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Alma Rosé: Nur die Geigen sind ­geblieben – soll es bei diesen resignativen Worten bleiben?

Ingrid Nowotny

Nein, viel zu gross war ihre Kunst und die ihres Vaters; wir dürfen das Gedächtnis an diese beiden Künstlerpersönlichkeiten nicht auf das Instrument reduzieren. So einzigartig und wertvoll die Stradivari von Arnold Rosé und die Guadagnini von Alma Rosé auch sein mögen – Kulturerbe ersten Ranges, in unsere Zeit und in unser Land gerettet aus unfassbaren Umständen – ein Instrument lebt dennoch nur von denen, die es zum Klingen gebracht haben und von denen, die mit Ehrfurcht, Verstand und Liebe zur Musik diesen Klang hören.

Inhalt

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Alma und Arnold Rosé.

Foto: Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft
Wien, mit freundlicher Genehmigung I. Nowotny.

Ich darf persönlich werden, habe ich doch das Glück gehabt, dieses Wunder zu erleben: Die Oesterreichische Nationalbank lud Anfang April 2019 zu einem ganz besonderen Konzert:  Unser wohl bester Violinsolist, Benjamin Schmid, spielte auf der Geige ex Viotti ex Rosé gemeinsam mit seiner Frau Ariane Häring (Klavier), seiner Tochter Cosima (Geige) und Matthias Bartolomey (Cello) Werke für Violine und Klavier von Heinrich Ignaz Franz Biber, Ludwig van Beethoven, Dmitri Schostakowitsch, Fritz Kreisler und Franz Schubert. Das Ambiente, der ehemalige Kassensaal der Oesterreichischen Nationalbank, nicht sehr spektakulär, aber doch von hohem Symbolgehalt: Mitglieder der Wiener jüdischen Gemeinde zählten als Pioniere der österreichischen Finanzwirtschaft zu den Gründern der Oesterreichischen Nationalbank im Jahr 1816 und haben so beigetragen, das Land nach dem Staatsbankrott im Zuge der Napoleonischen Kriege zu retten  –  aber das ist eine andere Geschichte, wohl wert, an anderer Stelle erzählt zu werden, einschliesslich der Bedeutung jüdischer Bankiers für das rege Musikleben im Wien des 19. und 20. Jahrhunderts. Anita Lasker-Wallfisch hielt den Festvortrag. Sie sprach eindrucksvoll und berührend über ihre Erinnerungen an Alma Rosé als Leiterin des Frauenorchesters und an ihr eigenes Cello-Spiel in Auschwitz. „Sie hat uns das Leben gerettet! Ohne unser Spiel wären wir ins Gas gegangen.“

Auch das Haus der Geschichte Österreichs entreisst Alma Rosé dem Vergessen: Es widmete ihr anlässlich des 75. Todestages im KZ Auschwitz-Birkenau bis Ende Mai eine eindrucksvolle Ausstellung. Der Ort – die Neue Burg am Heldenplatz – steht in mahnendem Zusammenhang mit dem Schicksal Alma und Arnold Rosés: Hier wurde das Ende Österreichs verkündet – nein, nicht zum sattsam berüchtigten Balkon sollte Bezug genommen werden, sondern als kleine Genugtuung sollte der Zugang, der Raum dahinter, die prunkvolle innenseitige Fläche eine neue Funktion bekommen. Er trägt nunmehr für alle Zukunft den Namen „Alma Rosé-Plateau“ und soll dem zeitgeschichtlichen Gedächtnis dienen.

Die Ausstellung ist überschaubar und reduziert, daher umso intensiver und berührender. Keine Schlagworte auf überdimensionierten Schautafeln, keine spektakulären Objekte, schlichte schwarze Notenständer halten für den Leser die gedruckten Blätter der Geschichtserzählung auf Augenhöhe: hymnische Kritiken aus Zeiten des Ruhms, Dokumente des Grauens: Transportlisten, Noten aus dem KZ, Todesnachrichten; sparsame Vitrinen zeigen die wenigen erhaltenen Objekte: Es berührt, eine aus Polsterüberzügen selbst genähte rote Notentasche des KZ-Frauenorchesters, die Füllfeder zur Vervielfältigung der Noten und ein Notizbuch zu sehen.

