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Die Darstellung jüdischen Lebens in der deutschen Geschichte im Deutschen Historischen Museum in Berlin

Andrea BRAIT

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Das Deutsche Historische Museum in Berlin ist neben dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn eines der beiden großen Museumsprojekte der Ära Kohl. Das Museum war bereits zu Beginn der Kanzlerschaft Kohls in Angriff genommen worden und wurde 1987 zum 750-jährigen Jubiläum der Stadt Berlin institutionell begründet. Der Fall der Mauer und die Deutsche Wiedervereinigung führten dazu, dass die Institution statt in einen Neubau in das alte Zeughaus, das älteste Gebäude in der Berliner Prachtstrasse Unter den Linden, einzog und das dort angesiedelte ostdeutsche Museum für Deutsche Geschichte samt seinen Objekten und Mitarbeitern übernahm. Dies brachte erhebliche Verzögerungen in Bezug auf eine Dauerausstellung mit sich. Nach einer Grundsanierung des Gebäudes und einer langen Planungs- und Umsetzungsphase erfolgte im Juni 2006 die Eröffnung der ständigen Ausstellung „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen". Die Ausstellung, die auf 4000m2 Ausstellungsfläche rund 8000 Exponate zeigt, ist als chronologisch angelegte Abfolge von Epochenräumen gestaltet. Von diesem Hauptweg aus zweigen sogenannte ‚Vertiefungsräume' ab, wo auf Einzelaspekte genauer eingegangen wird.1 Verschiedene Themen werden im Verlauf der Ausstellung immer wieder aufgegriffen und in Bezug zu anderen Entwicklungen gesetzt, so auch der Aspekt des jüdischen Lebens in Deutschland.

 

Das DHM zeigt damit, dass jüdische Geschichte in Deutschland mehr ist, als die Geschichte der Verfolgung und Ermordung im 20. Jahrhundert. In der Ausstellung wird sowohl auf die Entstehung und Entwicklung jüdischer Gemeinden hingewiesen, als auch auf frühe Formen der Verfolgung und Hetze gegen Personen jüdischen Glaubens. Dies erfolgt zum einen über zahlreiche Texte als auch über einzigartige Objekte, die beschrieben sind und so in einen historischen Kontext gesetzt werden. Bereits im ersten Ausstellungsabschnitt „Frühe Kulturen und Mittelalter" finden sich mehrere Hinweise auf jüdische Geschichte im deutschen Raum. So zeugt beispielsweise ein Grabstein vom Friedhof der jüdischen Gemeinde Spandau bei Berlin vom Pogrom von 1349. Sehr anschaulich wird auf die Stellung der jüdischen Bevölkerung in der mittelalterlichen Gesellschaft eingegangen. Ein judenfeindliches Pamphlet vom Ende des 15. Jahrhunderts als Beleg für die verstärkt propagandistisch ausgeschlachtete Judenfeindschaft im Spätmittelalter verunglimpft Juden als Wucherer. Ein bischöflicher Pfennig mit dem Namen des jüdischen Münzmeisters Jechiel verweist andererseits auf den Einfluss, den Juden als Münzmeister auf die Finanzverwaltung der Territorien haben konnten.

 

Im Verlauf der Ausstellung lässt sich neben der Entwicklung des Judentums selbst jene der rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der jüdischen Bevölkerung nachvollziehen: So wird auf die sogenannten Hofjuden eingegangen, eine reiche jüdische Minderheit, die besonders ab dem  Dreißigjährigen Krieg zu seinem wichtigen Wirtschaftsfaktor an den europäischen Fürstenhöfen wurden. Ihr wohl bekanntester Vertreter, Joseph Süß Oppenheimer, ist auf einem mit Schmähversen versehenen Schabkunst-Portrait dargestellt.2 In der Ausstellungssequenz zu den „Landesreformen in Preußen" wird auch auf das 1750 von Friedrich II. erlassene General-Juden-Reglement eingegangen. Das Privileg für den Schutzjuden Abraham Meyer Jacob und seinen ersten Sohn verweist auf die etwa 200 privilegierten Schutzjuden-Familien, die es in Preußen gab. In Österreich verbesserte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung unter Joseph II. Eine Medaille auf die Religionsfreiheit von Protestanten und Juden aus dem Jahr 1782 erinnert an die Verfügung vom 2. Januar 1782, derzufolge das 1781 erlassene Toleranzpatent nun auch für Juden galt. 1812 erhielten Juden durch das Emanzipationsedikt in Preußen das Bürgerrecht, unter der Voraussetzung, dass sie einen Familiennamen annahmen und die deutsche Sprache gebrauchten. Im DHM ist dazu unter anderem die Staatsbürgerschaftsurkunde für Benjamin Isaacsohn aus Christburg ausgestellt.

