Eine Welt der Hofjuden und Türkischen Kaufleute
Die Habsburgerherrscherin Maria Theresia (13.5.1717 - 29.11.1780) ist nicht für eine judenfreundliche Politik in die Geschichte eingegangen. Dennoch wurden gerade in ihrer Zeit Fundamente für die Ausbildung blühenden jüdischen Lebens in Wien gelegt.
Vertreibung der Juden aus Prag, 1745. Zeitgenössischer Kupferstich. Quelle: Wikipedia.
Juden waren von einer ganzen Reihe gezielter Zwangsmassnahmen der Herrscherin Maria Theresia gegen sie betroffen – von einer Bartpflicht über das Tragen des Gelben Flecks und Spottnamen bis zur Erpressung der jüdischen Gemeinden ganz Mährens sowie einer Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Prag. Sie setzte damit die seit dem Mittelalter in den habsburgischen Ländern eingeübte Praxis der Judenverfolgung fort. Die Erste Wiener jüdische Gemeinde war unter Pogromen in den Jahren 1420/21 vertrieben und ermordet worden. Einer von Maria Theresias Vorgängern, Kaiser Leopold I. (9.6.1640 – 5.5.1705), hatte die Zweite Wiener jüdische Gemeinde 1670 aus Wien vertrieben.
Grabmal der Mutter von Diego d’Aquilar auf dem jüdischen Friedhof in der Seegasse. Foto: T. Walzer 2008.
Trotz weitreichender negativer Auswirkungen der mariatheresianischen Judenpolitik fanden zur selben Zeit entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft jüdischer Gemeinden in Wien statt. Ihr Sohn und jahrelanger Mitregent, Kaiser Joseph II. (13.3.1741 – 20.2.1790) holte mit seiner vom Gedankengut der Aufklärung getragenen Toleranzpolitik die Juden 1782 wieder nach Wien zurück. Er ermöglichte damit in weiterer Folge die Bildung der Dritten Wiener jüdischen Gemeinde 1829. Diese sollte bis zu ihrer Auslöschung in der NS-Zeit bestehen bleiben. Es war die unmittelbare Vorgängergemeinde der heutigen, Vierten jüdischen Gemeinde Wiens.
Die Hofjuden des 18. Jahrhunderts
Die Herrscher in ganz Europa holten sich sogenannte Hofjuden oder Hoffaktoren an ihre Machtsitze. Auch die Habsburger folgten diesem Beispiel. Die Funktionen der Hofjuden als Lobbyisten und Berater der Administration wurden hoch geschätzt. Viele Herrscher verliessen sich gerade bei der Finanzierung militärischer Aufgaben auf deren fachlich unersetzliche Expertise. Über die weitverzweigten Netzwerke der Familien und Gemeinden erhielten sie Informationen darüber, was an anderen Herrschaftszentren gerade geplant wurde – besonders in Zeiten wechselnder internationaler Allianzen nützlich: Wissen um politische Strategien der konkurrierenden Herrscherhäuser war entscheidend für territorialpolitische Ambitionen.
Diese Hofjuden durften sich während des 18. Jahrhunderts trotz des allgemeinen Niederlassungsverbots für Juden in Wien aufhalten und Familienangehörige sowie Personal bei sich haben. Sie formten von nun an den Grundstock jener Familien, die später dank des josephinischen Toleranzpatents mit der Arbeit an der Einrichtung einer neuen jüdischen Gemeinde beginnen konnten. Zu ihnen zählten neben den Oppenheimers und Wertheimers die Lämel oder die Herz.
Wappen der Familie Diego d’Aquilar. Quelle: Wikipedia
Sie erfüllten für ihre Herrscher wichtige Funktionen, und die jüdischen Gemeinden der gesamten Region legten ihr Wohl in die Hände dieser einflussreichen Männer. In regelmässigen Abständen hatten die Hofjuden enorme Zahlungen zur Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen zu leisten, für deren Aufbringung die jüdischen Gemeinden im weiten Umkreis sorgten – vertraten diese doch dann ihre Interessen bei Hofe. Mithilfe solcher Zahlungen, die den Hofjuden auferlegt wurden, konnten in Wien prachtvolle Repräsentativbauten wie Schloss Schönbrunn, die Karlskirche oder die kaiserliche Hofbibliothek am Josephsplatz (die heutige Nationalbibliothek) errichtet werden.
Die meisten sefardischen, nämlich Türkischen Juden Wiens hingegen waren nicht darauf angewiesen, als Hofjuden vom Herrscherhof persönlich angefordert zu werden. Als Untertanen des Osmanischen Reiches hatten sie als Türkische Kaufleute ohnehin Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Die Hofjuden rekrutierten sich daher vorrangig aus aschkenasischen Juden, die diesen Vorteil nicht hatten und sich bei der Kaiserin nützlich machen mussten, um in Wien sein zu dürfen.
