Die jüdischen Hochschulverbindungen in Czernowitz
Die Franz Josefs-Universität brachte ab 1875 die Möglichkeit akademischer Bildung in das östlichste Kronland der Monarchie. Die zwischen den Karpaten und dem Dnjestr gelegene Bukowina war erst 1775 dem habsburgischen Herrschaftsraum zugeschlagen worden und zeichnete sich durch eine buntscheckige Diversität auf kleinem Raum aus. Die heute westukrainische Hochschulstadt, in der mit Paul Celan „Menschen und Bücher lebten“, bildete ein nicht immer harmonisches Amalgam aus Deutschen, Juden (drei Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung bekannten sich zum Judentum), Rumänen, Ukrainern und Polen.
Die 1875 gegründete „Franz-Josephs-Universität“ war die letzte Hochschulgründung der Monarchie. Von den 127 Professoren im Zeitraum bis 1919 waren 16 Juden. Ansichtskarte, Privatsammlung.
In der Wohnung des Landesrabbiners Igel im „Buchsbaumhaus“ in der Czernowitzer Landhausgasse wurde 1891 mit „Hasmonäa“ die erste farbentragende jüdische Studentenverbindung gegründet. Foto: G. Gatscher-Riedl, mit freundlicher Genehmigung.
„Czernowitz war eine Stadt voller Minderheiten; keine von ihnen war dominant, doch alle fühlten sich irgendwie benachteiligt“, resümierte der 2013 verstorbene Althistoriker Zvi Yavetz über die Stadt seiner Kindheit und Jugend. Die Urbanisierung der Siedlung am Pruth vollzog sich in rasanter Geschwindigkeit: besass das Dorf Czernowitz 1775 kein einziges Haus aus Stein, so wurde ein Jahrhundert später die Universität mit drei Fakultäten eröffnet.
Die deutsch- und jiddischsprachigen Juden, die ab 1870 die Mehrheit der Stadtbevölkerung bildeten, nahmen in hohem Umfang am politischen und gesellschaftlichen Leben von Czernowitz teil und drückten dem Geistesleben nicht nur der Stadt sondern auch der deutschsprachigen Universität ihren Stempel auf. An der Hochschule bestanden seit der Gründung zahlreiche Studentenverbindungen: Gründungsrektor Constantin Tomasczuk (1840-1889), selbst ein Czernowitzer, stiftete die „Akademischer Lese- und Redehalle“ und bald entstanden Corps, Burschenschaften und noch im Gründungsjahr die farbentragende rumänische Verbindung „Arboroasa“.
Farbenband und Verbindungsmonogramm (im studentischen Jargon „Zirkel“ genannt) der „Hasmonäa“, die als die älteste wie auch vornehmste der jüdischen Verbindungen galt. Archiv der KÖStV „Ostaricia“, Wien.
Erich Neuberger in studentischer Festtracht mit Korbsäbel als Chargierter der „Hebronia“ im Oktober 1930. Mit freundlicher Genehmigung von Cornel Fleming.
Verbindungsgründung in der Wohnung des Landesrabbiners
Der Impuls zur ersten jüdischen Studentenverbindung kam aus Wien von Mitgliedern der „Kadimah“, die in Czernowitz ein neues jüdischen Selbstbewusstsein zur Diskussion stellten und erste Anhänger des zio-nistischen Gedankens sammelten. In der Wohnung des Landesrabbiners Eliezer Elijah Igel (1825-1892) stiftete diese Gruppe unter der Leitung des Jusstudenten Mayer Ebner (1872-1955) am 14. Juli 1891 die „Hasmonäa“ mit den Farben rot-violett-grün und violetten Samtmützen. Zu den ersten Mitgliedern gehörten Philipp Menczel (1872-1941), Isak Schmierer, Josef Bierer, der Sohn des „Kadimah“-Gründers Ruben Bierer und die Söhne des Rabbiners Igel. Die Gründer richteten einen Aufruf an die Czernowitzer Bevölkerung, in dem sie „entgegen der assimilatorischen Strömung im Judenthume“ zu wirken trachteten und für „Hasmonäa“ das Ziel formulierten „das jüdische Stammesbewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl der jüdischen Studenten zu heben und die nationale Geschichte, Literatur und Sprache zu pflegen.“ Dazu gehörte von Anbeginn an das waffenstudentische Element, das erste Säbelduell wurde bereits im Oktober ausgetragen. Die offizielle Vorstellung der neuen Verbindung in einem Festakt erfolgte am 12. Dezember 1891 im Beisein des Dekans der philosophischen Fakultät Isidor Hilberg (1852-1919). „Hasmonäa“ musste zwar 1895 den Betrieb vorübergehend einstellen, behielt aber ihre führende Rolle für die zionistische Bewegung der Bukowina: Beim Ersten Zionistenkongress 1897 in Basel waren alle drei Vertreter des Kronlandes auch Hasmonäer.
