Ausgabe

Jüdisches Leben in Bern

Content

René Bloch/Jacques Picard [Hgg]: Wie über Wolken. Jüdische Lebens- und Denkwelten in der Stadt und Region Bern, 1200-2000.

Zürich: Chronos 2014.

527 Seiten, 69 Abbildungen, Euro 47,50

ISBN 978-3-0340-1219-5

 

Die Geschichte der kleinen, nur rund 340 Personen umfassenden jüdischen Gemeinde von Bern ist von weit mehr als nur lokalhistorischer Bedeutung. Dies zeigt der 25 Beiträge umfassende, überaus lesenswerte Sammelband „Wie über Wolken", der die Baugeschichte der 1906 eingeweihten Synagoge ebenso beschreibt wie die Geschichte der Gemeinde seit dem 11. Jahrhundert und ihrer Vertreibung im 15. Jahrhundert. In der Einheitsgemeinde wirkten sowohl liberale als auch moderat orthodoxe Rabbiner wie Eugen J. Messinger, Roland Gradwohl und Marcel R. Marcus. Die Juden waren in Handel und Gewerbe tätig und gründeten unter anderem das Warenhaus Loeb, eine Schokoladenfabrik und ein Textilunternehmen.

Die Berner Hochschule zog zahlreiche jüdische Professoren und ostjüdische Studenten an. Die russisch-jüdische Philosophin Anna Tumarkin wurde 1898 als erste Frau habilitiert. Der erste jüdische Rektor der Hochschule war der Völkerpsychologe Moritz Lazarus.

Ab 1890 lebte einer der bedeutendsten Ideologen der osteuropäischen Arbeiterbewegung „Bund", Vladimir Medem, in Bern; ein in dem Buch abgedruckter Auszug aus seiner Autobiographie „Die Berner Kolonie" beschreibt diese Zeit.  Aber auch berühmte jiddische Schriftsteller wie Shmuel Niger und David Einhorn lebten einige Jahre in Bern. Walter Benjamin und Gershom Scholem studierten während und nach dem Ersten Weltkrieg in der Stadt. Zu den jüdischen Intellektuellen, die es nach Bern zog, gehörten auch Micha Josef Berdyczewski, Chaim Zhitlowsky, Jakob Klatzkin und Yehezkel Kaufmann. Max Horkheimer, der in seinen letzten Lebensjahren in Montagnola lebte, ist am jüdischen Friedhof von Bern begraben. Ihm widmet Dan Diner die Betrachtung „Am Grab von Max Horkheimer". Der berühmteste jüdische Gelehrte der Stadt aber war Albert Einstein; ihm sind zwei Museen gewidmet.  

An der Universität gab es seit 1834 judaistische Lehraufträge. 2008 wurde eine Professur für Judaistik eingerichtet, die René Bloch innehat, der für den Überblick über die Judaistik im vorliegenden Band verantwortlich zeichnet.