Monika Kaczek
Vom Erfinden der Träume
Sayed Kashua: Lügenleben. Roman
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
München: Piper Verlag 2019
272 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 24,70 Euro
ISBN 978-3-8270-1317-0
E-Book, WMEPUB EAN 978-3-8270-7990-9, 19,99 Euro
Zum Autor
Sayed Kashua wurde am 31. Juli 1975 in Tira (Israel) als Sohn arabischer Israelis geboren und wuchs im Grenzgebiet zum Westjordanland auf. Er arbeitete als Filmkritiker, Kolumnist der linksliberalen Zeitung Haaretz und ist Autor der erfolgreichen israelischen Sitcom Avodah Aravit (Arabische Arbeit). Auf Deutsch erscheinen seine Bücher Tanzende Araber, Da ward es Morgen und Zweite Person Singular. 2014 emigrierte er mit seiner Familie in die USA, wo er heute an der University of Illinois at Urbana-Champaign lehrt. In einem Essay im SPIEGEL schildert er die Beweggründe: „25 Jahre schreibe ich schon auf Hebräisch, und geändert hat sich gar nichts. 25 Jahre klammere ich mich an die Hoffnung und glaube daran, dass Menschen nicht so blind sein können. 25 Jahre, in denen es nicht viele Gründe gab, optimistisch zu sein, doch habe ich weiterhin geglaubt, es könnte eines Tages möglich sein, dass Juden und Araber eine Geschichte hätten, welche die Geschichte des jeweils anderen nicht leugnet. (...) In den 25 Jahren, in denen ich schreibe, habe ich harte Kritik von beiden Seiten erfahren, doch in der letzten Woche habe ich aufgegeben. In der letzten Woche ist etwas in mir zerbrochen. Als jüdische Jugendliche in Jerusalem »Tod den Arabern« schrien und Araber angriffen, nur weil sie Araber sind, habe ich verstanden, dass ich meinen kleinen Krieg verloren habe.“
Lügenleben ist das letzte Buch, das von der grossen Mirjam Pressler ins Deutsche übersetzt wurde.
Zum Buch
Gemeinsam mit seiner Frau hat der Ich-Erzähler Said vor mehr als zehn Jahren seinen Heimatort Tira, ein Dorf in der Nähe von Tel Aviv, verlassen, um in die USA zu ziehen. Mittlerweile hat das Paar drei Kinder; die Ehegattin arbeitet an der Universität und verdient das Geld, während Said als Ghostwriter so genannte Erinnerungsbücher schreibt – Biographien unbekannter Menschen, die er so gestaltet, dass ihr Leben nun besonders erscheint. „Die schriftlichen Erinnerungen müssen schön sein, und wenn ich das Gefühl hatte, das Material, das mir die Befragten lieferten, könnte ihr Bild bei dem Leser trüben, korrigierte ich ihre Träume, strich einige Sätze und fügte andere hinzu, und manchmal erfand ich für sie sogar Träume und Gedanken, die sie beim Schlafengehen begleiten.“ (S. 33)
Eines Tages erhält Said die Nachricht, dass sein Vater im Spital sei und sich in einem ernsten Zustand befinde. Schnell reist der Sohn nach Israel, seine alte Heimat, zurück. Diese Rückkehr bringt flüchtige Erinnerungen mit sich, wie zum Beispiel Begegnungen oder die Farbe von Tee im Glas. Und nur dem sterbenden Vater kann er darüber berichten: lückenhaft und geschönt, wie die Auftragswerke seiner Kunden.
„Mein Vater starb friedlich im Schlaf, einen gnädigen Tod. Es war das engelhafte Lächeln auf seinen Lippen, das meinen Verdacht weckte. Ich hielt seine Hand, die noch warm und angenehm war, »Vater«, rief ich, »Vater«, und er drückte mir kurz die Hand. Ich könnte schwören, dass sein Lächeln, das noch nie so ruhig gewesen war, in dem Moment, als er losliess, noch breiter wurde.“ (S. 250)
*Kashua, Sayed: Auf Wiedersehen Israel. In; DER SPIEGEL 29/2014,14.07.2014, S. 83; https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128101552.html