Ausgabe

Vergessen oder ­zweigeln?

Robert Streibel

Über den Züchter einer bekannten österreichischen Rebsorte und über den Umgang mit der NS-Vergangenheit beim Rotweintrinken

Inhalt

Als die Polizei den Direktor der Weinbau- und Gartenbauschule Klosterneuburg Friedrich Zweigelt am 3. Juli 1945 verhaftet, wird seine Frau aussagen, dass er sich niemals politisch betätigt habe, seine Mitgliedschaft in der  NSDAP vor 1938 sei wie bei so vielen fast ein Missverständnis.

Bei der Hausdurchsuchung werden auch schriftlich formulierte Reden gefunden, aus denen klar wird, dass er nicht nur ein Karrierist war, der die Zeichen der Zeit genutzt hat, sondern dies mit Überzeugung getan hat. Als er 1938, am Tag des „Anschlusses“, provisorischer Leiter der Weinbauschule wurde und am 13. März die Schule betrat, hat er sein Vorhaben in einem Wort zusammengefasst. „Jetzt geh ich auf Menschenjagd“, und damit war die „Reinigung“ der Schule von Personen gemeint, die nicht dem neuen politischen Standard entsprachen. Am Ende waren es mehr als 40 Personen, die ihren Posten verloren.

Friedrich Zweigelt hatte einen wissenschaftlichen Blick auf den Wein und war ein Spezialist seines Faches. Die Debatte um die beliebteste Rotweinsorte Österreichs und dessen Namenspaten ist keineswegs neu. Im Jahr 1975, Jahre nach dem Tod von Zweigelt, wurde der Rotburger, die Züchtung von Zweigelt, umbenannt. Immer wieder ist die NS-Vergangenheit thematisiert worden, in einem Dokumentarfilm und in Zeitungsartikeln, aber die Debatte schien niemanden zum Nachdenken anzuregen. Nach einem Glas Wein war alles wieder vergessen. Eines ist jedoch gewiss: Der letzte mediale Aufschrei im Dezember 2018, von der Künstlervereinigung Institut ohne Direkte Eigenschaften (IODE) im sogenannten Perinetkeller, den seinerzeit die Wiener Aktionisten bevölkert hatten, ausgestossen, ist weit über die Grenzen Österreichs hinausgedrungen, und Zeitungen in Deutschland, der Schweiz, aber auch in Israel, Ungarn, Frankreich, ja sogar Zeitungen in Malaysia und Indonesien haben über die Forderung nach einer Umbenennung der Rotweinsorte berichtet.

Was muss man zu Friedrich Zweigelt wissen, um sich eine Meinung über diesen Oenologen bilden zu können? Er war ein überzeugter Nationalsozialist, er hat die Schulabgänger 1943 zu Aposteln des Nationalsozialismus geweiht:

„In politischer Hinsicht seid gerade Ihr Apostel des Nationalsozialismus überall, wohin Ihr einmal beruflich kommt. Viele von Euch werden in kleineren Städten und auf dem flachen Land arbeiten und so neben dem Lehrer und Advokaten vielleicht die einzigen Träger einer höheren Bildung sein. Gerade da müsst ihr als vollwertige Nationalsozialisten hervortreten und Rückgrat sein der Partei und ihrer Arbeit.“

Zweigelt hat auch von einer Kolonisierung des Ostens oder des Balkans geträumt, wo dann die gut ausgebildeten und politisch geschulten Winzer als Kulturträger des Deutschtums ihren Mann stehen sollten.

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Friedrich Zweigelt (1888-1964).

Abbildung: Archiv Robert Streibel, mit freundlicher Genehmigung.

Zweigelt liebte kategorische Urteile:

„Wer heute nicht mit dem Führer ist, wer heute nicht weiss oder nicht wissen will, um was es geht, wer nicht selbst seine ganze Kraft einsetzt in diesem gigantischen zukunftsentscheidenden Kampf eines Kontinents, wer auch nur den Versuch macht sich dagegen zu stemmen, oder durch Sabotage am Kriege oder an der Arbeit selbst in Wort oder Tat den Sieg verzögern will, der stellt sich ausserhalb der deutschen Volksgemeinschaft, der hört damit auf unser Kamerad zu sein, der hat sein Leben verwirkt.“

Zweigelt hat selbst nach 1945 niemals auf sein Wirken in der NS-Zeit Position bezogen.

