Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand eine von der Aufklärung geprägte Reformbewegung im Judentum. Damals erfuhren Mikwen sowohl von nichtjüdischer als auch reformorientierter jüdischer Seite zunehmend Kritik als gesundheitsschädigend und unhygienisch.
Sanitätspolizeiliche Reglementierungen und Empfehlungen für die Errichtung sowie Nutzung ritueller Bäder führten in vielen Gemeinden zur Schliessung, Adaptierung oder zum Neubau von Mikwen. Die Entstehungsgeschichte der Mikwe von Hohenems (Vorarlberg) fällt in genau diese Zeit. Das Gebäude mit einem grundwassergespeisten Tauchbecken wurde 1829 als Ersatz für ein „unzumutbares" Kellerbad errichtet und wahrscheinlich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Mikwe genutzt. Die Hohenemser Mikwe gilt derzeit als das älteste in Österreich erhaltene jüdische Ritualbad. 1
Vorgängerbauten
Aron Tänzer, der von 1896 bis 1905 in Hohenems als Rabbiner tätig war, berichtete im Jahr 1905 erstmals über die Mikwen in Hohenems: Es habe bestimmt schon im 17. Jahrhundert eine Mikwe im Ort gegeben. Tänzer vermutet das Ritualbad „in ganz alter Zeit im oder beim ehemaligen jüdischen Waschhause". Zum Ende des 18. Jahrhunderts befand sich eine primitive Mikwe im Keller der 1772 fertiggestellten Synagoge. Erste Bemühungen um ein beheizbares Bad seien im Jahr 1805 gemacht worden - aus Geldmangel konnte der Umbau damals allerdings nicht stattfinden.2
Im Februar 1810 schrieb Landgerichts- und Gemeindearzt Dr. Hollenstein dem Landgericht in Dornbirn und forderte die Errichtung einer beheizbaren Badeanstalt. Daraufhin wurde die Mikwe nach Plänen des Bregenzer Baumeisters Ensle (bzw. Einsle) umgebaut und heizbar gemacht. Dies geschah wahrscheinlich im Rahmen der Synagogen-Renovierung von 1816/17.
Neue Mikwe 1829
Die alte Gemeindemikwe im Synagogengebäude befand sich in einem kellerartigen Gewölbe. Durch starke Regenfälle und Hochwässer des nahen Emsbaches sei der Keller der Synagoge und somit auch die Mikwe mehrfach unter Wasser gestanden. Daraus resultierende Schäden verursachten wiederkehrend hohe Kosten.
Am 24. Oktober 1828 stellte die jüdische Gemeinde daher einen Antrag um Baubewilligung für eine neue Mikwe. Zunächst war geplant, die Mikwe direkt an die damals neu errichtete jüdische Schule anzubauen. Nach Anrainerprotesten und aufgrund von „schlechter" Wasserqualität am vorgesehenen Bauplatz wurde Ende April 1829 ein neues Grundstück neben der jüdischen Schule gekauft. Kurz darauf erstellte der Baumeister Josef Ammann aus Hohenems Pläne, Vorausmass und Kostenvoranschlag. Für die tatsächliche Umsetzung wurde der Entwurf allerdings modifiziert und der Bau insgesamt ein wenig verkleinert. Im Laufe des Augusts 1829 erteilten das Kreisamt in Bregenz und das Gubernium in Innsbruck ihre Genehmigung. Zur Finanzierung der Baukosten nahm die jüdische Gemeinde bei ihren Mitgliedern ein zinsfreies Darlehen auf, das innerhalb von sechs bis sieben Jahren abbezahlt werden könnte. Die Mikwe wurde im Oktober 1829 fertiggestellt, kostete 711 Gulden (R.W.) und soll für 60 Gulden im Jahr verpachtet worden sein.3
Baubeschreibung