 

In der Ausstellungssequenz „Europäische Aufklärung" wird auch der jüdische Aufklärer Moses Mendelssohn mit einer Büste und zahlreichen Publikationen vorgestellt. In diesem Ausstellungsbereich befindet sich auch das Werk Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden von Christian Wilhelm von Dohm, der ein politisches Programm der rechtlichen Gleichstellung und der gesellschaftlichen Integration der Juden entwickelte und damit eine europäische Diskussion über die Emanzipation der Juden eröffnete. Im 19. Jahrhundert gelang es schließlich jüdischen Einzelpersonen, gesellschaftlich aufzusteigen. Als Beispiel für eine bemerkenswerte Biographie ist der Gründer der ‚Deutschen Edison-Gesellschaft für angewandte Electricität', Emil Rathenau, auf einem Ölgemälde ausgestellt. Doch es kam zu dieser Zeit auch neuer Antisemitismus auf, worüber eine eigene Ausstellungssequenz informiert. Beispielhaft verweist darauf die Schrift Des Reiches Noth und der neue Culturkampf, worin Juden neben Sozialdemokraten für Not und Kulturlosigkeit verantwortlich gemacht wurden. Zum Thema Antisemitismus sind ausserdem das Juden A-B-C, in dem Stereotypen aufgezeichnet wurden, die später von den Nationalsozialisten aufgegriffen wurden, und das Manifest an die Regierungen und Völker, das im September 1882 während des 1. Internationalen Antijüdischen Kongresses in Dresden entstand, ausgestellt. Im Ausstellungsbereich „Die schweren Anfänge der Weimarer Republik" ist unter anderem das Handbuch der Judenfrage, eine Zusammenstellung antisemitischer Äußerungen bekannter Persönlichkeiten, zu sehen, weiters zahlreiche antisemitische Flugblätter und ähnliche Publikationen, wie die antisemitische Wochenschrift Auf gut deutsch. Aber auch auf die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in der Weimarer Republik wird eingegangen.

 

Ein besonderer Schwerpunkt wurde auf die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges gelegt. Zwei große Ausstellungsräume werden dafür genutzt, kein anderes Thema erhielt derart viel Raum. Das zentrale Objekt zum Holocaust befindet sich leider etwas abseits des Hauptweges, was mittels eines Besucherleitsystems versucht wurde zu korrigieren. Es handelt sich dabei um ein Modell des Krematoriums II des Konzentrationslagers Auschwitz des polnischen Bildhauers Mieczyslaw Stobierski. Das Modell zeigt auch rund 3.000 Figuren, die alle als Individuen mit unterschiedlichen Gesichtern gestaltet sind, und erzeugt so eine Vorstellung von der Vernichtungsmaschinerie. Neben zahlreichen sehr beeindruckenden Exponaten in diesem Ausstellungsbereich werden auch didaktische Hilfsmittel benutzt. In einer PC-Station, die in Kooperation mit der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn, entwickelt wurde, wird anhand von Filmausschnitten, Zeitzeugeninterviews und Originaldokumenten jüdisches Leben in Deutschland im 20. Jahrhundert nachgezeichnet. Das Schicksal der Familie Chotzen aus Berlin bildet eine biographische Parallelerzählung.

 

In den Ausstellungsbereichen nach 1945 wird neben jüdischer Geschichte auch der Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen thematisiert. Auffällig ist jedoch, dass in diesem Ausstellungsteil, der zweigeteilt ist in die Entwicklung der BRD und jene der DDR, nur zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik eingegangen wird, die zwar sehr frühe aber doch recht problematische Auseinandersetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen jedoch keine Erwähnung findet. Der Bogen spannt sich von den Nürnberger Prozessen und der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Kunst und Publizistik, wo beispielsweise die Skulptur Inferno von Fritz Koelle zu sehen ist, die für ein Denkmal auf dem Gelände in Dachau geschaffen wurde,  über die ersten öffentlichen Diskussionen wie die Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz von 1959, bis hin zur Sequenz „Geschichte und Erinnerung", in der auf den Bewusstseinswandel in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen wird. Dort werden auch der mehrteilige Fernsehfilm Holocaust und der sogenannte Historikerstreit über den Stellenwert des Holocaust in der deutschen Geschichte angesprochen. Zu sehen ist ausserdem ein Modell des Denkmals für die deportierten Berliner Juden, das seit 1991 am Güterbahnhof Grunewald steht.

 

Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im deutschen Raum zieht sich als zentrales Thema durch die gesamte Ausstellung. Nicht nur dem Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung wird also breiter Raum gewidmet, sondern vor allem auch die jüdische Geschichte vor dem 20. Jahrhundert wird dem Besucher näher gebracht. n

 

Andrea Brait ist Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC) am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien

  

1   Vgl.: Czech, Hans-Jörg: Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen - Ziele und Strukturen der Ständigen Ausstellung, in: Ottomeyer, Hans (Hrsg.): Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen, Wolfratshausen 2007.

2   Oppenheimer war 1733 von Herzog Karl Alexander von Württemberg zum Geheimen Finanzrat ernannt worden. Er stärkte das absolutistische Regiment des katholischen Herzogs gegen die protestantischen Stände Württembergs und zog damit deren Hass auf sich. Als der Herzog 1737 plötzlich starb, wurde Oppenheimer gefangen genommen und wegen angeblichen Hochverrats am 4. Februar 1738 in Stuttgart öffentlich hingerichtet. Im Haus der Geschichte Baden-Württembergs wurde von 14. Dezember 2007 bis 7. September 2008 eine Sonderausstellung über den nationalsozialistischen Spielfilm Jud Süß gezeigt, der die Geschichte Oppenheimers für Propagandazwecke missbrauchte.