Um dem zionistischen Korporationsstudententum eine breitere Basis zu geben, entstand zugleich „Zephirah“ mit blau-weiss-goldenen Bändern und weissen Mützen, ihr folgte 1900 der jüdisch-nationale akademische Leseverein „Humanitas“, der aber nur bis 1903 Bestand hatte und dann in der Verbindung „Emunah“ mit den Farben gold-violett-gold aufging. In der kurzen Zeit ihres Bestandes konnte die „Humanitas“ allerdings eine umfangreiche Judaica-Bibliothek aufbauen, die an die ebenfalls 1900 gegründete „Hebronia“ ging. War für „Hasmonäa“ die Wiener „Kadimah“ beispielgebend, stand „Hebronia“ unter dem Einfluss der Wiener „Unitas“. Die neue Verbindung erhielt die Farben grün-rot-gold mit grünen Mützen und war zunächst nur in den Ferien aktiv, erst 1904 wandelte sie sich zur Semestralverbindung. Eine gewisse Sonderstellung unter den Verbindungen nahm der Verein „Jüdische Kultur“ mit den Farben blau-weiss-rot ein, der sich der Pflege der jiddischen Sprache verschrieben hatte. Im Herbst 1910 gegründet, übernahm er korporationsstudentische Inhalte nur teilweise.
1920 entstandene Gruppenaufnahme der „Zephirah“, die als einzige der Czernowitzer jüdischen Verbindungen weibliche und männliche Studenten aufnahm. Foto Kunstatelier Brüll, Czernowitz, Sammlung Frederik Grinberg, mit freundlicher Genehmigung von Edgar Hauster.
Burschenband und „Zirkel“ der 1918 gegründeten „Heatid“, die aus einer 1916 in Wien gegründeten Mittelschülerverbindung „Zukunft“ hervorgegangen war. Archiv der KÖStV „Ostaricia“, Wien.
Anerkennung der „jüdischen Nationalität“ auf Hochschulebene
„Zephirah“ hatte als gemischte Verbindung, die auch Frauen aufnahm, eine besondere zionistische Agenda und preschte in Czernowitz im Dezember 1902 mit der Forderung an das Rektorat vor, „dass in den Universitätsdokumenten die jüdische Nationalität offiziell anerkannt werde“. Das Anliegen verlief zunächst im Sand und erst 1906 kam wieder Bewegung in dieses symbolträchtige Thema, das von den Verbindungen auch in die jüdische Öffentlichkeit transportiert wurde. Unter dem Eindruck der zahlreichen Proteste und Vorsprachen willigte das Czernowitzer Rektorat in Verhandlungen ein. Unter Vermittlung des Anglistikprofessors Leon Kellner (1859-1928), ein Freund Herzls, gelang ein Kompromiss, der in der Eintragung der „jüdischen Nationalität“ in den Ausweis zunächst in der Rubrik Muttersprache und der anmerkungsweisen Veröffentlichung der Nationalitätenklausel bestand. Von dieser Massnahme wurde reichlich Gebrauch gemacht: So berichtete im Jahre 1907 der scheidende Rektor Eugen Ehrlich, die Universität habe im abgelaufenen Studienjahr 607 ordentliche Hörer gehabt, davon 406 mit deutscher Muttersprache. Unter diesen seien 308 mosaischen Glaubens, „davon haben sich 184 zur jüdischen Nationalität bekannt.“ Im Sommersemester 1908 waren es mit 250 von 329 bereits drei Viertel der jüdischen Hochschüler.
Adolf Gaisbauer macht in seinem Monumentalwerk Davidstern und Doppeladler zur Geschichte der zionistischen Bewegung auf einen weiteren Aspekt des jüdischen Stellenwerts in der Bukowina hin: 1913 gab es hier als einzigem Kronland einen jüdisch-nationalen Landtagsklub, einen Zionisten im Landesausschuss sowie als Reichstagsabgeordneten und einen jüdischen-nationalen Bürgermeister samt jüdischer Gemeinderatsfraktion in der Landeshauptstadt.
