Christoph Tepperberg
Hamed Abdel-Samad / Philipp Peyman Engel: Was darf Israel? Ein Streit.
München: DTV 2025.
160 Seiten, Euro 16,00.- (Hardcover), Euro 12,99.- (eBook)
ISBN: 978-3-423-44876-5
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 in Gizeh (Ägypten), ist ein ägyptisch-deutscher Politikwissenschaftler und Publizist. Er studierte Sprachen und Politikwissenschaft, arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft in Erfurt sowie am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur in München.
Philipp Peyman Engel, geboren 1983 in Herdecke (Ruhrgebiet), ist als Sohn einer persischen Jüdin und eines deutschen Vaters im Ruhrgebiet aufgewachsen. Der Journalist ist Chefredakteur der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine.
Was darf Israel? Selten konnte ein Buch derart faszinieren wie das der beiden Autoren. Der Einfachheit halber nennen wir die beiden mit ihren Vornamen Hamed und Philipp. Die beiden sind namhafte deutsche Publizisten, brennen für ein und dieselbe Sache: für Frieden und Gerechtigkeit in Europa und in Nahost. Der eine ist Muslim, der andere Jude. Beide leben in Deutschland. Hamed wird wegen seiner kritischen Haltung gegenüber dem radikalen Islamismus und wegen seines Kampfes gegen den Antisemitismus angefeindet. Wegen dieser „Tabubrüche“ wurde 2013 eine Fatwa gegen ihn verhängt. Er lebt seither unter permanentem Polizeischutz. Philipp war von Hamad wegen dessen Kampf für Gerechtigkeit immer schon beeindruckt.
Mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und den dadurch ausgelösten Gaza-Krieg hat sich die Lage im Nahen Osten dramatisch verschärft. International kippt die Stimmung, auf den Strassen Europas skandieren radikale Islamisten und linke Aktivisten antisemitische Parolen. Doch auch in Israel wächst der Protest gegen die Regierung Netanjahu. Eine offene Debatte über den Nahostkonflikt ist mittlerweile kaum noch möglich. Nur wenige Staaten befürworten die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest in Wien. Es gibt einen internationalen Boykott gegen Künstler, Unternehmer und Wissenschafter aus Israel. Man erwägt international Sanktionen gegen den Staat Israel und dessen Institutionen. An Amerikas Universitäten werden jüdische Studenten offen diskriminiert und attackiert.
Auf der anderen Seite wird Hamed, der noch vor kurzem in der jüdischen Community gern gesehener Gast gewesen ist, von Diskussionen und Auftritten ausgeladen. Unterschiedliche Ansichten gibt es auch unter Freunden: Hamed und Philipp tauschten sich in höchst kontroversen Nachrichten aus. Um diese Kontroverse nicht weiter zu eskalieren, haben sich die beiden darauf verständigt, ihre Korrespondenz in Buchform zu publizieren und damit ihre Argumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Am 18. September 2025 gab es auf ServusTV unter dem Titel „Gaza brennt: Was darf Israel?“ eine Diskussionsrunde, bei der die beiden ihr neues Buch präsentieren und ihre Argumente mit anderen Gesprächspartnern austauschen konnten.
Die Korrespondenz der beiden besteht aus zwölf Briefen, wobei die Mitteilungen Hameds meist ausführlicher sind als die Philipps. Natürlich ist es im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, die Korrespondenz im Detail zu besprechen. Die Argumente können hier nur in ihren Grundlinien vorgetragen werden. Einiges davon mag daher auf den Leser altbekannt oder sogar banal wirken.
Hamed, der bislang weitgehend die Sache Israels vertreten hatte, wirft Israel unverblümt vor, in Gaza einen systematischen Genozid zu begehen. Philipp hält dagegen: Die UN-Völkermordkonvention definiere Genozid / Völkermord als Handlungen, „die in der Absicht begangen“ werden, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.“
Eine „Absicht“ Israels sei allerdings nicht zu erkennen. Trotz aller Gegenargumente bleibt Hamed bei seinem Postulat des Völkermordes. Es ginge nicht um ein Festhalten an formalen Begriffen, während ein Volk, unter welchem Rechtstitel auch immer, seit Jahren gedemütigt, drangsaliert, letztlich ausgelöscht werde. Er begründet dies mit der „Apartheitspolitik“ Israels, der faktischen Ungleichbehandlung und „Kolonialisierung“ der Palästinenser seit der Staatsgründung Israels.
Philipp beruft sich auf den einseitig von Arabern gebrochenen Teilungsvertrag von 1947. Hamed kontert, Israel habe seither sämtliche Beschlüsse der UNO negiert. Die Hamas sei zwar eine Terrorgruppe, ihre Genese sei allerdings in der Unterdrückungspolitik Israels zu suchen. Er hält es sogar für möglich, dass Netanjahu das Gemetzel vom 7. Oktober wissentlich geschehen liess, um rigoros gegen Gaza vorgehen zu können! Er sieht Netanjahu als Geburtshelfer der Hamas. Wegen permanenter Unterdrückung der Palästinenser sei der schreckliche Tunnelbau sozusagen eine Notwehrhandlung der Hamas gewesen.
Philipp hält dagegen, dass die Schreckensmeldungen und Bilder der Unterdrückung weitgehend auf einseitigen palästinensischen Quellen beruhten, die ganze Welt nur arabischen Gaza-Journalisten glauben schenke, Israel hingegen den „Krieg der Bilder“ längst verloren habe. Er bringt das bekannte Argument, die Hamas missbrauche die Bevölkerung immer wieder als Schutzschilde. Er argumentiert, die Hamas setze seit Jahren Hilfslieferungen des Westens in korruptiver Weise ein, und Israel misstraue diesem Verteilersystem zurecht. Schliesslich unterstellt Philipp, das Tunnelsystem des Terrors habe nur durch Missbrauch der grosszügigen finanziellen Zuwendungen des Westens entstehen können. Das Terrornetzwerk der Hamas setze nur auf eigenen Macherhalt, es kümmere sich nicht um die Sorgen und Nöte der palästinensischen Bevölkerung.
Hamed entgegnet, der brutale Krieg der Regierung Netanjahu nutze niemandem, er sichere nur das Überleben der Hamas. Umgekehrt meint Philipp, die Sanktionen gegen den Staat Israel und dessen Institutionen seien kontraproduktiv, sie ermöglichten allenfalls die Wiederwahl des „unbeliebten“ Netanjahu.
Das sind im Groben die von den beiden Autoren ausgetauschten Argumente. Bei allen Gegensätzen wollen sie im Gespräch bleiben, sich weiterhin für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Wer die interessanten, in die Tiefe gehenden Details kennenlernen will, wird das spannende Büchlein mit Gewinn lesen. Inzwischen gab es Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln und den Rückzug der Israelischen Armee aus Gaza. So wollen wir auf einen baldigen und beständigen Frieden in Nahost hoffen.