Die wissenschaftliche historische Forschungsarbeit der Kuratorin Heidemarie Uhl ist bewundernswert – die Menschen und ihr Schicksal jedoch so nahezubringen, dass wir die Ausstellung nachdenklich und betroffen verlassen, das verdanken wir ihrem besonderen Einfühlungsvermögen! Der Kunstgriff, das Narrativ auf Notenständern zu präsentieren,  geht weit über die Symbolik des Bezuges zur Musik hin-aus. Die Ausstellung kann ohne grossen Aufwand an anderen Stellen gezeigt werden: Überall, wo es einen Saal gibt, können Notenständer beschafft und die Blätter mit der Geschichte elektronisch ausgedruckt werden; Kreativität ist lediglich für ein stimmiges Aufstellen gefordert. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“ noch vielen Menschen zugänglich gemacht wird.

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Die Wiener Walzermädeln.

Foto: The Gustav Mahler-Alfred Rosé
Collection, Music Library, University of Western Ontario, Canada, mit freundlicher Genehmigung I. Nowotny.

Die Familie Rosé

Alma Rosé wurde am 3. November 1906 in Wien geboren. Ihr musikalisches Talent  - aber auch ihr späteres tragisches Schicksal -  wurden ihr in die Wiege gelegt: ihre Mutter war Justine Mahler, die Schwester Gustav Mahlers. Auch ihr Vorname kam nicht von ungefähr, war doch Alma Mahler ihre Patentante. Ihr Vater Arnold Rosé, 1863 noch als Arnold Josef Rosenblum in Iasy (Rumänien) geboren, übersiedelte schon als Kind nach Wien. Hier sollten er und sein Bruder Eduard eine musikalische Ausbildung bekommen: Die Staatsgrundgesetze 1867 erlaubten der Familie wohl die Niederlassung in Wien, die kulturelle Aufgeschlossenheit der Hauptstadt vermochte aber nicht über den faktischen Antisemitismus der Zeit hinweg zu täuschen. Es schien geboten, den „Makel“ der jüdischen Herkunft durch einen neuen Namen, und durch eine protestantische Taufe zu verdecken.

Arnold Rosé studierte bei den besten Lehrern am Konservatorium des Musikvereins. Wenngleich man ihn nicht als Wunderkind kategorisieren sollte, so war er doch sehr jung, als er mit 16 Jahren solistisch mit Karl Goldmark unter Hans Richter debütierte und bald zum Konzertmeister der Hofoper bestellt wurde. Sein Rosé-Quartett ist bis heute legendär, es galt als das beste der Welt. Erweitert zum Sextett führte es Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ erstmals auf.

Die Wiener Gesellschaft verehrt und achtet ihn hoch, nicht nur die Musikenthusiasten. Franz Werfel widmete ihm 1923 ein Geburtstagsgedicht; auch kennen wir alle das wunderbare Bild „Das Rosé Quartett“ von Max Oppenheimer, es ist leider nicht in Wien, sondern im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Die Kritiken seiner Auftritte waren voll Bewunderung. Die Wiener Philharmoniker verliehen ihm ihren  Ehrenring, ebenso wurde ihm die seltene Würde eines Ehrenbürgers der Stadt Wien zuteil; jedes Jubiläum wurde mit einem rauschenden Fest gefeiert,  unter den Gratulanten fanden sich neben den Grossen der Politik und der Wirtschaft Arturo Toscanini, Bruno Walter und auch Wilhelm Furtwängler.

Zurück zu Alma: „Es war ein Triumph für Arnold Rosé, dessen Tochter Alma im grossen Musikvereinssaale debütierte …“, so leitet Josef Reitler seine enthusiastische Kritik über Almas ersten Auftritt in der Neuen Freien Presse vom 20.12.1926 ein. Er lässt sich nicht herab, die Kunst der Tochter als ihre eigene zu loben, nur über den Vater darf sie am Triumph teilhaben; heute befremdlich, damals aber gängiges Denken. Ins gleiche Horn stösst eine Kritik in der amerikanischen Presse: Hier wird sie als „Erbin des väterlichen Talents“ gewürdigt – schön, aber doch in den Schatten des Vaters gestellt.

Wie überhaupt, Alma zählt als Geigerin zu den Grossen ihrer Zeit. Unterricht erhält sie von  ihrem Vater und von Otakar Ševčík. Auch hier ist wohl nicht von einem rasch verglühenden Wunderkind zu sprechen, sie tritt als Solistin auf und  spielt im Quartett des Vaters, er die erste Geige, sie die zweite.

