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Die jüdischen Gründungsmitglieder der Österreichischen Nationalbank 1816 und ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien

Tina WALZER

Serie, Teil 4: Berühmte jüdische Familien aus Mähren als Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank

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Mähren überrascht mit einer schier unglaublichen Fülle an Synagogen, bestens gepflegten jüdischen Friedhöfen und imposanten Schlössern. Zur Ausbildung der reizvollen und reichen historischen Kulturlandschaft haben nicht zuletzt Juden mit ihren Gemeinden ganz entscheidend beigetragen. Als Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank setzten sie sich darüber hinaus auch für den Staat massgeblich ein.

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Grabinschrift für Jesaias Pontzen auf dem Kenotaph im altrömischen Stil. Foto: T: Walzer 2009, mit freundlicher Genehmigung.

 

Von der herausragenden Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Nikolsburg (heute Mikulov, Tschechische Republik) zeugt heute nur mehr eine einzige vollständig erhaltene der ursprünglich zwölf Synagogen. In der ehemaligen Judengasse (heute Husova ul.), direkt zu Füssen des Liechtenstein-Dietrichsteinschen Schlosses gelegen, erstaunt dieser eindrucksvolle Renaissance-Bau ebenso wie der bestens erhaltene jüdische Friedhof mit seinen wertvollen Grabsteinen. Die Stadt war seit dem Spätmittelalter eines der bedeutendsten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit in ganz Mitteleuropa – und Sitz der mährischen Landesrabbiner. 

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Grabmal von Jesaias Pontzen auf dem jüdischen Friedhof Währing in Wien. Foto: T: Walzer 2009, mit freundlicher Genehmigung.

 

Die Familie Eskeles leitet sich von einem Bruder des berühmten Prager Rabbi Jehuda Löw ben Bezalel (1512/1525 - 1609) her und stellte bereits im 17. und 18. Jahrhundert die mährischen Landesrabbiner Gabriel (1655 - 1718) und Baruch (1691/92 - 1753) Eskeles. Baruch war nicht nur ein bedeutender Gelehrter, sondern als Schwiegersohn auch Erbe des ansehnlichen Vermögens des Oberhoffaktors und ungarischen Landesrabbiners Samson Wertheimer. So war er in der Lage, die Mitglieder der mährischen jüdischen Gemeinden vor den Repressalien der judenfeindlichen Herrscherin Maria Theresia (1717 - 1780) in Schutz zu nehmen.1 

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Grabstelle für die Gebeine von 28 Mitgliedern der Familie Leidesdorf bei Tor 4 des Zentralfriedhofs, unter ihnen auch jene von Sara Pontzen geb. Leidesdorf. Foto: T. Walzer 2005, mit freundlicher Genehmigung.

 

Einer seiner Söhne, der erst nach seinem Tod geborene (daher namensgleiche) Baruch Bernhard Eskeles (1753 - 1839) wurde nicht nur zum Mitbegründer der Ersten österreichischen Spar-Casse, sondern auch zu einem bedeutenden Förderer der Österreichischen Nationalbank. Aufgezogen in Amsterdam, wohin seine Mutter nach dem Tod des Vaters geheiratet hatte, wurde er dort nach den Traditionen der gelehrten Familie für den Beruf des Rabbiners und zugleich umfassend kaufmännisch ausgebildet. 1772 kam er zurück nach Wien und trat das Erbe seines Vaters an. Als erfolgreicher Finanzberater Josephs II. und Franz I. wurde er 1797 in den Adelsstand, 1811 in den Ritter-, und 1822 in den Freiherrenstand erhoben. Fünfzig Jahre lang war er im Vorstand des Handelshauses Arnstein und Eskeles; während des Wiener Kongresses spielte sein Salon, geleitet von seiner Ehefrau Cäcilie (einer Schwester Fanny von Arnsteins), eine für die internationalen Verhandlungen tragende Rolle. Nach der Gründung der Österreichischen Nationalbank war er zunächst deren Direktor, später Gouverneur-Stellvertreter. Seinem Trauerkondukt folgten 150 Equipagen, darunter jene des Fürsten Metternich.

