Ausgabe

Die Autobiografie von Peter Schäfer

Evelyn Adunka

Inhalt

Peter Schäfer: Judaistik im Geist der Philologie. Erinnerungen. Göttingen: Wallstein Verlag 2025.

318 Seiten, Euro (A) 28,80 .-

ISBN 978-3-8353-5976-5

https://www.wallstein-verlag.de/autoren/peter-schaefer.html

 

Peter Schäfer, geboren 1943 als ältester von drei Söhnen in eine kleinbürgerliche, bäuerliche und patriarchale Familie in der Kleinstadt Hückeswagen in Nordrhein-Westfalen, wurde einer der renommiertesten deutschsprachigen Judaisten. In den fünfziger Jahren lebte die Familie in Mühlheim am Main, in dessen Stadtverwaltung der Vater eine Stelle gefunden hatte. Die erste historische und philosophische Lektüre fand Schäfer in Büchern, die sich seine Eltern ausgeliehen hatten oder die er sich in der grössten Mühlheimer Buchhandlung kaufen konnte.

Nach dem Abitur begann er ein Studium der katholischen Theologie. Sein Leben als Priesteramtskandidat, anfangs im Kölner Collegium Albertinum, war ein unfreies „Pseudo-Mönchsleben“. Es war nicht sein Weg, und Schäfer beschreibt ausführlich sein „renitentes Verhalten“ und die einzelnen Schritte der Befreiung.

 

Das Theologiestudium führte ihn zum Studium der hebräischen Sprache. Es war eine Sprache, „deren innere Logik“ ihn faszinierte. Bei Charles Horowitz, „einem orthodoxen jüdischen Gelehrten“, machte Schäfer die erste Bekanntschaft mit neuhebräischen Texten. Horowitz verfasste auch das Gutachten für sein erstes Stipendium in Israel. Aus Rücksicht auf seine Eltern bat er „ganz offiziell beim Essener ‚Ruhrbischof’ Franz Hengsbach um Beurlaubung“.

 

Im Studentenheim gab es nur Doppelzimmer, aber Schäfer machte folgende Erfahrung: „Keiner wollte mit einem deutschen Goj zusammenwohnen.“ Also wurde ein Druse, später ein bekannter Journalist, sein Zimmergenosse. Im damaligen Jerusalem gab es laut Schäfer eine einzige deutsche Studentin, Barbara Siems, die Tochter eines Hamburger Rechtsanwalts, der sich auf das Restitutionsrecht spezialisierte. 1969 wurde sie die Ehefrau von Peter Schäfer.

 

Barbara Schäfer machte sich in der Folge in der Zionismusforschung, als Autorin der Bücher Berliner Zionistenkreise und Historikerstreit in Israel und mit Alexander Bein als Herausgeberin der Briefe und Tagebücher von Theodor Herzl einen Namen.

 

In Jerusalem beeindruckten Schäfer besonders die Professoren Isaak Leo Seligmann und Ephraim E. Urbach. Er wünschte sich ein zweites Studienjahr in Israel, das er realisieren konnte, und wollte in Judaistik promovieren. Die Judaistik stand in der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren jedoch noch in ihren ersten Anfängen. Mit Arnold Goldberg, der sich 1965 in Freiburg habilitiert hatte, fand Schäfer seinen Doktorvater für eine Dissertation über die klassische rabbinische Literatur.  

 

Johann Maier, ein Schüler von Kurt Schubert in Wien, erhielt 1966 eine Professur für Judaistik am Martin-Buber-Institut in Köln. Er bot Schäfer nach seiner Habilitation 1973 eine Stelle an. Schäfer war dankbar für dieses grosszügige Angebot, er fand Maier aber „hierarchisch geprägt“.

 

Maier und seine Frau, deren Vorname Schäfer nicht nennt, hatten ihre einzige Tochter bei einem tragischen Unfall verloren. Anfangs wohnten die beiden Paare im gleichen Haus und die Maiers freuten sich über die Kinder der Schäfers. Mit dem zweiten Assistenten, Hermann Greive, der wie Schäfer auf eine reguläre Professur wartete, blühte laut Schäfer das Institut  in diesen Jahren, und die Studentenzahlen stiegen kontinuierlich an.

