Ausgabe

Das jüdische Florenz im Wandel der Zeit

Martin MALEK

Serie, Teil 1

 

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Florenz ist eine der schönsten Städte nicht nur Italiens, sondern Europas und jederzeit einen Besuch wert. Die massgeblich von der Familie Medici geprägte Zeit der Renaissance, Leonardo da Vinci, Dante Aligheri, Galileo Galilei, Benvenuto Cellini, Michelangelo Buonarroti, Niccolò Machiavelli und viele andere Architekten, Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Bankiers, Kaufleute und Politiker haben ein reiches Erbe hinterlassen, das bis heute jährlich Millionen Touristen anzieht. Als Schauplatz auch jüdischen Lebens erregt Florenz allerdings nur eher selten Interesse.1 

 

So hat sich auch das Ghetto der Stadt in der historischen Forschung weniger Aufmerksamkeit erfreut als vergleichbare Einrichtungen in Rom und Venedig. 2016 stand die Lagunenstadt wegen der dortigen Etablierung des weltweit überhaupt ersten ständigen Ghettos genau 500 Jahren zuvor im Mittelpunkt der einschlägigen Aufmerksamkeit. Dieses an sich traurigen Jubiläums wurde mit Ausstellungen und zahlreichen anderen Veranstaltungen, darunter wissenschaftliche Konferenzen, und Publikationen gedacht.2

 

Von den Anfängen zur Bildung einer Gemeinde

Einige wenige jüdische Geschäftsleute dürften bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Florenz präsent gewesen sein, als dieses auch und gerade dank seiner Textilproduktion und seines Bankwesens zu den grössten Städten Europas gehörte. 1428 lieh die jüdische Gemeinschaft von Florenz Papst Martin V. im Austausch für dessen Schutz Geld. Von einer dokumentarisch belegten signifikanten Anzahl von Juden in der Stadt kann um das Jahr 1437 gesprochen werden. 1434 war Cosimo de’ Medici der Ältere (1389-1464) aus einem im Jahr zuvor angetretenen Exil zurückgekehrt. Er (dessen eigene materielle Basis Bankgeschäfte waren, deren Effektivität er durchaus auch mit Bilanzfälschungen aufbesserte) brachte eine Gruppe jüdischer Geldverleiher nach Florenz; den christlichen Geldverleihern war diese unbeliebte Tätigkeit von der Kirche verboten worden. Die Leihanstalten waren dann über die ganze Stadt verstreut, da es (noch) keine Restriktionen für das jüdische Leben gab. 

Zahlreiche Dokumente aus Bibliotheken und Archiven in Florenz, aber auch anderen Städten bezeugen für weite Teile des 15. Jahrhunderts einen lebhaften intellektuellen Austausch zwischen jüdischen Gelehrten und humanistischen Kreisen. Das war zunächst auch unter Lorenzo de‘ Medici „il Magnifico“ („dem Prächtigen“), der 1469-1492 regierte, der Fall: Er rief jüdische Ärzte und Gelehrte, darunter den damals bekannten Abraham ben Mordechai Farissol, an seinen Hof. Doch 1472 wütete die Pest in Florenz, und die Juden wurden als Sündenböcke ausgewiesen. Als die Epidemie im Folgejahr abebbte, holte man die Juden zurück, da man ihrer Dienste als Geldverleiher bedurfte. Sie lebten dann unter dem Schutz des Senats (eines der wichtigsten kollektiven Leitorgane der Republik) von Florenz. Während der vorübergehenden Vertreibung der Medici (1494-1498) war der Bussprediger Girolamo Savonarola – ein Demagoge, den man heute möglicherweise als (katholischen) „Fundamentalisten“ bezeichnen würde – de facto der Herr der Stadt; er wies die Juden kurzerhand aus. 1512 kehrten die Medici an die Macht in Florenz zurück. 

1537 erreichte der aus Ferrara stammende sephardische Jude Jacob Abravanel bei Cosimo I. de’ Medici, dass sich Sepharden und Marranen (iberische Juden und deren Nachkommen, die unter Zwang oder Druck das Christentum angenommen hatten – oder jedenfalls so taten „als ob“) in Florenz und Pisa ansiedeln durften. Dabei spielten aber wieder weit weniger altruistische Motive – das Interesse, den Handel der Toskana mit der Mittelmeerregion zu beleben – eine Rolle. Auch italienische Juden kamen nach Florenz, so aus dem von den Spaniern kontrollierten Neapel sowie aus den vom Papst beherrschten Städten Rom und Ancona, wo 1555 Ghettos eingerichtet worden waren. Bis 1570 wuchs die jüdische Bevölkerung von Florenz auf ca. 700 Personen an.

Die politischen Differenzen zwischen den Medici und dem Papst gereichten den Juden insofern zum direkten Vorteil, als Erstere die explizit antijüdische Politik des Letzteren zunächst nicht mittrugen. Dann allerdings vollzog Cosimo I., für den der Kirchenstaat und Spanien immer mehr an aussenpolitischer Relevanz gewannen, gegenüber den Juden einen Kurswechsel: 1567 erliess er Kleidervorschriften speziell für sie, dann schloss er ihre Banken, und 1570 ordnete er die Schaffung von Ghettos in Florenz und Siena an. Schon 1569 war Cosimo zum Dank für seine Dienste von Papst Pius V. zum Grossherzog der Toskana erhoben worden. Machiavelli äusserte sich über Cosimo in seiner – allerdings nur bis zum Jahr 1500 reichenden – Geschichte von Florenz positiv. Die Juden kommen in diesem Buch freilich erst gar nicht vor.3 Michael Ledeen warf die – wohl nicht ganz ernst gemeinte – Frage auf, ob Machiavelli ein „geheimer Jude“ gewesen sein könnte.4

 

1 Vgl. Klaus Samuel Davidowicz: Die Renaissance und das Judentum. David, Nr. 68, (http://david.juden.at/kulturzeitschrift/66-70/68-Davidowicz2.htm) (17.02.2017).

2 Vgl. David, Nr. 109 & 110.

3 Niccolo Machiavelli: Geschichte von Florenz. Gesammelte Schriften in fünf Bänden. 4. Band. München: 1925, S. 416.

4 Michael Ledeen: What Machiavelli (A Secret Jew?) Learned From Moses. Jewish World Review, 07.06.1999, (http://www.jewishworldreview.com/0699/machiavelli1.asp) (17.02.2017).