Michael Bittner
Rafael Seligmann: Keine Schonzeit für Juden. Die Antwort eines Betroffenen. Freiburg im Breisgau/Basel/Wien: Herder Verlag 2025.
Kartoniert, 191 Seiten, Euro 18,00.-
ISBN 978-3-451-07409-7
Wenn man das Buch zu lesen beginnt, kommen einem diese Betrachtungen aus einem fremden Land seltsam bekannt vor: Die Schelte, die Bundespräsident Steinmayr in der Einleitung abbekommt, tat mir seltsam gut, ich erinnere mich noch an seinen Vergleich Österreichs mit Ouagadougou, ja, auch deutsche Politiker können so wie österreichische sein.
So wird einem der Autor sympathisch, man erkennt Ähnlichkeiten in der Weltsicht und beginnt sich mit seinen Ansichten zu identifizieren, obwohl man bei der weiteren Lektüre daraufkommt, dass der Autor – wie in Deutschland üblich – zu viel deutsche Nabelbeschau betreibt. Dies war der Grund, warum ich mein Abonnement einer deutschen Zeitschrift gekündigt habe, den Deutschen geht es leider immer nur um Deutschland und sie nehmen das wichtig, was dort passiert.
Insofern ist Seligmann ein typischer Deutscher, auch wenn er in Israel geboren wurde, doch er ist Jude und daher anders, nicht einer der schenkelklopfenden Teutonen. Er ist kritisch, er polarisiert, er nennt viele Dinge beim Namen, um die die deutsche Intelligentsia sorgsam herumgendert.
Juden sind Aussenseiter, nicht nur im Nachbarland, die Unterstützung Israels ist ein Lippenbekenntnis, und seit dem 7. Oktober ist ohnehin alles anders. Ich stimme mit Herrn Seligmann völlig überein, frage mich nur, warum es anders sein sollte. Der Lack der Toleranz ist ab, die hässliche Fratze des Antisemitismus ist wieder da, wie einst 1933, bei uns 1938. Sie war niemals weg, tarnte sich hinter politisch korrekten Phrasen und gespielter Empörung, wenn „Einzelfälle“ passierten.
Der 1947 geborene Seligmann lebt seit seinem zehnten Lebensjahr in Deutschland, stieg vom Lehrling zum Akademiker auf und schrieb Romane, Sachbücher, Essays und Kolumnen. Seine Bücher kreisen fast alle um seine Familiengeschichte, wie Rafi, Judenbub (2022), Hannah und Ludwig (2020), und Lauf, Ludwig, lauf! (2019). Kontrovers aufgenommen wurde sein Versuch, der Liebe der Deutschen zu Hitler nachzuspüren im Buch Hitler: Die Deutschen und ihr Führer (2004). Als Journalist gründete er mehrere Periodika, die nicht lange lebten, etwa die Jewish Voice from Germany, die 2012 bis 2019 erschien.
In allem, was er schrieb, provozierte er einmal die einen, einmal die anderen, ein Qualitätsmerkmal für einen Schreiber, der sich der Veränderung verpflichtet fühlt. Daher wurde er auch, wie alle, die nicht im Mainstream mitschwimmen, als „Nestbeschmutzer“ verunglimpft, absurd, wenn man sich ansieht, wie schmutzstarrend das deutsche Nest seit Kohl und Merkel geworden ist.
Seligmanns Bücher und Artikel kreisen alle um das Jüdischsein in Deutschland, er tritt für Normalität ein, aber auch für den Streit „wie in der Judenschule“ als Therapie der Nachkommen von Opfern und Tätern des Holocaust. Der vorliegende Band versammelt Erlebnisse aus den letzten Jahrzehnten, die in Anekdotenform das verkrampfte Verhältnis deutscher Politiker und Medien zu den wenigen Juden in diesem Land zeigt. „Wo bleiben die jüdischen Fragen?“ herrschte ihn Merkel bei einem Interview an, als ob Juden nicht dieselben Probleme wie alle anderen hätten?
Dass Seligmann moniert, deutsche Medien berichteten nicht objektiv über Israel und Palästina, ist beruhigend, denn auch bei uns lässt man nur noch die arabische Seite zu Wort kommen. Die Nibelungentreue Deutschlands gegenüber Israels wird von der Regierung gebetsmühlenartig wiederholt, in den Etagen darunter – Medien, Universitäten, Mann von der Strasse - ist das Gegenteil der Fall, der Antisemitismus alltäglich. Schon Jahre vor dem 7. Oktober riet Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland in einem Rundschreiben, sich in Deutschland nicht mit der Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Zurück zum Autor, der trotz seiner brillanten Karriere meint, Juden würden in Deutschland benachteiligt. Sieht man sich selbst als Aussenseiter, so besteht die Gefahr, dass man andere Aussenseiter zu Helden hochstilisiert, wie etwa die von Merkel aus dem Hut gezogene und dann wieder abmontierte Annegret Kramp-Karrenbauer (sie wäre an ihrem Namen ohnehin gescheitert). Und ein wirklicher Aussenseiter ist Seligmann nicht, obwohl er gerne einer wäre, ein solcher wird nicht Regierungsberater, schreibt nicht für die FAZ, hat keine Chance, seine Bücher in hoher Auflage herauszubringen.
Bei der weiteren Lektüre fragte ich mich, hat Seligmann – so wie ich – auch den Satz von Günther Eich in seinem Büro aufgehängt: „Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien“? Er spart nicht mit Kritik, doch ist diese ausnahmslos berechtigt. Gegen Ende des Buches kokettiert er dann mit seinem eigenen Vorlass und Ableben, naja, am Schluss gibt es noch einen Funken Hoffnung – hat der lebenslange Kampf für eine Stellung der Juden, wie sie vielleicht früher einmal gewesen sein mag – etwa zu Kaiser Wilhelms Zeiten –, hat dieser Kampf etwas genützt, wenn nur mehr ein Funken Hoffnung bleibt? Wir hoffen es.