Träger des Zionismus und starkes volksbildnerisches Engagement
Diese starke Position war das Ergebnis eines Prozesses, an dem die Czernowitzer Verbindungen entscheidenden Anteil hatten und unterschiedliche Aktivitäten setzten. „Emunah“ baute ab 1910 die zionistische Landesorganisation auf. Die besonders mitgliederstarke „Zephirah“ sah ihren Schwerpunkt in der jüdischen Realpolitik und in der Erwachsenenbildung. Auf das Wirken ihrer Mitglieder ist die Etablierung jüdischer Sportorganisa-tionen in der Bukowina zurückzuführen ebenso wie die Abhaltung von Arbeiter-Fortbildungskursen, die kostenlos besucht werden konnten. Im Jahreszyklus veranstaltete „Zephirah“ eigene Akademien zu gesellschaftspolitischen Themen, an denen Referenten wie der Religionsphilosoph Martin Buber, der Soziologe Werner Sombart, oder der zionistische Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer teilnahmen. „Hebronia“ leitete die durch private Spenden getragene „Toynbee-Halle“, ein von Leon Kellner angeregtes Zentrum für Erwachsenenbildung, das 1913 eröffnet werden konnte. Den Räumlichkeiten angeschlossen waren eine Volksbibliothek, eine hebräische Schule samt Kindergarten, ein Lehrlingsheim mit 80 Plätzen und das Büro der zionistischen Landesorganisation.
Ein dichtes Netz sogenannter „Ferialverbindungen“, die nur in der vorlesungsfreien Zeit Betrieb hatten und auch Schüler der oberen Klassen aufnahmen, überzog die Bukowina und führte den Czernowitzer Verbindungen Nachwuchs zu. So bestanden im Vorort Sadagora eine „Maccabäa“, in Kimpolung eine „Awiwa“ oder „Achiwa“, in Radautz seit 1902 eine „Barissia“ sowie eine 1906 entstandene „Chermonia“, in Suczawa seit 1909 eine „Tikwah“ sowie eine „Hamadah“, in Gurahumora eine 1913 entstandene „Libanonia“ und eine im gleiche Jahr gegründete „Hasmonäa“ in Storotynetz.
Mitgliedsausweis der „Heatid“ für Josef Stark, ausgestellt 1922. Er ist vom Schriftführer der Verbindung, Max Schaechter unterschrieben, der 1944 in Transnistrien ermordet wurde. Sammlung des Verfassers.
Das „Jüdische Nationalhaus“ am Theaterplatz bildete das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Czernowitz. Im 2. Stock hatte die „Zephirah“ ihre Verbindungsräumlichkeiten, in der Etage darüber war „Emunah“ untergebracht. Sammlung des Verfassers.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte den Vorlesungsbetrieb und damit die Tätigkeit der Verbindungen vollends zum Erliegen. Die Frontnähe, die sich in der zweimaligen Einnahme der Stadt durch die Russen äusserte, hatte zu einer Fluchtwelle geführt, die ebenfalls zu einer Verbindungsgründung führte. Nach Wien geflohene Mittelschüler gründeten 1916 eine Korporation namens „Zukunft“ mit den Farben grün-schwarz-gold. Ende 1918 verlegten die Gründer Siegfried Pullmann, Friedrich Münzer, Julius Guttmann und Heinrich Perez ihre Verbindung zurück nach Czernowitz und gaben ihr den gleichbedeutenden hebräischen Namen „Heatid“ und die Farben grün-silber-schwarz mit ab 1925 weissen Mützen.
Verbot der Verbindungen durch rumänische Faschisten 1936
Obwohl die österreichischen Hochschulgesetze bis 1923 in Kraft blieben, setzte mit Beginn des Studienjahres 1919/20 eine tiefgreifende Romanisierung der bislang deutschsprachigen Universität ein, die auch auf die Verbindungen erhebliche Auswirkungen hatte. Die Verbindungsabzeichen wie Band und Mütze durften in den Hochschulgebäuden nicht mehr getragen werden und der Studienbetrieb wurde durch ein an US- und französischen Vorbildern orientiertes „College-System“ mit Anwesenheitsverpflichtung ersetzt. Der Anteil jüdischer Studenten war an der Hochschule auf 25 Prozent gesunken, nicht zuletzt auf Grund zunehmend von der rumänischen Verwaltung geduldeter Krawalle: „Die Universität war sehr antisemitisch und man hat die Studenten geschlagen und herausgeworfen“, wie es in einem Zeitzeugenbericht heisst. Ein Hebrone schildert knapp: „Der Wirkungskreis der Verbindung nach aussen musste reduziert werden, um durch Intensivierung des zionistischen, kulturellen und nationalen Programms ersetzt zu werden.“ Eine gewisse Radikalisierung machte auch vor den Angehörigen der Korporationen nicht Halt, die ausgehend von „Hebronia“ unter dem Einfluss ihres Ehrenburschen Wladimir Ze’ew Jabotinsky (1880-1940) grösstenteils ins rechtszionistische, revisionistische Lager wechselten: „Und dann ist Jabotinsky nach Czernowitz gekommen und hat eine sehr feurige Rede gehalten, und danach sind die meisten korporativen Studentenverbindungen von den allgemeinen Zionisten zu den Revisionisten hinübergegangen“, wie Käthe Krauthammer berichtete. „Emunah“ ging diesen Weg nicht mit und verlieh 1928 demonstrativ an Chaim Weizmann (1874-1952), den Präsidenten der zionistischen Weltorganisation ihr Ehrenband.
