und jener der Hollywood-Standards ist enorm. So könnte man lakonisch, aber lebensnah zusammenfassen: Der Krieg ist im Endeffekt eben nur auf dem Flatscreen unterhaltsam. Wer ihn im Alltag erleben muss, wie die israelischen Fimschaffenden, wird seines Heldentums schon bald müde.