Ausgabe

Rudolf Reuven Trostler in Eretz-Israel

Edina Meyer-Maril

Teil 2

Inhalt

Wie schwierig die Anfänge für die meisten Einwanderer waren, die seit Mitte der 1930er Jahre nach Israel kamen, ist hinlänglich bekannt. Dem Architekten Rudolf Trostler, von dessen Studium und ersten Innenraumgestaltungen sowie Wettbewerbsbeiträgen in Wien in der vorigen Ausgabe des DAVID berichtet wurde, ging es hier nicht anders.

 

So war er froh, dass er bald nach seiner Ankunft 1938 Arbeit fand: im Büro des damals schon bekannten Architekten Ze'ev Rechter, der mit seinem Engel-Haus, dem ersten Haus auf Stützen in Tel Aviv, den internationalen Stil eines Le Corbusier nach Eretz-Israel gebracht hatte. Allerdings blieb diese Tätigkeit, wie sich herausstellte, ohne Bezahlung. Er ging nach Jerusalem, wo Cora, die er inzwischen in Tel Aviv geheiratet hatte, eine Stelle als Kinderärztin gefunden hatte. 1939 wurde Trostler – wie viele seiner Berufskollegen – als Zeichner im Public Works Department (P. W. D.) der britischen Mandatsregierung eingestellt. In diesem Rahmen war er an der  Errichtung von Befestigungsanlagen und Polizeistationen beteiligt.

 

Noch bevor er 1946 Abschied vom britischen Militär nahm, schloss sich Trostler mit anderen Deutschsprachigen zu einer Gruppe zusammen, die sich United Architects Ltd [Ha’Mehandes] nannte und einer Art Architektenkollektiv war. Als erstes traten sie mit der vielbeachteten Ausstellung „Contributions to Planning in Palestine“ an die Öffentlichkeit. Vielleicht auch dank der Bekanntschaft mit Teddy Kollek, dem späteren legendären Bürgermeister von Jerusalem, wurde Trostler der Chefarchitekt der „Jerusalem Economic Corporation“. Eine der Hauptaufgaben dieses staatlichen Unternehmens war die Planung von Industriegebieten, die für die zahlreichen Neueinwanderer Arbeitsplätze schaffen und die Bevölkerung mit den notwendigen Waren versorgen sollten. Das damalige Jerusalem war über eine einzige Zufahrtsstrasse von Westen her nur schwer zu erreichen. Das bedeutete, dass hier Industriezweige geschaffen werden mussten, deren Rohstoffe leicht zu transportieren waren. Das unregelmässige Gelände erschwerte eine industrielle Bauweise und ausserdem stand bei Planungsbeginn nicht fest, wer die späteren Benutzer der hier errichteten Gebäude sein würden, lediglich eine Schuhfabrik war von Anfang an eingeplant.

 

Zeitgenössische Fotos zeigen den Baugrund als vollkommen kahle, felsige Hügel, weit entfernt von dem eigentlichen Kern der westlichen Neustadt. Die zahlreichen hier entstandenen Fabriken und Werkstätten fanden als reine Nutzbauten in der Fachliteratur kaum Erwähnung – ganz im Gegensatz zu den repräsentativen Gebäuden wie der Festhalle Binyanei Ha‘Uma, den Regierungs- und Museumsbauten sowie der Universität, die in unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber des Industriegebiets Romema errichtet wurden. Es ist eine schöne Ironie der Geschichte, dass einige der Industriebauten heute eine ausserordentliche Rolle im kulturellen Leben Israels spielen, wie beispielsweise die ehemalige Diamantenfabrik, die zusammen mit den grossen Hallen einer Spinnerei zum Fernsehsender umfunktioniert wurden. Die heute so florierende israelische Pharmaindustrie nahm ihre Anfänge in Trostlers standarisierten und modularen Bauten und die von ihn geplanten  Bäckereien beliefern heute nicht nur Jerusalem, sondern viele Teile des Landes, und tausende von Büchern verlassen täglich als geistige Nahrung die Druckereien. Die in einer Rekordzeit von hundert Tagen nach amerikanischem Vorbild errichtete Schuhfabrik war viele Jahre ein Wahrzeichen der Stadt. Schon an diesem ersten grossen Bau zeigt sich Trostlers Architekturauffassung. Der Bau ist funktionell durchdacht, und in seiner Schlichtheit, der kubischen Form und durch die horizontalen Fensterbänder ist die deutliche Fortsetzung des Internationalen Stiles zu erkennen. Trostlers besondere Handschrift ist jedoch an der Betonung des Einganges zu erkennen, dessen auffallend breite Umrahmung an die Skizzen erinnert, die er in Prof. Strnads Vorlesungen zur Architekturgeschichte gezeichnet hatte. Immer wieder sollte er dieses Motiv für die Bauten verwenden, die ihm wichtig schienen. Da solcher „Zierat“ jedoch ungewöhnlich für Architekten des reinen Funktionalismus war, konnte Trostler lange stilistisch nicht eingeordnet werden. Inzwischen hat sich der von Judith Eiblmayer und Iris Meder geprägte Begriff „moderat modern” durchgesetzt.

