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Von Wien nach Jerusalem

Edina MEYER-MARIL

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Wer in Jerusalem ein Auto hat, erneuert seine Papiere in einem Gebäude, das von ihm entworfen wurde. In den von ihm geplanten Hotels schlafen Nacht für Nacht Hunderte Menschen, seine Fabrikgebäude und andere Bauten bestimmen das Stadtbild, vor allem von Jerusalem, aber auch von Tel Aviv und so entfernten Orten wie Dimona, Beersheva oder Zefat - und dennoch ist sein Name nur wenigen bekannt: Rudolf Reuven Trostler gehört zu jenen Architekten, deren Werk in der Architekturgeschichte kaum erwähnt wird, weil es sich der Eingliederung in eine klare Strömung widersetzt. Doch die Qualität und Schönheit seiner Gebäude und Inneneinrichtungen haben eine eigene Überzeugungskraft, die es lohnend macht, Leben und Werk dieses Wiener Israelis genauer nachzugehen.

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Rudolf Trostler, Dreissiger Jahre. Foto aus dem Nachlass von Rudolf Trostler. Fotograf unbekannt. Nicht datiert. Sammlung Edina Meyer-Maril, mit freundlicher Gemehmigung.

Rudolf Trostler wurde am 21. März 1908 in Wien geboren. Seine Eltern Hermann Trostler und Regina Hirsch stammten ebenfalls aus Wien. Wichtig für die persönliche Entwicklung Trostlers war Jakob Hirsch, der aus Bisenz (Bzenec) stammende Grossvater mütterlicherseits, der 1884 Anna Gansel geheiratet hatte und sich als Tapezierer im 5. Bezirk niederliess. Der Vater war Inhaber der Matro-Möbelfabrik, weshalb Trostler zunächst eine Tischlerlehre absolvierte und schliesslich auch Tischlermeister wurde. Aber statt das väterliche Geschäft zu übernehmen, studierte er von 1925 bis 1929 Architektur an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Prof. Oskar Strnad, der ihn auch bald zu seinem Privatassistenten machte.

Die Begegnung mit Prof. Strnad sollte für Trostlers Leben entscheidende Bedeutung gewinnen. In seinen hebräisch geschriebenen Erinnerungen berichtet er ausführlich über das Studium und die Arbeit bei Strnad. Die mit Skizzen versehenen Vorlesungsmitschriften hatte er mit in die Emigration genommen und sie dienten ihm in Israel sogar als Anregung bei einigen Bauten. Trostler schrieb über Strnad: „Er zeigte keine Beispiele, sondern er lehrte Denken, das Sich-Einfühlen und den Weg zum Endziel". Strnads Architektur bezeichnete er als „Raumkonzepte der Freiheit".

Nach dem Studium machte sich Trostler selbständig und begann, wie so viele andere jüdische Architekten auch, mit Inneneinrichtungen für Geschäftslokale und private Wohnungen für zumeist jüdische Auftraggeber. Das erste grössere Projekt in Wien war 1933 die Umgestaltung des Gartenlokals Seitko. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte 1936 die Modernisierung des Seidenhauses Hirschkron in den Tuchlauben. Von 1932 bis 1938 hatte er jährlich einen der Damensalons des Unternehmers Hugo Weiss neu einzurichten. Trostler berichtet über die Bedingungen dieser Aufträge: Sie sollten am 7. November beginnen und vor dem 7. Februar beendet sein, denn an diesem Tag sollte den Einkäufern aus Südafrika die neue Kollektion vorgestellt werden. Finanzielle Beschränkungen gab es keine und die Bezahlung war hoch, aber dafür wurde rund um die Uhr in drei Schichten gearbeitet, einschliesslich Weihnachten und Neujahr.

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Seidenhaus Hirschkron, 1936, Wien, 1., Tuchlauben 14-16, (zerstört).  Foto: Studio Kraus Wien. Foto aus dem Nachlass Trostler, Sammlung Edina Meyer-Maril, mit freundlicher Genehmigung.