Mähren war auch Herkunftsregion fünf weiterer Gründungsmitglieder der Österreichischen Nationalbank: Die Familien von Joseph, Lazar und Albert Kohn, von Maximilian Trebitsch sowie von Jesaias Pontzen stammten von hier. 

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Ehemalige Grabstelle von Rosalia Trebitsch auf dem jüdischen Friedhof Währing in Wien. Der Grabstein wurde im Zuge der Exhumierung durch das Naturhistorische Museum Wien entfernt. Foto: Foto: T. Walzer 2009, mit freundlicher Genehmigung.

 

Jesaias Pontzen wurde 1778 in Nikolsburg geboren. Bereits ab 1797 lebte er in Pressburg,  der Geburtsstadt seiner späteren Frau Sara Leidesdorf (1777 - 1853). Dort kamen auch seine Kinder auf die Welt. Wiewohl er sich jahrelang um Erlangung einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien bemühte, erhielt er diese erst im November 1819. Seine wiederholte finanzkräftige Einsatzbereitschaft im Dienste der Staatsfinanzen mag dabei einer der ausschlaggebenden Faktoren gewesen sein. Zehn Jahre danach gehörte er zu den Gründungsvätern der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Er verstarb am 21. Dezember 1844 in Wien und wurde auf dem jüdischen Friedhof Währing begraben, seine Frau neun Jahre später im Nebengrab. 

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Die sterblichen Überreste von Rosalia Trebitsch wurden nach der Exhumierung in der NS-Zeit und Restitution 1947 in einem Notgrab am Zentralfriedhof, neue jüdische Abteilung, wiederbestattet. Foto: T. Walzer 2005, mit freundlicher Genehmigung.

 

Sein Grabmal im Stil eines altrömischen Kenotaphs trägt die Inschrift: „Von den betrübten Kindern, dem besten Vater“. Sara Pontzens in gleichem Stil gehaltenes Sandstein-Grabmal wurde demoliert; Reste liegen seither auf dem Nachbarmonument am jüdischen Friedhof Währing aufgetürmt: ihr Leichnam wurde in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Exhumierung für sogenannte rassekundliche Zwecke seitens des Naturhistorischen Museums Wien geschändet. Die sterblichen Überreste wurden gemeinsam mit jenen von achtundzwanzig weiteren Mitgliedern der Familie Leidesdorf 1947 auf Veranlassung der alliierten Behörden an die IKG Wien restituiert und aus Geldmangel in einem Gemeinschaftsgrab beim neuen Wiener jüdischen Friedhof am 4. Tor des Zentralfriedhofs wiederbestattet. Jesaias Pontzens Name selbst taucht auf einer sogenannten Wunschliste des Museums im Jahr 1942 oder 1943 auf, zur Exhumierung seiner Leiche liegt jedoch in den Akten des Museums kein Protokoll ein, sodass nicht klar ist, ob sein Grab letztlich geöffnet wurde oder nicht. Sollte dies der Fall gewesen sein, so muss sein Leichnam heute als verschollen gelten.

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Grabstein von Albert Kohn auf den jüdischen Friedhof Währing in Wien. Foto: T. Walzer 2009, mit freundlicher Genehmigung.

 

Über ihre Ehefrauen, die direkte Cousinen zueinander waren, entstanden enge familiäre und geschäftliche Verbindungen zwischen Jesaias Pontzen und Maximilian Trebitsch, einem weiteren jüdischen Gründungsmitglied der Österreichischen Nationalbank: beide Frauen stammten aus der berühmten Wiener und Pressburger Hofjudenfamilie Leidesdorf. Ein weiterer Leidesdorfer, Markus (1754 - 1838) aus der Linie Nass, war ebenfalls Mitbegründer der Nationalbank und wurde 1817 für seine Verdienste um den Staat als Markus Edler von Neuwall in den Adelsstand erhoben.

