Ausgabe

Antisemitismus- Sammelband

Robert Schild

Inhalt

Corry Guttstadt/ Sonja Galler (Hrsg.): Antisemitismus in und aus der Türkei.

Landeszentrale für Politische Bildung Hamburg/ Interkulturelle Werkstatt/ TürkeiEuropaZentrum, Hamburg 2023.

547 Seiten, Schutzgebühr Euro 5,00.-

Bestellungen (Euro 5,00.- plus Versandkosten) per Email: gegen-antisemitismus@ikw-hamburg.de

 

Ein Ende 2023 in Deutschland erschienener Sammelband mit diesem Titel, herausgegeben von Corry Guttstadt und Sonja Galler, unterstreicht ohne jegliche Zweifel diese Behauptung, vermittels gut recherchierter, fundierter Beiträge von dreissig Autoren – zum Teil namhaften Wissenschaftlern. Die Turkologin und Historikerin Guttstadt ist dem Verfasser dieser Zeilen gut bekannt. Er kann sie zu diesem Thema als „Expertin“ bezeichnen – auch hatte er sich vor über fünfzehn Jahren bei der türkisch-jüdischen Gemeinde aktiv um die Bekanntmachung ihres umfassenden und durchaus wertvollen Bandes Die Türkei, die Juden und der Holocaust (2008, Berlin/Hamburg) bemüht. Diese bedeutende, eine Vielzahl von „bequemen“ Tabus umwerfende Abhandlung wurde anschliessend auch ins Türkische (und Englische) übersetzt. 

 

Der rund 550 Seiten starke Sammelband gliedert sich in sechs Hauptkapitel: Nach einer „theoretischen“ Einleitung von Dana Ionescu, die sich dem Thema Motive und Erscheinungsformen des modernen Antisemitismus widmet, behandelt ­Louis Fishman (City University, New York) im ersten Kapitel die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Europa nach Konstantinopel exportierten judenfeindlichen Verschwörungstheorien, welche jedoch schon damals „auf scharfe Kritik osmanischer Intellektueller“ (siehe Einleitung) stossen sollten. Wichtiger waren die seit dem „falschen Messias“ Sabbatai Zwi im 17. Jahrhundert aufgekommenen Anschuldigungen gegen die Dönme (Kryptojuden) als „Heimliche Herrscher der Türkei“, die teilweise bis heute reichen – ausführlich beschrieben und kommentiert von Marc D. Baer (LSE). Diese, sowie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch andauernde sonstige Verschwörungstheorien werden in den nachfolgenden zwei Abschnitten weiter ausgebaut, so unter anderem über das Wirken des Stürmer-Jüngers Nihal Atsız, dessen Artikel 1934 zu Po­gromen im europäischen Teil der Türkei führen sollten. Kapitel zwei und drei beschäftigen sich mit antisemitischen Entwicklungen bis in die heutige Türkei – ausgehend vom „Vordenker für Islamisten und Rechtsnationalisten“ Necip F. Kısakürek, nach dem zahlreiche staatliche Kulturstätten heute noch benannt sind und dessen Theaterstücke besonders von gesponserten Bühnen ohne Unterlass aufgeführt werden (Swante Cornell); über den Begründer der islamisch orientierten Innenpolitik Necmettin Erbakan (Rıfat N. Bali) mit seiner Verteufelung des „internationalen Judentums“ sowie deren Wurzeln im Israelbezogenen Antisemitismus in der Türkei (Duygu Atlas), bis hin zu den Chaos-Juden George Soros und Osman Kavala, wobei letzterer, ein Kulturmäzen, seit über sieben Jahren in türkischer Haft ist (Tanıl Bora). Im vierten Hauptkapitel betrachten der Aktivist Nesi Altaras, die Medienspezialistin Aysel Özdilek, die Autorin Lizi Behmoaras und Laurent Mignon (Oxford) den Antisemitismus in den türkischen Medien, populären Fernsehserien und der nationalen Literaturlandschaft. Die darauffolgenden drei Artikel von Sina Arnold, des Journalisten Jan Rübel und Kemal Bozay (Köln) widmen im fünften Kapitel ihre Untersuchungen von dem sozusagen „exportierten“ Antisemitismus aus der Türkei in Deutschland. Schliesslich werden im sechsten Hauptkapitel, etwas pessimistisch betitelt mit Schwierige Perspektiven – Aktivitäten gegen (den türkischen) Antisemitismus, Einzelthemen aus rechtlicher Sicht (Murat Ruben), zur Regierung (Thomas Schmidinger), der lokalen Zivilgesellschaft (Ayşe Günaysu) und schliesslich hinsichtlich der Gleichgültigkeit gegenüber Antisemitismus (Karel Valansi) vorgetragen.

 

Abschliessend wäre zu bemerken, dass dieser Sammelband eine starke Parallelität zur „Methode“ des türkisch-jüdischen Historikers und Publizisten Rıfat Bali zeigt, der in seinem fast unzählbaren Schriftgut seit über 25 Jahren nur die negativen Seiten des türkisch-jüdischen Verhältnisses seit 1923 behandelt. Eine davon abweichende, eher realistisch bezogene Untersuchung der Wurzeln und Motive des türkischen Antisemitismus sowie dessen Aufnahme und Demonstrierung seitens der lokalen Bevölkerung selbst zeigt der vorangehende Artikel des Verfassers (Seite 20ff) auf: Die Türkei und der Antisemitismus.