Von den Damensalons haben sich leider nur sehr wenige Fotos erhalten, aber diese geben immerhin einen Einblick in Trostlers Arbeit. Die Räume - Wohnungen oder Etagen in der Innenstadt - waren ja vorgegeben und so kam es zu unterschiedlichen Lösungen, die jedoch viele Gemeinsamkeiten hatten. Charakteristisch war die Verwendung von üppigen, oft grossflächig geblümten Vorhängen, die von der Decke bis zum Fussboden reichten und nicht nur Blickfang waren, sondern auch Raumteiler. Mit Hilfe dieser gemusterten Stoffe wurden weitere Akzente im Raum gesetzt, teils als Bezugsstoff für Möbel oder auch Türen und Stellwänden. Neben vielsitzigen Polsterbänken verwandte Trostler oft bequeme Bugholzsessel der Firma Thonet und verteilte kleine Tische im Raum. Typisch für seine Einrichtungssprache war ausserdem, dass er den Funktionsablauf übersichtlich machte und auch kleine Räume sehr geschickt ausnützen konnte. Gleichzeitig achtete er immer auf Ausgewogenheit, Bequemlichkeit und Qualität der Materialien. Dies alles traf auch auf seine auf die Bewohner abgestimmten Wohnungseinrichtungen zu, die Wohnlichkeit mit Zweckmässigkeit verbanden. In einem Raum gab es einen Bereich zum Essen, zum Ruhen oder zum Lesen, ganz wie er es von Prof. Strnad gelernt hatte. Trostler entwarf auch gern praktische Möbelstücke, wie einen patentierten Leseboy, Hausbars, Servierwagen und Ähnliches. Vielleicht hatte er den Sinn für praktische Möbelstücke von seinem Grossvater Jakob Hirsch erlernt, denn dieser hatte seinerzeit einen Verkaufsschlager entwickelt: nämlich ein Sofa, dessen Seitenteile heruntergeklappt werden konnten, so dass es zum Bett wurde.

Trostler konnte seine Erfahrungen als Möbelentwerfer und Innenraumgestalter in einer Vortragsreihe im Rahmen des Österreichischen Verbandes für Wohnungsreform - eine der sozialen Initiativen des Roten Wien jener Zeit - weitergeben. Die Vorträge zur Einrichtung von kleinen Wohnungen, zur Wahl der Möbel und ihrer Hölzer und zu einzelnen Möbelstücken und ihrer Zweckmässigkeit sollten, wie es im Eröffnungstext heisst, „das Verständnis um die neue Einstellung für die gute Einrichtung unserer Wohnungen wecken und weiterführen". Seinen ersten Vortrag beendete Trostler wie folgt: „Ich gebe Ihnen den guten Rat, überlegen Sie genau, wie viel Sie unterbringen müssen, wie Ihre Lebensgewohnheiten sind, weil Sie nur dann auf eine befriedigende Lösung der Wohnung kommen werden".

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Einfamilienhaus, 1932, Architekt: Richard Neutra, Werkbundsiedlung Wien. Möbelentwürfe: Rudolf Trostler, Herstellung: Matro-Möbelfabrik. Undatiertes Foto aus dem Nachlass Trostler, Fotograf unbekannt. Sammlung Edina Meyer-Maril, mit freundlicher Genehmigung.

Im Katalog der internationalen Werkbundausstellung von 1932 wird Trostler als Innenarchitekt des Neutra-Hauses geführt, und es hat sich ein Foto erhalten, das ein zweiseitig benutzbares Sofa, einen Sekretär und Bücherregal zeigt. Prof. Strnad, der mit einem Doppelhaus an der Ausstellung beteiligt war, hat die für ihn persönlich bestimmte Haushälfte mit Möbeln eingerichtet, die zum Teil in der Matro-Möbelfabrik hergestellt worden waren.