Diego d‘Aquilar
Eine der schillerndsten und zugleich mächtigsten Figuren am Höhepunkt von Maria Theresias Herrschaft war ihr Hoffaktor Moses Lopez Pereira (1699 Portugal – 1759 London), genannt Diego d‘ Aquilar. Aus einer portugiesisch-jüdischen, im Zuge der Rekatholisierung Spaniens von 1492 zwangsgetauften Familie stammend, erstrebte er – so die legendenhafte Überlieferung - gar die Kardinalswürde. An diesem Punkt angelangt, schaltete sich die Inquisition ein, und die ganze Familie musste vor einer drohenden Hinrichtung aus Spanien fliehen. Die inzwischen wieder zurück zum Judentum konvertierte Mutter Pereira und ihre Söhne fanden Aufnahme in Wien. Drei Grabsteine am alten Friedhof in der Seegasse zeugen heute noch vom Schicksal dieser Familie.
Moses aber, der sich nun Diego d’Aquilar nannte, kam am mariatheresianischen Hof als Verwalter des Tabakmonopols zu solchem Einfluss, dass er persönlich die Vertreibung der Juden aus Prag verhindern konnte. Maria Theresia gelang es nicht, dieses Ziel gegen seinen Widerstand zu erreichen. Die Prager Juden, die bereits in einem langen Flüchtlingsstrom die Stadt verlassen hatten, durften nach Hause zurückkehren.
Aus Dankbarkeit für seine Dienste hatte Maria Theresia ihren geschätzten Berater sogar zu einem Baron des Heiligen Römischen Reiches erhoben. Die Gunstbezeugungen endeten allerdings abrupt. Als dann auch noch die spanische Inquisition seine Auslieferung forderte, sah sich Moses Lopez Pereira gezwungen, mit Frau und Kindern nach London zu fliehen. Dort, wo er schliesslich auch verstarb, sollte er noch eine bedeutende Rolle in der spanisch-portugiesischen Gemeinde spielen.
Die Wiener Sefarden
Nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern und der Hohen Pforte ergriffen die beiden Reiche gemeinsam wirtschaftsfördernde Massnahmen, um die darniederliegenden Beziehungen zwischen Asien und Europa wieder zu beleben. Besonders, nachdem sich die Herrscher im Frieden von Passarowitz 1718 über die zukünftige Zusammenarbeit geeinigt hatten, gelangten vermehrt sogenannte Türkische Juden nach Wien. Die Familien stammten zumeist aus den Balkanländern; zu ihnen zählten die Arditti – auf der mütterlichen Seite des Schriftstellers Elias Canetti -, Russo und Elias, Camondo, Nissim, Benvenisti oder Eschkenasy. Ihre Aufgabe war es, den durch die Kriegseinwirkungen komplett zerstörten Orienthandel neu aufzubauen. Sie erfüllten diesen Wunsch nur allzu gern, allerdings nicht als Juden – als solche durften sie sich in Wien gar nicht aufhalten. Vordergründig waren sie einfach Türkische Kaufleute. Im 3. Bezirk richteten sie Kervansarayen (Handelshäuser und Warenlager) ein. Reste dieser imposanten Bauten haben sich in Hinterhöfen rund um die Löwengasse bis heute erhalten.
Auf Initiative des selbstbewussten Diego d’Aquilar wagten sie es, eine zunächst nur verdeckt existierende sefardisch-jüdische Gemeinde zu begründen. Als die d’Aquilars nach London fliehen mussten, erhielten die Wiener Türkischen Juden als Abschiedsgeschenk prachtvolle silberne Kronenaufsätze für ihre Thorarollen, auf denen der Name des berühmten Hoffaktors eingraviert war. Für seine Seele wurde seither jedes Jahr, bis zur endgültigen Auslöschung der Gemeinde durch die Nazis, zu Jom Kippur im Türkischen Tempel in der Zirkusgasse gebetet.
Der straffe Zusammenhalt der sefardischen Gemeinde befähigte sie, derart forsch Nachdruck gegenüber dem religionsscheuen Kaiser Joseph II. zu entwickeln, dass dieser ihnen gestattete, hochoffiziell die Türkisch-Israelitische Kultusgemeinde zu begründen. Dies war die erste offiziell eingerichtete jüdische Glaubensvertretung Wiens. Ihre aschkenasischen Glaubensbrüder mussten auf den ersehnten Moment der Genehmigung einer Israelitischen Kultusgemeinde Wien noch zwei weitere Generationen lang warten.