Ein weiterer Mann tritt in ihr Leben: Sie heiratet 1930 den bekannten tschechischen Geiger Váša Příhoda. Sie geht mit ihm auf Tournee durch ganz Europa, spielt mit ihm und auch als Solistin. Sie ziehen nach Prag, doch die Ehe dauert nicht lange: Nach der Scheidung 1935 kann sie sich befreien und ihren eigenen Weg gehen: Sie kehrt zurück nach Wien, führt das Leben einer mondänen und selbstbewussten Frau, emanzipiert sich auch von ihrem Vater und sucht finanzielle Unabhängigkeit: Sie gründet die Wiener Walzermädeln.

Die Wiener Walzermädeln, wiewohl eher der Musik mit Unterhaltungscharakter der Wiener Note verpflichtet, wurden durch Almas konsequente Hand ein hochprofessionelles Damenorchester, von exzellenter künstlerischer Qualität und auch finanziell erfolgreich. Mit diesem Orchester gelang ihr der Sprung in die künstlerische und auch existenzielle Unabhängigkeit. Eine achtmonatige Tournee führte das Orchester in 28 europäische Städte, nach Hitlers Machtergreifung sogar nach Berlin -  auch hier war die Presse begeistert.

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Die Ausstellung im Haus der Geschichte,Neue Burg,Wien.

Foto: I. Nowotny, mit freundlicher Genehmigung.

 

 

Flucht, Vertreibung, Exil

Der März 1938 bringt für Vater und Tochter ein jähes Ende:  Arnold Rosé spielt am12. März 1938 zum letzten Mal als Philharmoniker im Staatsopernorchester und wird nach 57 Jahren Zugehörigkeit sofort „beurlaubt“, auch Hohn und Erniedrigung durch inferiore Geister muss er ertragen. Mit 1. Juni wird er pensioniert; die Wiener Walzermädchen werden aufgelöst; auch die finanzielle Grundlage wird eng. Unmittelbar ist eine Flucht nicht möglich, da Almas Mutter Justine schwer erkrankt. Sie stirbt im August 1938.

Almas Bruder Alfred kann mit seiner Frau nach London fliehen und sich hier nur eine mehr als bescheidene Existenz als Musiker mit eingeschränkter Arbeitserlaubnis aufbauen. Alma flüchtet im März 1939 Hals über Kopf ebenfalls nach London. Dank ihrer  Initiative kann sich danach im August auch ihr Vater Arnold - 75-jährig – nach London in Sicherheit bringen. Aus vereinzelten Engagements, ja selbst aus der Reaktivierung des Rosé-Quartetts mit emigrierten Musiker-Kollegen aus Wien kann jedoch kein ausreichendes Einkommen erzielt werden.

Im November 1939 -  es war eine Trauerfeier für Sigmund Freud -  traten Alma und Arnold gemeinsam auf, nicht ahnend, dass es das letzte Mal sein sollte. Die verzweifelte finanzielle Situation bewog Alma, ein Engagement in Den Haag anzunehmen. Wohl konnte sie damit durch Geldüberweisungen den Lebensunterhalt von Vater und Bruder in London bescheiden sichern, doch die Besetzung der Niederlande durch das NS-Regime bedeutete letztlich ihren Untergang. Sie kann den Verfolgungsmassnahmen des 1940 eingesetzten Reichskommissars Arthur Seiss-Inquart nicht entkommen: Die Versuche, mit dem Vater in die U.S.A. zu fliehen, waren gescheitert. Nicht einmal die in Utrecht eingegangene Scheinehe mit einem „Arier“ kann sie retten. Lediglich ihrem Bruder Alfred gelingt mit einem mühsam erlangten Affidavit die Flucht in die USA. - Der Vater ist „zu alt“ für ein Affidavit; er ist auf die Generosität privater Musikliebhaber in England angewiesen.

 

Auschwitz

In der letzten Verzweiflung versuchte Alma über Frankreich in die Schweiz zu kommen. Durch Denunziation wurde sie am Bahnhof von Dijon verhaftet und im Jänner 1943 nach Drancy und hernach in das Internierungslager Beaune-La Rolande eingeliefert. Im Juni 1943 übernahm der SS-Hauptsturmführer Alois Brunner (gen. „Bluthund“) das Kommando über die Lager und organisierte  ab nun mit höchster Effizienz und Grausamkeit die Deportationen in die Konzentrationslager. Alma überlebte zunächst die Selektion an der Rampe in Auschwitz.