 

Trostler machte sich mit seinen fast fünfzig Industriebauten einen Namen und so sind bzw. waren seine Textilfabriken, Spinnereien und Webereien nicht nur in Jerusalem, sondern vor allem im Negev zu finden, der David Ben Gurions Plänen entsprechend von Neueinwanderern besiedelt werden sollte. In Dimona entstand eine Spinnerei für fünfhundert Arbeiter bzw. Arbeiterinnen, in einer Textilfabrik in Beersheva waren sogar noch mehr Menschen beschäftigt. Im Zuge der Globalisierung bezieht auch Israel seine Textilprodukte inzwischen zumeist aus asiatischen Billiglohnländern, aber die grossen Hallen sind zu Waren- und Verkaufshallen umfunktioniert worden.

Die Erfahrungen auf dem Gebiet des Hotelbaus, die Trostler bei dem Wiener Wettbewerb um den Kahlenberg gesammelt hatte, konnte er auch in Israel anwenden. Das 1947 geplante Erholungsheim für ehemalige Soldaten, später Judea Gardens genannt, bestand zwar aus bescheidenen Unterkünften, aber es bot zugleich ein Restaurant und Café, Tennisplätze und ein Schwimmbad – eine Seltenheit damals, und all dies geschickt in die terrassierte Landschaft eingepasst. Die Anlage wurde wegen ihrer europäischen Atmosphäre sehr geschätzt und später zu einer grossen Hotelanlage ausgebaut. Trostler konnte diese Richtung weiterführen und neben einigen Hotels in Jerusalem, Tel Aviv und Eilat bekam er weitere Aufträge für Erholungsheime: eines für Staatsbeamte in Kfar Witkin und eines für Polizisten in Zefat.

 

Im ersten Jahrzehnt nach der Staatsgründung leistete Trostler einen sehr wichtigen Beitrag zum Schulbau in Jerusalem. Es handelte es sich dabei um Grund-, Ober- und Berufsschulen, die er entweder als Neubauten schuf oder als Erweiterungen vorhandener Gebäude. Obwohl in den fünfziger Jahren Denkmalpflege in keiner Weise diskutiert wurde, ging Trostler respektvoll mit dem historischen Bestand in der Nachbarschaft um, etwa indem er verwandte Materialien und Proportionen nutzte. Hierfür ist die Amal-Berufsschule im Bucharischen Viertel ein sehr gutes Beispiel; allerdings lassen die Veränderungen aus dem Jahre 1989 dies kaum noch erkennen.

Obwohl Trostler sich nicht für den Massenwohnungsbau interessierte, auch nicht in Wien, wie er in seinen Erinnerungen schreibt – übrigens ebenfalls ein Aspekt, der ihn von jenen Architekten der Moderne unterschied, die gerade im „Roten Wien“ komfortable Wohnungen auch für weniger Bemittelte entworfen hatten –, hat er doch in Jerusalem zwei bemerkenswerte Siedlungen geschaffen, die gleich am Eingang der Stadt liegen. Sie fallen dadurch auf, dass die Häuser verputzt sind – entgegen den Vorschriften aus der britischen Mandatszeit, die für sämtliche Bauten in Jerusalem Steinverkleidung forderten. Trostlers Wahl von verputzten Häuserwänden hing damit zusammen, dass nach der Staatsgründung 1948 die meisten Steinbrüche jenseits der Grenze lagen.