Trostlers einziger in Österreich ausgeführter Bau war das Sommerhaus für seine Eltern in Maria Enzersdorf, das er nach den Richtlinien der Werkbundausstellung für kleine Häuser auf einer Grundfläche von 45 Quadratmetern plante. Es war ein kubusförmiges, an einem Hang liegendes Holzhaus mit begehbarem Flachdach, welches vier Personen Platz bot und einen Komfort hatte, der den Ansprüchen städtischer Bewohner entsprach. In Hans Grohmanns Buch Das zeitgemässe Holzhaus, das 1938 und in zweiter Auflage 1942 in Deutschland erschien, als jüdische Architekten schon lange nicht mehr arbeiten konnten, wird das Haus mit Abbildungen vorgeführt. Dort heisst es: „Die Innenräume sind ganz mit Edelhölzern ausgekleidet, und der Architekt hat es meisterhaft verstanden, durch fein abgewogene Verhältnisse und platzsparende Einbauten eine ungezwungene Raumstimmung zu erzielen."

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Damensalon [Ernst] Platzko & [Max] Hochdorf, (nicht datiert), Wien, 1. Hoher Markt 12, (zerstört).  Foto:  J. Scheib, Wien. Foto aus dem Nachlass Trostler, Sammlung Edina Meyer-Maril, mit freundlicher Genehmigung.

Unter den Wettbewerben, an denen Rudolf Trostler teilnahm, ist derjenige zur „Aufschliessung des Kahlenberges", an dem er 1933 gemeinsam mit Strnads zweitem Privatassistenten Ludwig Haas teilnahm, wohl der wichtigste. Ihr Beitrag wurde einer der fünfzehn Preisträger unter immerhin 147 Teilnehmern, sicherlich ein bemerkenswertes Ergebnis für den erst 25 Jahre alten Trostler. Dank zweier kleiner Fotografien kann man sich ein Bild von dem Entwurf machen. Er besteht aus einem langgestreckten, flach gedeckten Kaffeerestaurant mit Aussichtsterrasse, einem Weekendhotel, Freilichtbühne mit Festwiese und  grosszügiger Badeanlage mit Wasserturm und Aussichtswarte. Die Architektursprache ist modern, Gebäude und Aussenanlagen sind geschickt in die Topografie eingepasst, um die Schönheit der Landschaft zu unterstreichen.

Das Produkt jahrelangen Experimentierens mit Rohrverbindungen und Stahlskeletten für den modularen Wohnungsbau war die 1935 zusammen mit dem Ingenieur Franz Schuster eingereichte Auftragsarbeit für das Ministerium für Unterricht zum „Österreichischen rollenden Theater". Die Planung sah einen zusammenlegbaren überdachten Theaterbau für ca. 1.500 Sitzplätze vor, der innerhalb weniger Stunden auf sechs Lastwagen verstaut werden konnte. Das Modell dieses Baues wurde 1936 auf der Internationalen Ausstellung für Theaterkunst in Wien gezeigt.

Die reflektierende Auseinandersetzung mit seiner Arbeit war Rudolf Trostler immer sehr wichtig. Als er zur Aufnahme in die Wiener Freimaurerloge „Zur Wahrheit" eine „Bauarbeit" vorlegen musste, verfasste er eine fast hundertseitige Schrift zum Thema „Architektur, Symbol und Religion". Trostler war Mitglied der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, legte aber dennoch im Februar 1938, allerdings schon unter demütigenden Umständen, noch die Zivilingenieursprüfung ab.

De Zeichen waren deutlich. Im März 1938 verliess Rudolf Trostler zusammen mit seiner zukünftigen Frau, der Kinderärztin Corinna, genannt Cora Kleiner, Wien in Richtung Palästina. Dort hatte er endlich die Gelegenheit, als Architekt zu wirken, bis er 1987 sein grosses Büro in Jerusalem schloss. Er starb 1999 und ist auf dem Ölberg in Jerusalem begraben. Von seinen in Israel verwirklichten Arbeiten wird der zweite Teil dieses Artikels handeln.