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Moriz Winternitz (1863-1937) – ein Indologe aus dem Waldviertel

Erich RABL

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Moriz Winternitz ist Fachleuten als weltweit anerkannter Indologe geläufig, sein Name scheint in grossen Nachschlagewerken auf. Doch in der „Heimat", dort wo er seine Jugend verbrachte, in Niederösterreich, ist sein Name heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

Moriz Winternitz entstammte einer jüdischen Familie der Waldviertler Kleinstadt Horn. Nach der Vertreibung der jüdischen Bewohner aus Horn im Jahr 1670 liessen sich erst ab 1857 wieder jüdische Ansiedler in Horn nieder; die meisten waren Zuwanderer aus Böhmen und Mähren. 1863, im Geburtsjahr von Moriz Winternitz, wohnten neun jüdische Familien in Horn, 1880 hatten die jüdischen Bewohner einen Anteil von 4% der Bevölkerung. Bald bildete sich eine Betgenossenschaft, 1874 wurde die „Israelitische Kultusgemeinde in Horn" errichtet, die 1903 ein angekauftes Wohnhaus am Stadtgraben Nr. 25 als Synagoge adaptierte.

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Die Stadt Horn im Jahr 1873, im Vordergrund das Prager Tor. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Stadtarchiv Horn.

Moriz Winternitz wurde am 23. Dezember 1863 in Horn als Sohn des Produktenhändlers Bernhard und seiner Frau Theresia Winternitz geboren. Seine Eltern, aus Böhmen zugewandert, betrieben in Miete ein kleines Gemischtwarengeschäft, zuerst in Horn, später in Sigmundsherberg. Die Erlöse reichten kaum aus, die Armutsgrenze zu überwinden. Als sich Theresia Winternitz 1873 drei Wochen im Allgemeinen Krankenhaus in Wien behandelt wurde, konnte die Familie die Verpflegungsgebühren nicht bezahlen.

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Der Indologe und Ethnologe Moriz Winternitz (1863-1937). Repro: Johann Fenz, Horn, mit freundlicher Genehmigung E. Rabl.

Schulzeit

Schon bevor Moriz Winternitz in die Volksschule eintrat, erlernte er zu Hause mit Hilfe seines Vaters Hebräisch in Wort und Schrift. Von 1872-1880 konnte Moriz Winternitz das traditionsreiche Horner Landesgymnasium besuchen und dort die Reifeprüfung ablegen. Das 1657 gegründete Piaristengymnasium war 1872 in ein Landesgymnasium umgewandelt worden, wodurch besser ausgebildete Professoren unterrichteten, die auch wissenschaftlich arbeiteten. Schwerpunkte des humanistisch orientierten Gymnasiums waren Latein und ab der dritten Klasse Griechisch. Ein Jahr lernte Winternitz auch Französisch, mit der englischen Sprache wurde er erst an der Universität vertraut. In der achten Klasse mussten die Schüler damals in Latein alle 14 Tage und in Griechisch jeden Monat eine Schularbeit schreiben. Die schulischen Leistungen von Moriz Winternitz waren die meiste Zeit hindurch „durchschnittlich". In der fünften Klasse musste er im Doppelfach Geschichte und Geographie zu einer Nachprüfung antreten, die er mit „genügend" bestand. Die besten Ergebnisse erzielte er in der achten Klasse mit „lobenswert" in Deutsch und Latein sowie mit „vorzüglich" in Griechisch.

 

Universitätskarriere

Es folgte von 1880-1886 ein Studium an der Universität Wien, zuerst klassische Philologie, dann Sanskrit und vergleichende Sprachforschung. Seine Dissertation über ein indisches Hochzeitsritual wurde mit dem Prädikat „ausgezeichnet" bewertet. Als Gelehrter wirkte er zehn Jahre lang in Oxford, im Jahr 1899 habilitierte sich Winternitz an der Deutschen Universität Prag für Sanskrit und Ethnologie. Er lehrte dort vorwiegend altindische Literaturgeschichte, 1911-1934 als ordentlicher Professor. Unter ihm erreichte das Fachgebiet der Indologie in Prag eine erste Blüte. Sein Hauptwerk ist die bisher unersetzte „Geschichte der indischen Litteratur" in drei Bänden, in denen er die vedische Literatur, Epen und Puranas, buddhistische und Jaina-Texte sowie Lyrik und Wissenschaft behandelte. Die Winternitz-Biographen Margot und Martin Kraatz bewerten das so: „Die Geschichte der indischen Litteratur ist noch immer eines der wichtigsten Hilfsmittel für den Lernenden und für den Lehrenden, sie ist in dieser Form bisher nicht übertroffen worden." Sein wissenschaftliches Œvre, auch philosophische, volkskundliche und religionswissenschaftliche Forschungen, umfasste für den Zeitraum 1884 bis 1937 453 Arbeiten, eine weitere Arbeit wurde 1940 in Indien gedruckt, eine Reihe seiner Schriften wurde nach 1945 neu aufgelegt.

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Ansichtskarte von Sigmundsherberg vor 1914; links die Winternitz‘sche Gemischtenwarenhandlung. Mit freundlicher Genehmigung Sammlung Erich Rabl, Horn.

Winternitz war mit Albert Einstein, der 1911-1912 drei Semester an der Deutschen Universität in Prag unterrichtete, und mit dem indischen Nobelpreisträger Rabindranath Tagore befreundet. Im Juni 1921 hielt Tagore auf Einladung von Winternitz einen Vortrag in Prag, 1922/1923 unterrichtete Winternitz an der Tagore-Universität in Shantiniketan.

Das gesamte Wirken von Moriz Winternitz war getragen von den Gedanken der Humanität und Völkerverständigung, er unterscheidet sich damit deutlich von den diktatorischen und menschenverachtenden Ideologien, die in den 1930er Jahren die Oberhand gewannen.

 

Literaturhinweise

Debabrata Chakrabarti, Rabindranath Tagore und Moriz Winternitz. In: Hamidul Khan (Hg.), Universalgenie Rabindranath Tagore. Eine Annäherung an bengalische Dichtung, Philosophie und Kultur  (Frankfurt am Main 2012) S. 105-111.

Margot und Martin Kraatz, Carl Cappeller, Moriz Winternitz und Theodor Zachariae (= Indologica Marpurgensia II, München 2010).

Erich Rabl, Die Waldviertler Wurzeln des Indologen und Ethnologen Moriz Winternitz (1863-1937). In: Das Waldviertel 61 (2012) S. 249-265.