 

1950/51 schuf Trostler mit der Rassco-Siedlung Häuser, die noch heute sehr gefragt sind und insbesondere von jungen Familien bewohnt werden. Durch eine Initiative der jetzigen Bewohner wurde ein ökologischer Nachbarschaftsgarten angelegt, der die Wohn-und Lebensqualität erheblich verbesserte. Im Gegensatz zu den damals verbreiteten Einzimmerwohnungen für Neueinwanderer mit einer Grösse von 29 Quadratmetern errichtete Trostler Zwei- bis Dreizimmerwohnungen in drei- bis viergeschossigen flachgedeckten Zeilenbauten, die sehr geschickt in das Gefälle der Landschaft eingepasst und durch kleine Brücken mit der Strasse verbunden sind. Als besonderen Luxus für die damalige Zeit haben die Wohnungen zwei Balkone, von denen der grössere von zwei Zimmern aus begehbar ist und der kleinere als Wirtschaftsbalkon genutzt wird. Bei der Grundrissgestaltung zeigt sich die schon in Wien gezeigte Fähigkeit Trostlers zur geschickten Raumausnützung.

 

Der am Bauhaus ausgebildete Fotograf Erich Comeriner hat die Entstehung einer weiteren von Trostler zusammen mit Dov Kuzinsky geplanten Nachbarschaftssiedlung in Kiryat Moshe im Bild festgehalten. Es handelt sich um zwei- bis dreigeschossige Reihenhäuser mit Satteldach, die sich, versetzt angeordnet, der hügeligen Topografie anpassen. Was die fertigen, verputzten Bauten nicht verraten, zeigen die Fotos vom Baubeginn: Die Häuser wurden nicht aufgemauert, sondern Fundamente und Wände wurden vor Ort in Beton gegossen und nur die Dreiecksgiebel für das Satteldach gemauert. Diese Häuser wurden von der gewerkschaftlichen Baufirma Solel Boneh hergestellt, für die Trostler 1956/57 das Bürogebäude in Jerusalem errichtete. Dieses Haus ist eines der markantesten Werke Trostlers und liegt gegenüber dem Baukomplex der Zionistischen Organisation, der ab 1928 nach Plänen von Yohanan Eugen Ratner errichtet worden ist. Trostlers kubischer, viergeschossiger Bau steht mit seiner Schmalseite zur Strasse. Diese symmetrische Eingangsfassade hat eindeutig auch repräsentativen Charakter durch die Betonung des grossen Fensters im dritten Geschoss, hinter dem sich der Sitzungssaal befindet. Aussergewöhnlich ist die vielfältige Steinbearbeitung und -farbigkeit. Trostler hat hier das volle Register der lokalen Bautradition gezogen, ohne jedoch auf Glas und Beton als Elemente des zeitgenössischen Bauens zu verzichten – eine für seine frühen Jahre sehr typische Entscheidung. Völlig anders wird die Steinverkleidung der Trostler’schen Bauten in den sechziger und siebziger Jahren. Grosse glatte, industriell bearbeitete Steinplatten sind hier bevorzugt, während die für ihn so typische Finesse der frühen Bauten verloren gegangen ist. Ob diese Entscheidungen aufgrund finanziellen Drucks getroffen wurden oder ob sich darin ein Wandel seiner ästhetischen Haltung ausdrückt, lässt sich aufgrund der auffindbaren Unterlagen nicht sagen.

 

Insgesamt hat Rudolf Reuven Trostler in Israel an die 150 Bauten geplant und die Mehrzahl davon auch gebaut. Dazu gehören viele Industrie- und Bürobauten, kommerzielle und gemeinnützige Anlagen, aber auch einige Siedlungen und Wohnbauten, die das Aussehen der Landschaft und der Städte noch heute prägen. Dazu kamen nach 1967 die Entwürfe von grossen Fantasiebauten für Jerusalem, die in engem Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zur Freimaurerei standen. Monumental gedacht sollten diese Bauten Zeichen setzen – vermutlich kann man heute von Glück sagen, dass sie nicht ausgeführt wurden. Trostler passte sich bei seinen Bauten in der Konstruktion und den verwendeten Materialien immer dem Zweck an und so ist sein Werk sehr vielfältig und abwechslungsreich: Stahl- und Betonskelettbauten, gemauert, verputzt oder mit Naturstein verkleidet, glatt oder rau. Auch Aluminium und Glas wurden verwandt, aber auch Holz und manchmal Keramikkacheln. Die Formen sind zumeist einfach, kubisch, unverziert, und es ist die vielseitige Steinbearbeitung oder Details wie Eingänge, die Struktur der Fassadengliederung oder die Fensterbänder, horizontal oder senkrecht, die die Eigenheit und Schönheit der Häuser ausmachen. Jeder Bau zeigt das Gefühl für Proportion, qualitätsvolle Verarbeitung innen und aussen ist selbstverständlich – so wie es Trostler in Wien gelernt hatte.