Der aggressiven Romanisierungspolitik folgte das Aufkommen des Faschismus, das mit der Verdichtung der antisemitischen Stimmung einherging. 1936 verfügte die Bukarester Regierung die Auflösung sämtlicher bestehender Studentenverbindungen, die aber noch im Untergrund bis 1939 fortbestanden. „Hebronia“ wurde fortan mit dem Decknamen „Tante Bronia“ bezeichnet. 1940 fiel die Stadt an die Sowjetunion, die 3.000 Juden wurden in Frachtzügen in die Sowjetunion deportiert, darunter der Zephirenser Benedikt Kaswan, der in Sibirien getötet wurde. Von Rumänien 1941 zurückerobert, kam es seitens des mit Hitler-Deutschland verbündeten Antonescu-Regimes zu Deporationen in Ghettos und Lager in Transnistrien, wo neueren Forschungen zufolge zwischen 105.000 und 120.000 rumänische Juden ermordet wurden. Einen besonders grausamen Tod fand der zionistische Funktionär, Rechtsanwalt und „Alte Herr“ der „Zephirah“ Jakob Geller, der mit seiner Frau Rosa und der 14jährigen Tochter Juta am 6. Juli 1941 in Millie bei Wischnitz von einem aufgebrachten Mob zu Tode gesteinigt wurde.
An einen Neubeginn der Verbindung war nach 1945 in der Sowjetunion nicht zu denken, das bis zuletzt wirksame schwarz-gelbe Gehäuse und damit die multikulturelle Atmosphäre der Stadt unwiederbringlich zerstört. Jene Mitglieder, denen die Emigration geglückt war, waren zwar über den gesamten Erdball zerstreut, blieben aber doch untereinander in Kontakt und erhielten die Organisation in den „Altherrenverbänden“ als Freundeskreise weiter aufrecht. Dennoch war das Ende der jüdischen Czernowitzer Studentenverbindungen unausweichlich, wie es ein 1907 eingetretenes Mitglied der „Hebronia“ in Israel offen aussprach:
„Wir haben müssen zugeben, dass wir auf den Aussterbeetat gesetzt sind. In tiefbetrübter Stimmung müssen wir den schicksalshaften Tag unaufhaltsam näherkommen sehen, wo der letzte Hebrone am Grabe des Vorletzten stehen wird …“.
Literatur
Gaby Coldewey, Anja Fiedler, Stefan Gehrke, Axel Halling, Marianna Hausleitner, Eliza Johnson-Ablovatski, Nils Kreimeier, Gertrud Ranner: Zwischen Pruth und Jordan. Lebenserinnerungen Czernowitzer Juden. Wien-Köln-Weimar: 2003; Josef Ebner: Geschichte der JNAV Zephirah in Czernowitz. In: Hugo Gold (Hrsg.): Geschichte der Juden in der Bukowina. Bd. 2. Tel Aviv: 1962; Raimund Lang: Couleur in Czernowitz. Hilden: 2013; Adolf Gaisbauer: Davidstern und Doppel-adler. Zionismus und jüdischer Nationalismus 1882-1918. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Ge-schichte Österreichs, Bd. 78) Wien-Köln-Graz 1988; Fritz
Roubicek: Von Basel bis Czernowitz. Die jüdisch-akademischen Studentenverbindungen in Europa. (Beiträge zur österreichischen Studentengeschichte, Bd. 12, Wien 1986); Harald Seewann, Erloschenes Burschentum in der Bukowina. Streiflichter auf das Leben der Jüdisch-nationalen akademischen Verbindung Hebronia Czernowitz (1900-1936). (Historica Academica Judaica, Folge 8) Graz: 2016); Ders. (Hrsg.): Zirkel und Zionsstern. Bilder und Dokumente aus der versun-kenen Welt des jüdisch-nationalen Korporationsstudententums. Ein Beitrag zur Geschichte des Zionismus auf akademischem Boden. 5 Bde. Graz: 1990-1996; Rudolf Wagner (Hrsg.): Alma Mater Francisco Josephina. Die deutschsprachige Nationalitäten-Universität in Czernowitz. München: 1975; Zvi Yavetz: Erinnerungen an Czernowitz: Wo Menschen und Bücher lebten. München: 2008.
Mit besonderem Dank an Christoph Heimerl sowie Edgar Hauster und Jerome Schatten (ephes.com).