Michael Bittner
Sarah Cohen-Fantl: Wie alles begann und sich jetzt wiederholt. Meine jüdische Familiengeschichte. Paderborn: Bonifatius-Verlag 2025.
Gebunden, 304 Seiten, Euro 26,50.-
ISBN 978-3-98790-100-3
Das Päckchen, das sich durch den Briefschlitz gequält hatte, fiel zu Boden. „Bonifatius“ stand zu meinem Schrecken darauf, wer mag das bestellt haben? Doch dann las ich „Cohen-Fantl“ und entspannte mich, endlich war das Buch gekommen!
Eine einzige kritische Anmerkung zu diesem Band: das Umschlagfoto. Warum muss man eine junge, gutaussehende Frau weichzeichnen? Das macht man bei Hundertjährigen, oder war das nur ein fotografischer Unfall, weil die im Wind fliegenden Haare scharf sind und die Augen verschwommen? Aber immerhin, keine KI!
Dafür ist das Buch wirklich lesenswert, der Werbetext übertreibt nicht, das kann man von den wenigsten Erzeugnissen des deutschen Literaturbetriebs behaupten. Es hat eine schöne Struktur, wie die Zöpfe beim Backen einer Challah sind die Handlungsstränge verschränkt, Familienerzählungen aus Auschwitz mit Erlebnissen der jüdischen Autorin nach dem 7. Oktober. So entsteht ein Text, der wie das heilige Brot für den Shabbat aus saftigen Strängen besteht, welche die schreckliche Vergangenheit der Familie in den Konzentrationslagern und die Leiden der Hamas-Geiseln miteinander verbindet, als dritter Strang kommt das Erlebnis des neuen Antisemitismus hinzu, mit dem die Autorin fertig werden muss, dazu ihre Berufung als Journalistin, Kriegsreporterin und Mutter in Israel und schliesslich ihr Leben in Deutschland, das sich radikal verändert hat.
Am Anfang ihrer Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte stand der Fund eines Koffers in Auschwitz. Der Name ihrer Urgrossmutter war darauf mit Kreide geschrieben. Sie entdeckte ihre jüdische Herkunft neu und beschloss, nach Israel auszuwandern, 2017, nach dem Tod ihrer Mutter, war es dann soweit. Die Autorin lebt heute mit ihrer Familie bei Tel Aviv, der vorliegende Band ist ihr Erstlingswerk.
Als Reporterin weiss sie, wie man schreibt, wie man das Wesentliche anspricht, das merkt man auch bei der Lektüre des Buches. Dies gilt für die selbst erlebten Szenen wie auch für die romanhaften Rückblenden in die Konzentrationslager. Hier ändert sich die Erzählperspektive, als Beobachterin schildert sie die Schrecken in Theresienstadt und Auschwitz durchaus plausibel, vielleicht nach den Erzählungen des Grossvaters? Die selbst erlebten Szenen wirken jedoch farbiger, eindringlicher, die Autorin hat zwischen Deutschland und Israel viel erfahren und erlitten.
Es ist fast schade, dass Cohen-Fantl nur dieses eine Buch geschrieben hat, es wäre Stoff für drei Bände vorhanden: diesen, nennen wir ihn „Pasticcio“, weil er die Erfahrungen mehrerer Generationen verarbeitet, dann einen Familienroman, der die Fast-Vernichtung einer Prager Familie zum Inhalt hat, aber noch detaillierter die Nachkriegszeit schildern könnte. Schliesslich einen dritten, der autobiografisch ihre Entwicklung zur selbstbewussten und überzeugten Jüdin und Israelin zeigt. Vielleicht kommt es ja noch dazu?
Zum Schluss wird dann noch das Familiengeheimnis gelüftet, das … wir natürlich nicht verraten, das würde dem Umsatz schaden. Also kaufen Sie das Buch!
