Ausgabe

Das Porträt auf einer Briefmarke: Hannah Arendt.

Tatjana LODERMEIER

Über ein Hobby der jüdischen Philosophin: Dichten

 

Content

Eine nachdenkliche Frau blickt von der Briefmarke ins Publikum. Kurzes, nach hinten gelegtes Haar. Forschender Blick und langanhaltender Augenkontakt. Wer ist diese Frau? Was hat sie in ihrem Leben geleistet, um auf einer Briefmarke abgebildet zu sein? Die im Jahre 1988 in der Reihe „Frauen in der deutschen Geschichte“ bei der Westberliner Post erschienene Briefmarke zeigt die Philosophin und Dichterin Hannah Arendt, die am 14. Oktober 1906 in Linden/Hannover in einem jüdischen Elternhaus zur Welt kommt. Interessiert studiert sie bei Edmund Husserl und Martin Heidegger Philosophie und Theologie in Marburg und Freiburg. 1933: Hannah Arendt wird für kurze Zeit verhaftet und flieht anschliessend aus dem Land. In Paris angekommen, arbeitet sie sehr engagiert bei mehreren jüdischen Organisationen. Was sie dabei empfindet, lässt sich mit den Strophen aus Klage beschrieben:

Doch das Leid will nicht beschwichten

Alte Träume, junge Weisheit

Und es lässt mich nicht verzichten

Auf des Glückes schöne Reinheit.

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In Frankreich heiratet sie 1940 ihren zweiten Ehemann Heinrich Blücher. Danach wieder Flucht und Emigration in die USA; wo sie vorerst als Journalistin arbeitet. Hannah Arendt steht zum wiederholten Mal vor einer ungewissen Zukunft, vor einem Neuanfang1:

So spinnt das Leben mich

an seinen Fäden leise

ins nie gekannt Muster fort.

 

Die Philosophin schliesst Freundschaften mit Intellektuellen ihrer Zeit. Darunter sind Martin Heidegger, Hans Jonas, Mary Maccarthy, Karl Jaspers und Karl Blumenfeld.  Ihre Beweggründe, den Briefwechsel sorgfältig zu pflegen und ihr Leben lang aufrecht zu erhalten, äussert Hannah Arendt im Gedicht An die Freunde:

Spürt der Dankbarkeit und Treue

Zartestes Erheben

Und Ihr wisst: in steter Neue

Wird die Liebe geben.

 

2006 wurde zu Ehren von Hannah Arendt 100. Geburtstag in der BRD noch eine Briefmarke ausgestellt. Sie besteht aus drei Teilen. In der Mitte ist die  Philosophin an einem Schreibtisch sitzend und arbeitend zu sehen. Links davon sind ihre Lebensdaten (1906 – 1975) zu finden. Rechts von ihrem Foto ist ein mit einer Schreibmaschine abgetippter Brief in englischer Sprache zu sehen. Damit wird auf die Tätigkeit von Hannah Arendt verwiesen: dem Verfassen von philosophischen und politischen Texten. Ihre Schriften Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Vita activa, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen sind mal analytisch, mal politisch oder auch kritisch. Am Brooklyn College in New York erhält Hannah Arendt 1953 eine Professur. Die Philosophin verpflichtet sich keiner bestimmten Denktradition, sondern geht auf Distanz und versucht aus dieser Perspektive die Zusammenhänge im Leben einer Gesellschaft zu verstehen: Sinnverstehen, sinnendes Denken. Das ist die Lieblingsbeschäftigung von Hannah Arendt.

In Abschied, das zu einem ihrer frühen Gedichte zählt, skizziert die Autorin vorhersehend das von ihr hinterlassene Kulturgut.

Ihr verliert mich nicht. Ich lasse Euch zum Zeichen

Dies Blatt und die Flamme zurück.

Eine Flamme, die nach dem Tod von Hannah Arendt weiterhin hell leuchtet und nachfolgende Generationen zum Nachdenken anregt. Warum so und nicht anders? Denn 2

Gedichtetes Wort

Ist Stätte, nicht Hort.

 

Die lyrischen Versuche von Hannah Arendt umfassen ca. 70 Gedichte. Die Ersten entstehen in den frühen 20-er Jahren und sind möglicherweise als kreative Verarbeitung ihrer Gefühle zu Martin Heidegger zu orten. Die Späteren schreibt die Autorin von 1942 bis 1961 in den USA. Im Piper Verlag (München/Belin) ist 2015 eine vollständige Sammlung der Gedichte von Hannah Arendt erschienen und ist im Buchhandel unter dem Titel Ich selbst, auch ich tanze zu erwerben.

 

Zur Autorin

Tatjana Lodermeier (geb. 1975) studiert Pädagogik und Sonderpädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie ist als Dolmetscherin für Deutsch und russische Sprachen tätig und engagiert sich in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Würzburg und Unterfranken (e.V.).

 

1  Aus dem Gedicht Ich liebe die Erde

2  Aus einem Gedicht ohne Titel