 

Ende der 1970er Jahre wurde Schäfer erstmals zu einer Tagung in den U.S.A. eingeladen. Gastgeber war Jacob Neusner von der Brown University, der 2004 Schäfer und zwei weiteren Judaisten die „demolition of historical Judaism“ vorwerfen wird. 1979 folgte eine Einladung an das Hebrew Union College in Cincinnati durch Jacob Petuchowski, der aus Berlin stammte. Schäfer schreibt: „Das war wieder eine ganz andere Welt: liberal, offen, grossbürgerlich, aufgeschlossen für andere Richtungen und Meinungen.“

 

1978 erhielt Schäfer ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt über die frühe jüdische Mystik. In Köln fand Maier keine adäquaten Räume für die Mitarbeiter; ein Kollege konnte ihm aushelfen. Die Ergebnisse des Projektes erschienen nach einer Absage durch Brill bei Mohr Siebeck, was Schäfer so kommentiert: „Der Beitrag, den der Verlag Mohr/Siebeck zur Etablierung der Judaistik/Jüdische Studien in Deutschland geleistet hat, kann kaum überschätzt werden.“

 

Als in Berlin eine Judaistikprofessur ausgeschrieben wurde, bewarb sich Schäfer. Nach einem Besetzungsverfahren, das eine „unendliche Geschichte“ wurde, erhielt er ab 1983/84 diese Professur.

 

Währenddessen spielte sich im Jänner 1984 in Köln eine Tragödie ab. Eine Studentin des Instituts, Sabine S. Gehlhaar, schoss auf Greive, ihren Professor, der am nächsten Tag starb. Maier wurde leicht verletzt. Gehlhaar kam in eine psychiatrische Klinik und wurde „nach relativ kurzer Zeit“ als geheilt entlassen. Maier zog nach seiner Emeritierung 1996 nach Bayern.

 

In Berlin, schreibt Schäfer, entwickelte sich das Institut „prächtig“. Er lobt die Diskretion und Loyalität seiner Sekretärin, die er von Jacob Taubes übernahm, nennt aber nicht ihren Namen. Allerdings litt er unter den Attacken von Marianne Awerbuch, seiner Vorgängerin, und Niko Oswald.

 

1987 fand in Berlin der erste internationale Kongress für jüdische Studien im deutschen Sprachraum statt, und Schäfer wurde zum Präsidenten der European Association of Jewish Studies gewählt. In diesen Zeitraum fällt die Kontroverse über die Ausrichtung der Judaistik und der beginnenden Jüdischen Studien, nach der Gründung des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam. Schäfer streift dies nur und nennt den Gründer des Zentrums in Potsdam, Julius H.Schoeps, an keiner Stelle.

 

1992/93 erhielt Schäfer eine Einladung an das Institute for Advanced Studies in Princeton und eine Gastprofessur an die Yale Divinity School. Auch das Jewish Theological Seminary (JTS) lud ihn während dieses Jahres zu einer Lehrveranstaltung ein, was Schäfer als besondere Ehre betrachtete. Am Ende des Jahres fragte Ismar Schorsch, der Kanzler des JTS, ob er ihn für einen Lehrstuhl gewinnen könnte. Schäfer schreibt: „Ich war sprachlos – ein deutscher Nichtjude ausgerechnet am JTS, dem von mir schon lange verehrten Heiligtum des amerikanischen konservativen Judentums! […] Gleichzeitig sollte ich die Position des Direktors des Shaul Liberman Institute for Talmudic Research erhalten. Das war dann nochmals eine Steigerung […]. Eine Steigerung – und letztlich eine Steigerung zu viel, denn einem solchen Anspruch konnte jemand wie ich nicht gerecht werden.“

 

Von 1998 bis 2013 hatte Schäfer die „Ronald O. Perelman Professorship of Jewish Studies“ in Princeton inne. Er erhielt zwei Festschriften 2003 und 2013 (letztere in zwei Bänden, mit einem Beitrag von Günter Stemberger) und zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Ehrendoktorate der Universitäten von Utrecht und von Tel Aviv.

 

In Princeton lernte Schäfer Michael R. Blumenthal kennen, der „von Anfang an ein Faible für mich“ hatte. Der frühere amerikanische Finanzminister, der in Oranienburg bei Berlin geboren wurde, war ab 1997 Direktor des Jüdischen Museums Berlin.

2014 fragte Blumenthal, der “autoritär auftreten“ konnte und „keinen Widerspruch“ vertrug, Schäfer, ob er seine Nachfolge als Direktor des Museums antreten würde. Schäfers fünfjährige Amtszeit war jedoch von Konflikten überschattet, die er ausführlich schildert, und endete mit einem Eklat.

 

Es ist gut, dass diese lesenswerten, gut geschriebenen und mitunter selbstkritischen Erinnerungen keinen Namensindex enthalten. Interessierte und neugierige Zeitgenossen werden so gezwungen, sie ganz, und nicht nur passagenweise, zu lesen.

 

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