Trotz oder wegen seines forschen Auftretens fanden die Nazis 1938 auch im Lebenslauf Zweigelts ein Haar in der Suppe. Denn der „Erzschlaraffe“ Zweigelt hatte der Vereinigung Schlaraffia „zur Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor“ erst den Rücken gekehrt, als die NS-Parteigenossen in Deutschland dies 1933 vorgemacht hatten. Bis dahin hatte er nichts dabei gefunden, neben Juden zu sitzen und zu lachen. Das Urteil des Sicherheitsdienstes der SS fällt im Dezember 1938 auch angesichts der judenfreundlichen Haltung Friedrich Zweigelts vernichtend aus. Er sei nicht geeignet, die höhere Lehranstalt im nationalsozialistischen Sinn zu führen.

Alles Verleumdung, heisst es Monate später: Zweigelt habe die Bewegung auch in der Illegalität unterstützt, er war ein „eifriger Anhänger“. Die parteiinterne Kritik aus dem „Braunen Haus“ in München, genährt von zu kurz gekommenen Parteigenossen in Klosterneuburg, verstummt nicht, so wird Zweigelt als „gefühlsroh“ und Despot beschrieben, der nur die ihm hörigen Trabanten um sich schare und nur auf seinen eigenen Vorteil aus sei.

In seinen Reden für Schülerinnen und Schülern tritt Zweigelt besonders scharf gegen die Juden auf, die hinter allem Übel stünden:

„Hinter all dem aber stand die klare Zielsetzung des Judentums, der Jude, der heute die Plutokratien des Westens ebenso beherrscht, wie die Sowjets […] Die katholische Kirche hat immer schützend ihre Hand über den Juden gehalten.“ Und an anderer Stelle beurteilt er die Christlichsozialen: „Er sah und hörte nach Rom, gleichgültig, ob dieses Rom für oder gegen Deutschland stand. Ja er entblödete sich nicht aus konfessionellen Gründen einen Neger über einen protestantischen Deutschen zu stellen, wenn jener nur katholisch war. Eine solche ­Gesinnungslumperei ist tatsächlich möglich ­gewesen.“

Zur Unterstützung gegen die parteiinternen Intrigen wendet sich Zweigelt auch an den Kreisleiter Anton Wilthum aus Krems und stellt klar, dass, sollte er als Leiter abgelöst werden, dies einen Sieg der „Schwarzen und Korruptionisten“ darstelle. Klosterneuburg werde wiederum zur Hochburg des „Clerikalismus und somit zu einer Kampfzentrale gegen das Dritte Reich. Darüber sind wir uns ganz im Klaren, dass ich und mit mir meine brave Gefolgschaft auf einsamem Posten stehen, den zu halten in dieser schweren Kriegszeit doppelt wichtig bleibt.“

Die Linie, die Zweigelt vorgegeben hat, könnte klarer nicht sein. Wer „durch Sabotage am Kriege oder an der Arbeit selbst in Wort oder Tat den Sieg verzögern will, der stellt sich ausserhalb der deutschen Volksgemeinschaft, der hört damit auf unser Kamerad zu sein, der hat sein Leben verwirkt.“ Rückblickend betrachtet darf einem der kalte Schauer über den Rücken rieseln: „Alles was heute noch mangelhaft und schlecht ist, es muss früher oder später ausgerottet werden mit Euch und durch Euch!“

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„Zweigelt-Stempel“.

©Müller Grafik Design, mit freundlicher Genehmigung R. Streibel.

Zitate Friedrich Zweigelts in Festreden vor Schülerinnen
und Schülern in Klosterneuburg

„Und wie jämmerlich hatten sich diese Österreicher 1937 am Weinbaukongress in Heilbronn benommen! Nicht zuletzt zu meiner Bespitzelung war auch eine Delegation systemtreuer österreichscher Weinbauern und deren Führer nach Heilbronn gekommen. Und als die nationalen Lieder im Rahmen der Feierlichkeiten erklangen, da hat keiner die Hand zum Gruss erhoben, sie standen da wie armselige Wichte, ja sie schämten sich sogar die Lieder stehend anhören zu sollen.“

„Diese ungeheure Tat des Führers hat seinen Namen unauslöschlich eingetragen in das Buch der Weltgeschichte, unsterblich ist er für uns Deutsche geworden als der Erretter und Befreier des deutschen Menschen, der deutschen Seele, als der Baumeister des dritten Reichs.“

„Längst ist der Kampf um die Freiheit Deutschlands und den Zusammenschluss aller Deutschen in Europa zum Kampf für Europa selbst geworden. England hat unter der Wucht der deutschen Schläge die Maske fallen lassen müssen, sein Krämergeist wird in Bälde auch dem Letzten der Völker Europas die Augen öffnen, es wird ein geschlossenes Europa gegen England und seine Helfershelfer der jüdischen Plutokratie erstehen.“

„Unser letzter und grösster Dank aber gehört dem Führer, ihm, der uns vor drei Jahren heimgeholt hatte, ihm, der uns würdig befunden hatte, mitkämpfen zu dürfen für Deutschland, ihm, der mit ungeheurer Energie vollendet hat, was Jahrhunderte vorher keiner fertig gebracht hatte […]“

Wer die Geschichte von Zweigelt näher betrachtet und die Gedankenlosigkeit im Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945 in Rechnung stellt, der muss feststellen, dass Zweigelt längst zu einem fixen Bestandteil der österreichischen Geschichte geworden ist. In diesem Sinne finde ich zum jetzigen Zeitpunkt meine Position mit dem Satz Mit jedem Schluck sind wir der österreichischen Identität ganz nahe“ (© „Süddeutsche Zeitung“) treffend umschrieben.