 

Maximilian Trebitsch (1748? 1770? - 1820), Sohn des Wiener tolerierten Juweliers Joseph Trebitsch, war in zweiter Ehe mit Rosalia Leidesdorf (1780 - 1855) verheiratet. Er starb auf einer Reise in Würzburg, sein Grab befindet sich in Heidingsfeld, Bayern. Rosalia überlebte ihn um 35 Jahre und war am jüdischen Friedhof Währing in der älteren Prominentengruppe der Hofjuden und Tolerierten bestattet. Ihr Grabmal wurde zerstört, als während der NS-Zeit ihr Grab im Auftrag des Naturhistorischen Museums Wien geschändet und ihr Leichnam weggebracht wurde. In der Nachkriegszeit wurden die noch auffindbaren sterblichen Überreste durch die IKG Wien in einem Notgrab am neuen jüdischen Teil des Zentralfriedhofs wiederbestattet. Am jüdischen Friedhof Währing blieb in der Grabreihe lediglich eine Lücke zurück.

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Die Grabstelle von Amalie Kohn, der Tochter von Maximilian Trebitsch, ist mit einem Obelisk im ägyptischen Stil geschmückt. Sie liegt unmittelbar neben dem Grabmonument von Bernhard Eskeles auf dem jüdischen Friedhof Währing. Foto: T. Walzer 2009, mit freundlicher Genehmigung.

 

Maximilian Trebitschs Tochter aus erster Ehe, Amalie (1797 - 1855) heiratete Albert Kohn (1791 - 1828), der zu einem weiteren Gründungsmitglied der Österreichischen Nationalbank werden sollte. So wie ihre Stiefmutter Rosalia gehört sie zu den Unterzeichnerinnen der ersten Statuten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien 1829. Albert Kohns Grabstein im Stil der thorabandartigen, antikisierenden Grabsteckplatten der Wiener Hofjuden-Familien ist hebräisch-deutsch zweisprachig beschriftet und trägt das charakteristische Symbol der Angehörigen der Priesterfamilien (hebr. Cohen), die erhobenen Hände mit gespreizten Fingern - dies deutet auf die Funktion der Kohanim während des G’ttesdienstes zu den Hohen Feiertagen, das Erteilen des Segens, hin.

 

Sein Bruder Lazar Leopold Kohn (1782 - 1820) war einer der sogenannten k.k. privilegierten Grosshändler für Lederwaren in Wien und zählt ebenso wie Albert zu den Mitbegründern der Österreichischen Nationalbank 1816. In das Geschäft samt Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis waren die beiden in diesem Jahr nach dem Tod ihres Vaters eingetreten. Drei Jahre danach, gerade als Jesaias Pontzen seine Aufenthaltserlaubnis in Wien erhielt, wurde Lazar Kohn bereits vom Kaiser mit der goldenen Ehren-Medaille für Verdienste um die inländische Industrie und “insbesondere um die für den österreichischen Staat so wichtige Ledererzeugung” ausgezeichnet ─ er hatte durch finanzielle Zuwendungen den Fortbestand zweier anderer Lederwaren-Unternehmen gesichert. Wie Bernhard Eskeles gehört auch Lazar Kohn zu den Gründungsmitgliedern der Ersten österr. Spar-Casse. Da er in Jánosháza (Komitat Vas, Ungarn) verstarb, findet sich sein Grab nicht auf dem jüdischen Friedhof Währing. Die genannten Brüder Kohn waren Söhne von Kaspar Kohn (1750 - 1816) aus der jüdischen Gemeinde Pirnitz in Mähren (heute Brtnice, Tschechische Republik), der ebenfalls auf dem jüdischen Friedhof Währing bestattet ist.

 

Familiäre Beziehungen und damit zusammenhängend enge wirtschaftliche Verflechtungen bildeten offensichtlich beim Engagement zur Rettung der Staatsfinanzen in Form der Gründung einer Österreichischen Nationalbank 1816 eine wesentliche Entscheidungsgrundlage. Dies lässt sich anhand der mährischen Gründerfamilien besonders deutlich ablesen.

 

In Heft 115 folgt Teil 5 der Serie: Berühmte jüdische Familien aus Pressburg (heute Bratislava, Slowakei) als Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank

 

1  Siehe dazu auch den Beitrag: Tina Walzer, Die Lebensbedingungen Wiener Juden in der Zeit Maria Theresias. Eine Welt der Hofjuden und Türkischen Kaufleute in dieser Ausgabe.