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Ort der Unruhe: Verbrechen in der Endphase des NS-Regimes in Graz

Victoria KUMAR

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„Ort der Unruhe" hat der 1965 in Klagenfurt geborene Künstler Ernst Logar seinen Film über die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen in der ehemaligen SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf (der heutigen Belgierkaserne) und dem zwei  Kilometer entfernten Schiessplatz Feliferhof und über das Erinnern daran genannt. Diesem vielschichtigen Ort - Tatort, Grabstätte und Erinnerungsort Belgierkaserne - haftet Ungewisses und bloss Vermutetes an, konnte und kann der Nachweis über die Existenz weiterer Leichen nicht erbracht werden. Auch ist die Identität der bereits im Mai 1945 aufgefundenen Leichen von Hingerichteten am Feliferhof in den meisten Fällen nicht geklärt. Erinnerungsorte sollten nach Logar jedoch keine Ruhestätten, sondern „Orte der Unruhe" sein, der Erinnerungsprozess ein lebendiger sein.

Nachforschungen über das Schicksal seines am 7. April 1945 wegen „Hochverrat und Zersetzung der Wehrmacht" ermordeten Grossvaters Josef Logar führten den Filmemacher zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den so genannten Verbrechen am Feliferhof, die er künstlerisch zunächst im Projekt „Den Blick hinrichten" (2004) und danach im Film- und Ausstellungsprojekt „Ort der Unruhe" (2013)1 verarbeitet hat. Im Zentrum des Films steht die jahrzehntelange Kontroverse um die Errichtung eines Gedächtnisortes am Areal der heutigen Belgierkaserne und damit verbunden die Problematik offizieller Gedenkkultur, getragen von einer Vielzahl an AkteurInnen aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Kunst. In Interviews lässt Logar zahlreiche Personen, die an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen am damaligen Kasernengelände und an der Planung und Realisierung der Gedächtnisstätte beteiligt waren, zu Wort kommen.

Die 1939 erbaute, 1941 der Waffen-SS übergebene im Südwesten von Graz gelegene SS-Kaserne Wetzelsdorf diente den Nationalsozialisten bis unmittelbar vor Kriegsende als Hinrichtungsstätte. Als Reaktion auf den Vormarsch der sowjetischen Truppen im Frühjahr 1945 wurden im April auf Befehl des steirischen Reichsstatthalters und Gauleiters  Sigfried Uiberreither (1908-1984) vermutlich mehr als 200 jüdische ZwangsarbeiterInnen, WiderstandskämpferInnen, Kriegsgefangene und andere Personen ermordet und in Bombenkratern innerhalb der Kaserne und in einem Massengrab am Schiessplatz Feliferhof verscharrt. Mit dem Fund von 142 Leichen im Jahr 1945 begann „ein Kapitel österreichischer Vergangenheitsbewältigung", das bis heute andauert. Auf die Exhumierung eines Teils der Opfer folgten unmittelbar nach der Befreiung eine feierliche Bestattung der Hingerichteten unter Teilnahme von tausenden GrazerInnen und dem Versprechen, ihrer zu gedenken und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Nach der Errichtung eines Denkmals für diese Opfer wurden diese aber in den Folgejahrzehnten fast vergessen. Der 1948 unternommene Versuch einer gerichtlichen Aufarbeitung scheiterte, so dass die Täter nie zur Rechenschaft gezogen wurden.

Das Gedenken an die Opfer erfuhr erst durch das persönliche Engagements des nun pensionierten Grazer Oberst Manfred Oswald eine Wiederbelebung, der im Dezember 1980 „gegen den Willen des steirischen Militärs" (Oswald) und mithilfe der „Österreichischen Liga für Menschenrechte" eine Gedenktafel2 für die Opfer des Feliferhofs errichten liess und sich seither um eine kritische Erinnerungskultur und um sichtbare Gedenkzeichen an die NS-Verbrechen nicht nur auf steirischem Boden bemüht.

1995 liessen das steirische Militärkommando und das Land Steiermark einen internationalen Wettbewerb für die Gestaltung einer Gedenkanlage auf der Bundesheerschiessstätte Feliferhof ausschreiben, den der renommierte deutsche Künstler Jochen Gerz gemeinsam mit seiner Frau Esther gewann. Überzeugen konnte Gerz mit dem Denkmalprojekt „Gänse vom Feliferhof", in welchem er das Ritual der Fahnenhissung aufgreift: Sind Rekruten anwesend, werden an der Stelle, wo sie antreten, Fahnenstangen aufgestellt und Fahnen gehisst, die beim Verlassen der Schiessstätte wieder eingeholt werden. Die Fahnen tragen Inschriften, die vom Ehepaar Gerz im ersten Jahr vorgegeben werden, alle weiteren Sprüche sollen im Rahmen eines vom Heeresgeschichtlichen Museum ausgeschriebenen Wettbewerbs von Soldaten selbst verfasst werden, wodurch andauernde Auseinandersetzung mit der Geschichte erfolgen könne. Gerz versteht seine Arbeit als „Warndispositiv": „Das Mahnmal existiert nicht, wenn keiner das Ritual ausführt, aus dem es besteht. Es ist also von einer Aktivität abhängig. Insofern entspricht es den Gänsen des Kapitols im antiken Rom: Es ist etwas Lebendiges, das die Funktion eines Frühwarnsystems übernimmt. Was wir normalerweise in Objekte delegieren, ist da in den Menschen drin. An dem Tag, wo sich politisch in Osterreich etwas verändert, ist es ganz klar, dass diese Arbeit nicht mehr tragbar ist. Sie würde verschwinden."3

Bis heute ist das Projekt „Gänse vom Feliferhof" nicht umgesetzt worden. Gerz‘ Auswahl der ersten Fahnentexte („Auf Mut steht der Tod", „Verrat am Land wird dekoriert", „Barbarei ist die Soldatenbraut" und „Soldaten so heissen wir auch"4) stiessen auf Widerstand und wurden vom steirischen Militärkommando letztlich abgelehnt.