 

PEN Club plant Anthologie: „Wer zweigelt in Österreich und Europa?“

Um die Initiative der Wortpatenschaft mitzutragen, plant der PEN Club Österreich für 2019 eine Anthologie mit dem passenden Titel: „Wer zweigelt in Europa?“ In der Erläuterung zu dieser geplanten Anthologie heisst es: „Eines unserer Mitglieder war Friedrich Heer. Von ihm stammt die Bemerkung: „Die Verdunkelung des Geistes beginnt im Wort.“

Die Sprache ist ein wichtiges Sensorium für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Es gilt immer die Vergangenheit im Blick zu haben sowie auf die Gegenwart zu achten. Die Verrohung und zunehmende Hetze gegen Minderheiten in der Sprache von Politikern und Politikerinnen – die nun quer durch Europa und auch in Österreich wieder verstärkt wahrnehmbar ist – gilt es genauso aufmerksam zu beachten und zu beurteilen wie auch den Umgang mit unserer Vergangenheit. Das Wort „zweigeln“ schafft hier in beunruhigender Weise eine Kontinuität. Immer noch wird in Österreich und Europa vergangenes Verbrechen vertuscht und verstärkt, werden neue Täuschungen und Vertuschungen in eine die offene Demokratie gefährdende Richtung betrieben. Zu den diesjährigen EU-Wahlen sollten wir einen besonderen Blick auf die Zweigelungsmechanismen in Europa werfen. Und wenn man sich das heutige Europa anschaut, und man sieht, wie in Ungarn beispielsweise nationalistische und antisemitische Schriftsteller und SchriftstellerInnen nachträglich in Ehrengräber beigesetzt werden, ist das genau ein Symbol für die „Zweigelisierung“ Europas.“

 

Übernehmen Sie eine Wortpatenschaft
für das Wort „zweigeln“!

Doch was geschieht, wenn eine Umbenennung der Rotweinsorte vielleicht doch Realität wird? Verschwindet Zweigelt dann ganz aus unserem Gedächtnis? Die VHS Hietzing hat aus diesem Grund die „Aktion Wortpatenschaft“ für das Wort „zweigeln“ ins Leben gerufen. Im Aufruf heisst es:

„Die Wortpatinnen und Wortpaten helfen mit, den österreichischen Umgang mit der NS-Vergangenheit sowie mit dem Austrofaschismus patriotisch fachgerecht zu benennen. Mit der Verwendung des Wortes „zweigeln“ wird sichergestellt, dass im Fall einer möglichen Umbenennung der berühmtesten Rotweinsorte die Erinnerung an Dr. Friedrich Zweigelt gewährleistet bleibt.

Wortpaten verpflichten sich, das Wort „zweigeln“ sinngemäss zu verwenden.

Um Ihnen das zu erleichtern hier einige Beispiele für „zweigeln“:

Waldheim hat sicher „gezweigelt“.

Die SPÖ hat – nicht nur – im Fall Dr. Gross „gezweigelt“.

Österreichische Firmen haben durch Jahrzehnte „gezweigelt“.


Die österreichische Nachkriegspolitik war über weite Strecken eine einzige „Zweigelung“.


Die FPÖ „zweigelt“ nie, denn für sie ist die Vergangenheit die Zukunft.

„Zweigeln“ steht demnach für einen Umgang mit der Geschichte des Landes, der aus Verschweigen und Verleugnen besteht.

Das Ziel der Wortpatinnen und Wortpaten ist es, für eine möglichst grosse Verbreitung des Wortes „zweigeln“ zu sorgen. Das Wort „zweigeln“ hat es verdient, das Wort des Jahres 2019 zu werden.“

 

Interessenten melden sich bitte in der VHS Hietzing
hietzing @vhs.at oder direkt beim Verfasser:
robert.streibel@vhs.at

 

Robert Streibel, Historiker, Direktor der VHS Hietzing, hat zuletzt mit Bernhard Herrman mit dem Roman „Der Wein des Vergessens“ (Residenz Verlag 2018) die Diskussion über Winzer, Wein und Nationalsozialismus angestossen. (Vgl. DAVID Heft 119/2018)