Woody Allen feierte am 30. November 2025 seinen 90. Geburtstag. Zu seinen berührendsten Filmen zählt wohl der mockumentary film "Zelig", eine Dokumentarfilm-Parodie aus dem Jahr 1983.
Um anerkannt und geliebt zu werden, nimmt der Buchhalter Leonard Zelig ("der Gesegnete", jiddisch) Art und Charakter seiner Gesprächspartner an, und zwar nicht nur, indem er sich genauso verhält wie seine wechselnden role models, sondern plötzlich auch genauso aussieht wie sie: unter Dienstboten wird er zum Dienstboten, unter Dicken wird er auch dick, und seine Hautfarbe wechselt er, je nachdem, wer neben ihm auf der Strasse geht; entsprechend steht Zelig unter Dauerstress. Prominente amerikanische Intellektuelle: Susan Sontag (1933–2004, Kulturkritikerin), Bruno Bettelheim (1903–1990, Psychoanalytiker) und Saul Bellow (1915–2005, Nobelpreisträger für Literatur), wie der Regisseur selbst Kinder jüdischer Flüchtlingsfamilien aus Europa, treten als sie selbst auf und kommentieren das Phänomen des assimilationsbesessenen Juden.
Leonard Zelig ist nicht bösartig, er tut niemandem etwas zuleide, er ist einfach nur seltsam. Erst als die "Wissenschaft" versucht, ihn zu einem "richtigen" Menschen zu machen und ihm das Anpassen abzugewöhnen, wird er aggressiv. Zuletzt gesteht der Film Zelig aber doch das zu, was sich jeder wünscht – ein glückliches Leben, akzeptiert und geliebt zu werden, so wie er eben ist.
Zelig ist ein sehr eindrückliches und eindrucksvollen Plädoyer dafür, sich selbst treu zu bleiben und zu sich selbst zu stehen, und zugleich eine beissende Satire auf den U.S.-amerikanischen Starkult, in dem Medien alles und jeden, und sei es noch so absurd, zum Star erklären, solange es sich nur entsprechend als "Sensation" verkaufen lässt. Der Film ist aber auch eine Liebeserklärung an das Land, in dem selbst ein von vornherein dezidiert als verrückt Erklärter leben und gedeihen kann. Dies geschieht, nicht ohne die (aus Europa importierte) Mode der Psychoanalyse zu karikieren, die behauptet, jeden kurieren zu können, wenn er sich denn nur ausgiebig genug seinem "Shrink" zuwende, und wo womöglich jeder (sofern er es sich leisten kann) seinen persönlichen Therapeuten hat, zu dem er jahraus, jahrein pilgert, um sich sein Leben erklären zu lassen.
Zu den bittersten Momenten des Films zählt wohl jene Szene, als Zelig hinter Adolf Hitler am Nürnberger Reichsparteitag 1933 auf der Rednertribüne steht. Der Regisseur lässt dies allerdings so denn doch nicht stehen (mit all den entsprechenden Assoziationen, die man an dieser Stelle zum Untergang abertausender assimilierter Juden in der Shoah unweigerlich hat – und zu Charlie Chaplin's Great Dictator von 1940, der hierfür Pate gestanden haben mag); der Film endet in einem Happy End: Zelig flieht aus NS-Deutschland, mit tatkräftiger Unterstützung seiner Psychiaterin/Therapeutin (Allens Langzeit-Partnerin Mia Farrow), sie werden ein Paar und leben glücklich bis ans Ende aller Zeiten.
Bitter ist das Fazit des Films, weil dieser Versuch, sich durch Anpassung an den Feind "unsichtbar" zu machen, für so viele Menschen in Tod und Vernichtung endete, in der Shoah, als die Mörder, die Denunzianten, die Mitläufer nicht unterschieden zwischen ihren Opfern, für die in ihrer mordlustigen Logik alle "Juden" das Ziel der Verfolgung waren, egal, wie sie sich verhielten, was sie dachten, oder wo sie persönlich sich politisch verorteten.
Bitter auch, weil der Film die Lebensrealität vieler vor dem NS-Regime in die U.S.A. Geflüchteter spiegelt, die sich mühten, sich in die aufnehmende Gesellschaft einzufügen und so oft scheiterten; weil sie ihre Positionen, die sie vor der Flucht innegehabt hatten, nicht mehr erreichen konnten – berühmte Ärzte mussten sich als Hausierer durchbringen, Künstlergenies fanden kein Publikum, viele verzweifelten, wurden krank, starben vor ihrer Zeit, nahmen sich das Leben, wurden verrückt.
In dieser Hinsicht reflektiert Zelig die tiefe Heimatlosigkeit der europäischen Juden im Exil. Zugleich aber waren die U.S.A. ein – bis in die jüngste Zeit unerschütterlich scheinendes – Fundament für die (abgesehen von Israel) zahlenmässig grösste jüdische Bevölkerung eines zusammenhängenden Staates weltweit. Somit kann der Film auch als Hommage an die amerikanische Gesellschaft gesehen werden, an das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", das hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen und ihnen ein neues Leben ermöglicht hat, als einziger grosser Zufluchtsort, an dem ein jüdisches Leben und Überleben seit dem Zweiten Weltkrieg ungestört und in allen Facetten und Schattierungen möglich war. Die grosse, vielfältige jüdische Bevölkerung New Yorks, Heimat für Woody Allens Familie von Emigranten aus Litauen und Österreich – aus der europäischen Nachkriegsperspektive und für viele woanders im Exil Gestrandete eine Art jüdisches Schlaraffenland – ist das eingängigste Beispiel dafür.
Der Film ist eine sehr kritische Reflexion auf die Frage nach der jüdischen ethnischen und religiösen Identität und deren Wert, den ihr eine nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft beizumessen bereit ist, und zugleich darüber, ob durch Assimilation beziehungsweise Überanpassung an die Umgebung die potenziell andauernd gefürchtete Verfolgung abgewendet werden kann. Gekonnt spielt der Regisseur mit der koketten Idee der Anpassung, die Ruhm und Ehre bringt – und die doch, wie wir erst heute wieder so drastisch erfahren müssen, den jahrhundertelang geübten Antisemitismus auf der ganzen Welt nicht überwinden kann, ja, ihm gar nichts entgegenzusetzen hat. Die Assimilation des jüdischen Menschen in der Gesellschaft, egal welchen Landes, scheint angesichts des in jüngster Zeit aufgeflammten Hasses und der nicht enden wollenden Serie blutiger Attentate gescheitert.

Woody Allens neuer Roman What's With Baum (2025), in dem der Held Ascher Baum in New York mit seinen Existenzängsten kämpft