Juni 1938: Der Transport von Bettina Ehrlichs Werken von Wien nach England
Für Bettina Bauer-Ehrlich (1903 Wien–1985 London) war ihre künstlerische Tätigkeit von hohem Wert. Ihre in Wien, aber auch in Paris entstandenen Bilder liess sie laufend von professionellen Fotografen auf Glasplatten dokumentieren. Vor 1938 konnten sich die Besucher in Ausstellungen informieren, wie ihre Bilder ausgesehen haben – und Bettina musste auch Kritik einstecken. Heute sieht die Sache anders aus. Es gibt nur die Foto-Negative aus dem Nachlass von Bernd Kreuter im Archiv des Belvedere.
Max Kurzweil: Bettina Bauer, 1907. Das dargestellte vierjährige Mädchen ist die Nichte von Adele Bloch-Bauer, Maria Altmann ist ihre Cousine. Österreichische Galerie Belvedere, ID 5197. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kurzweil_–_Bettina_Bauer,_1907.jpg
Eine Ausnahme bildet das originale Ölbild Stilleben mit Negermaske des Jahres 1928 aus ihrer Wiener Zeit, heute in Salzburger Privatbesitz. Dieses Werk zeigt Bettinas Qualitäten als Vertreterin der „Sachlichkeit“ auf der Höhe ihrer Zeit. Am 26. April 2017 hielt eine Kuratorin des Jüdischen Museums Wien, Andrea Winklbauer, im Rahmen der Ausstellung Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938 den Vortrag Die verschollenen Bilder von Bettina Ehrlich-Bauer. Auch sie vertraute der Angabe, Bettina habe ihre Werke 1938 bei ihrem Aufbruch ins Exil in Wien zurückgelassen, während sie die Arbeiten ihres Ehemannes Georg Ehrlich (1897 Wien–1966 Luzern) rechtzeitig nach England bringen konnte und damit die damals noch vorhandenen Grafiken und Plastiken rettete. Es bedurfte erst langjähriger Recherchen vieler Wissenschaftler, die in mühevoller Arbeit das Material zum Thema des jüdischen Kunstbesitzes, seines Raubes oder seiner Rettung sichteten, bis klar wurde, dass sich in vielen der biografischen Darstellungen über Jahrzehnte Fehler gehalten hatten.
Ausfuhrakt. Quelle: BDA, Archiv, Ausfuhrmaterialien, Zl. 1156/1938, Ehrlich Bettina. Alle Rechte: Bundesdenkmalamt Wien, mit freundlicher Genehmigung.
Auch im Fall von Bettina Ehrlich handelt es sich in diesem Punkt ihrer Biografie um eine lange Jahre hindurch fälschlich interpretierte Information, die von einem zum anderen Autor übernommen wurde. Es wäre eine herzerweichende Geschichte: eine Frau rettet die Werke ihres Mannes und opfert dafür ihre eigenen! Auch wenn die Autorin zwölf Jahre lang mit Bettina Ehrlich freundschaftlichen Kontakt pflegte, so erhielt auch sie keine Information über den Verbleib von Bettinas Werken. Über die Vergangenheit wurde nicht gesprochen, so war es üblich. Tatsächlich existiert ein Dokument, das beweist, dass Bettina sehr wohl einen Transport ihrer Werke nach England organisiert hatte, der auch tatsächlich durchgeführt wurde. Dieses Dokument betrifft nur Bettina.
Das Ansuchen um Ausfuhrbewilligung ist mit dem Datum vom 25. Mai 1938 versehen; die Ausfertigung erfolgte durch das Bundesministerium für Finanzen. Das Dokument ist drei Mal gestempelt: Zentralstelle für Denkmalschutz im Bundesministerium f. Unterricht. Die Zustellung des Ansuchens ergeht an die Transportfirma E. Bäuml unter der Adresse Kantgasse 2 im ersten Wiener Gemeindebezirk. Absender ist Bettina Ehrlich mit ihrer Wiener Wohnadresse in der Taubstummengasse 13 im vierten Bezirk. Bestimmungsort ist „London“. Ihre Schwester Mira Marie Bauer (1901–1944) sowie Georg sind schon dort. Gegenstand Nummer 3 verzeichnet die Angabe des Umzugsgutes, die Ausfuhr erfolgte laut Bescheid gebühren-
frei:
„11 Aquarelle, 18 Oelbilder, 1 Lithografie, 1 Radierung, 5 Zeichnungen, div. Moderne Oelbilder und Zeichnungen in Rollen Mappen und Kisten ungestempelt“.
Die Gültigkeit des Bescheids endete am 25. Juni 1938. Otto Demus (1902–1990) unterschrieb als Leiter der Zentralstelle für Denkmalsschutz. Ein Stempel auf dem zweiten Blatt besagt, dass nach Grenzaustritt der Akt wieder an die Zentralstelle für Denkmalschutz zurückgesendet werden sollte.
Das zweite Blatt enthält den Stempel der Bahn des Wiener Nordbahnhofs, die handschriftliche Eintragung des Verladevorgangs am 30. Juni in den Waggon 29770, das Datum des Wiener Zollamts vom 30. Juni, des österreichischen Zollamtes in Passau am 1. Juli sowie die Übergabe des nummerierten Waggons mit „unverletztem Verschluss nach Deutschland“ am 1. Juli 1938.
Man kann annehmen, dass bei aller gegebenen bürokratischen Sorgfalt der Transport ohne weitere Hindernisse England erreichte.
Die wichtige Information dieses an sich primitiven Transportpapieres erfordert, Abschied zu nehmen von Bettinas Verhalten gegenüber den eigenen Werken. So klärt sich in einem Punkt ein langjähriger Irrtum. Dank der Digitalisierung vieler jüdischer Dokumente gibt es in den letzten Jahren viele neue Informationen zum Schicksal der vertriebenen Künstler. Für Bettina Ehrlich gilt: Trotz einer Fülle hinterlassenen Materials in Form von Bilddokumenten bleibt die Frage offen: Gibt es die damals aus Wien nach England transportierten originalen Bilder noch?
Grabmal Bettina Bauer-Ehrlich und ihres Mannes Georg Ehrlich, Wien, Zentralfriedhof, Gruppe 40. Foto: Haeferl. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:
Wiener_Zentralfriedhof_-_Gruppe_40_-_Grab_von_Georg_und_
Bettina_Ehrlich.jpg
Quelle
Bundesdenkmalamt Ausfuhrkartei. Antrag der Firma Bäuml.
Nachlese
Renata Kassal-Mikula, Recherchen zum Leben von Bettina Ehrlich (1903 Wien – 1985 Wien), in Vorbereitung.