2008 beauftragte das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport eine ForscherInnengruppe der Karl-Franzens-Universität Graz, die unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Dieter A. Binder die Hintergründe der Verbrechen aufarbeiten sollte. Das dreijährige Forschungsprojekt brachte neue Erkenntnisse zutage, etwa die Tatsache, dass einzelne Bombenkrater innerhalb der heutigen Belgierkaserne nie geöffnet wurden und die Leichen der Opfer daher immer noch dort begraben sind. Aus unterschiedlichen Gründen, vor allem um die Totenruhe der mehrheitlich jüdischen Opfer nicht zu stören, wurde von einer Exhumierung der Leichen abgesehen. Am Ort der vermuteten Massengräber am Kasernengelände wurde 2011 ein Gedächtnishain mit einer Gedenktafel, die an die Verbrechen und seine Opfer erinnert, errichtet, der im Dezember von Bundesminister Norbert Darabos, allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, eröffnet wurde. Drei kreisrunde Kiesbeete markieren jene Bombenkrater, in welchen die Hingerichteten verscharrt worden sind.

In seiner Arbeit hinterfragt Logar verschiedene Herangehensweisen an Gedenkkultur der letzten Jahrzehnte und zeigt die vielschichtige Problematik des offiziellen Erinnerns, das sich im Falle des Gedächtnishains in der Belgierkaserne und auch in anderen Gedenkinitiativen im Spannungsfeld von moderner Kunst und traditioneller Erinnerungskultur bewegt. Als Teil der Enkelgeneration sieht er sich verpflichtet, „diesem schmerzhaften Teil unserer Familiengeschichte nachzugehen und die im Dunklen liegenden Ereignisse, heute wieder in wache Erinnerung zu rufen."5

 

Am 8. April 2014 zeigte CLIO (Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit) in Kooperation mit dem Verein pArtisan den Film „Ort der Unruhe" im GrazMuseum. Im Anschluss daran diskutierten der Künstler und Filmemacher Ernst Logar, der Kunsthistoriker Univ. Prof. Dr. Werner Fenz, die Stadträtin Lisa Rücker und der Presseoffizier des Steirischen Militärkommandos, Oberst Gerhard Schweiger, unter der Moderation von Dr. Heimo Halbrainer (CLIO) nicht nur über die Inhalte des Films, sondern auch darüber, wie heute in Graz an den NS-Terror erinnert wird. Aktualität hat die Frage durch die Anordnung des Grazer Strassenamtes erhalten, wonach das aus Bild-/Text-Objekten bestehende Kunstprojekt „63 Jahre danach" von Jochen Gerz nach nur vier Jahren im Juni 2014 entfernt werden soll.

Die eingangs an Ernst Logar gestellte Frage, was aus seiner Sicht im Zusammenhang mit dem Gedächtnishain noch umzusetzen ist, antwortete dieser neben dem Verweis auf ästhetische Mängel mit einer Kritik an der fehlenden Öffentlichkeit, sowohl was die Zugänglichkeit zum Gedenkort - er befindet sich auf einem militärischen Übungsgelände - als auch die Informationen über seine Errichtung betrifft. Der Ort funktioniere nicht als Erinnerungsort, selbst viele Soldaten wissen nicht, was er darstellen solle. 

Oberst Gerhard Schweiger verwies darauf, dass sich kaum eine andere (militärische) Institution über einen so langen Zeitraum mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt hat, dass aber die Geschichte von Belgierkaserne und Feliferhof aufgrund neuer Quellenfunde noch nicht zu Ende erzählt worden ist.

Breiten Raum in der Diskussion nahm das „63 Jahre danach"-Projekt ein, das den Machtmissbrauch während der NS-Zeit thematisiert. Werner Fenz betonte die Wichtigkeit, Jochen Gerz für die auf öffentliche Partizipation ausgerichtete Kunstinstallation zu gewinnen, nachdem seine „Gänse vom Feliferhof" abgelehnt wurden bzw. stillschweigend unrealisiert geblieben sind. Auf die Besonderheit des interaktiven Projekts, das BürgerInnen und BesucherInnen von Graz zur täglichen Auseinandersetzung mit den Inhalten animiert, machte auch Lisa Rücker aufmerksam. Um das behördlich angeordnete Entfernen der Installationen zu verhindern, ist derzeit der Fachbeirat Kunst im öffentlichen Raum mit dem zuständigen Strassenamt und dem Kulturamt in Kontakt, ausserdem wurde eine Unterschriftenaktion gestartet.

 

1 Die Ausstellung „Ort der Unruhe" war von 7. Mai bis 8. Juli 2013 im GrazMuseum zu sehen.

2 Diese wurde drei Jahre später von Neonazis zerstört.

3  Interview mit Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz geführt von Robert Fleck (museum in progress) [http://www.mip.at/attachments/349, aufgerufen am 14.4.2014].

4 Jochen Gerz über die Textauswahl: „Es geht um das Paradox, dass Begriffe wie Tradition, Disziplin, Tapferkeit, Selbstaufgabe und Gehorsam in jeder Armee präsent sind, aber auch im Zusammenhang mit Barbarei, Diktatur, Unmenschlichkeit, Folter, Morden usw. auftauchen. Unser Vorschlag dreht sich um dieses Paradox." Ebda.

5 http://www.logar.co.at/g/blick_dt.htm, aufgerufen am 15.04.2014.