Der schlichte eingeschossige Baukörper mit Walmdach besitzt eine Hauptfassade mit zwei hochrechteckigen Fenstern und einem mittig gelegenen Rechteckportal. Die Aussenmauern sind aus Bruchsteinen errichtet, die Trennwand im Inneren ist geziegelt. Der Grundriss folgt dem üblichen Schema von einem Raum zur Vorreinigung/zum Umkleiden, einem Tauchbecken mit Stiegenanlage sowie einer Feuerstelle zum Erhitzen des Wassers und der Räumlichkeiten. Der Hauptraum war ursprünglich mit einer Trennwand in Vorraum und Baderaum unterteilt. Das 1,79 x 1,46 Meter grosse Tauchbecken ist an den Wänden mit Sandsteinplatten bis 1,27 Meter Höhe ausgekleidet und besitzt ein Tonnengewölbe. Mehrere Indizien am Gebäude, im Kostenvoranschlag und der daraus entwickelten Rekonstruktionszeichnung weisen auf das Vorhandensein eines Brunnenschachts neben dem Tauchbecken hin. Der Brunnen war mit einem Pumpwerk ausgestattet und konnte als Wasserspeicher dienen, um für die Vorreinigung in einer Badewanne immer genügend Wasser vor Ort zur Verfügung zu haben. Baumeister Ammann wurde mit einem Bau beauftragt, dessen typologische Vorbilder im Grunde genommen im Profanbau zu suchen sind. Er plante ein für die Zeit typisches Gebäude nach Regeln des Brunnen- und Badbaus und passte es an die religiösen Bestimmungen an. Er kombinierte also religionsgesetzliche Vorgaben mit einer gewöhnlichen lokalen „Handwerkskunst". Die Hohenemser Mikwe setzt die Architektur ihrer Umgebung fort, sticht also nicht hervor sondern fügt sich in den Ort ein. Sie kann als ein typischer Bau des frühen 19. Jahrhunderts in der Region gesehen werden, dessen Funktion erst im Inneren des Gebäudes ersichtlich wird. Nach „Arisierung" und anschliessender Rückstellung an die Israelitische Kultusgemeinde wurde das Gebäude an eine Privatperson verkauft, das Tauchbecken zugeschüttet und die ehemalige Mikwe als Werkstatt und Abstellkammer verwendet. Im Jahr 1996 wurde das Becken des Bades wieder freigelegt und das Gebäude 2009 restauriert. Seit 2010 kann die Mikwe als Dependance des Jüdischen Museums besichtigt werden.
Literaturhinweise zum Thema Mikwen
Georg Heuberger (ed.): Mikwe. Geschichte und Architektur jüdischer Ritualbäder in Deutschland (Frankfurt am Main 1992)
Thea Altaras: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen - Was geschah seit 1945? (Königstein 1994, ND 2007)
Jüdisches Museum Hohenems/Franken in Fürth/Frankfurt (ed.): Ganz rein! Jüdische Ritualbäder (Wien 2010).
1 Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen der Diplomarbeit von Julia Ess: Mikwe Hohenems. Ein jüdisches Ritualbad des frühen 19. Jahrhunderts (Technische Universität Wien 2014). Die ausführliche wissenschaftliche Bearbeitung und Katalogisierung der Mikwen in Österreich stellt ein Forschungsdesiderat dar. Der Gesamtbestand wurde bisher nicht eingehend untersucht und es ist nicht genau zu sagen, wie viele der ehemaligen Mikwen im Gebiet des heutigen Österreichs noch greifbar sind. Es fehlt einerseits eine Katalogisierung sämtlicher Ritualbäder, andererseits ist kaum eine ausführliche Dokumentation einzelner Mikwen vorhanden.
2 Aron Tänzer: Die Geschichte der Juden in Hohenems und im übrigen Vorarlberg (Meran 1905, ND Bregenz 1982) S. 579-580.
3 Vorarlberger Landesarchiv: Kreisamt, Publ. 1830, Fasz. 420. LG Dornbirn, Bau 1828, Fasz. 44. LG Dornbirn, Polit. 1810, Fasz. 273