Sie war schon mit 12 Mitgefangenen dem berüchtigten SS-Arzt Carl Clauberg im Lager Birkenau zugeteilt -  er führte grausame Experimente an Häftlingen durch -  als sie als die berühmte Geigerin erkannt wurde. Eine Blockälteste konnte eine Geige beschaffen, und so gab sie im Block heimlich Konzerte.

Makabre  Ironie, Tanz auf dem Vulkan, Totentanz,  oder was immer, Musik im Schatten der Gaskammern und Brennöfen, inmitten der grössten Verbrechen: Es gab bereits zwei Orchester. Eines für Männer, bestehend aus Berufsmusikern aus dem Kreis der Gefangenen und ein Frauenorchester im Lager Birkenau - die Schergen scheuten sich nicht, Musik zu missbrauchen: Marschmusik sollte die  Häftlinge auf dem Weg zu ihrem quälenden Arbeitseinsatz begleiten und die Lagerleitung am Sonntag unterhalten. Häftlinge durften im Hintergrund zuhören; ein Faszinosum im Grauen -  man konnte die berühmte Stecknadel fallen hören.

Unter Alma bekam das Frauenorchester eine besondere Dimension: Für sie war nur höchste Qualität akzeptabel, hatte sie doch den Befehl, aus dem Amateurorchester ein professionelles zu machen, und dennoch: Alles, was ein Instrument auch nur halten konnte, wurde eingeteilt. Sie drillte, holte das Letzte heraus, sie griff auch zur Schinderei, machte sich bisweilen auch unbeliebt, übte Druck aus, ihr hoher Anspruch blieb unerbittlich,  denn sie war sich bewusst, dass das Orchester, das „Musikkommando“,  eine Sonderstellung hatte und Rettung vor der Gaskammer bedeutete. Dies -  man kann es wohl so sagen  -  nutzte sie schamlos aus, nicht für sich, sondern für ihre Musikerinnen: „Wenn wir nicht gut spielen, gehen wir ins Gas!“

Die Ausstattung mit Noten und Instrumenten war unzureichend. Und dennoch, Almas künstlerischer Anspruch und ihre Durchschlagskraft finden Mittel und Wege: Wer fürs Spielen nicht gut genug ist, muss üben, üben, üben, 10 Stunden täglich, wenn auch das nicht reichte, waren Noten zu kopieren, sie von einem fehlenden Instrument in ein vorhandenes zu transkribieren -  aus Flöten wurden Mandolinen - , oder Neuarrangements mit umfassenden Partituren zu erstellen. Alma selbst schafft Bearbeitungen höchsten Niveaus, bald waren 200 Stücke im Repertoire, von der Marschmusik für das Lagertor bis zu Klassikkonzerten für die Lager-SS,  alles, damit der schöne Klang das Leben der Musikerinnen erhalte.

Sie geht auch an Grenzen: Zum beliebten Schlager „In mir klingt ein Lied“  von Ernst Marischka, zur Musik einer Etüde von Frédéric Chopin, schreibt sie einen neuen Text über die Sehnsucht nach Freiheit. Die Lager-SS will den Text nicht, will, dass Alma einen neuen schreibt, diese weigert sich: die Rettung durch eine Aufführung ohne Text gelang nur denkbar knapp.

Die Sonderstellung des Frauenorchesters ist wohl auch dem Bezug einiger hochrangiger SS-Funktionäre im KZ zur Musik, insbesondere der besonders grausamen Aufseherin Maria Mandl, zu verdanken. Hier eine Art Kollaboration Almas mit den Machthabern zu konstruieren, verweisen Anita Lasker-Wallfisch und alle anderen Zeitzeuginnen in das Reich der Missgunst und Verleumdung.

 

Almas Tod

Eine endgültige Klärung des Todes von Alma wird es nie geben. Nach einer Geburtstagsfeier für eine Aufseherin bekommt sie hohes Fieber. Der berüchtigte Lagerarzt Josef Mengele veranlasst zur Klärung, ob es sich um eine Meningitis handelt,  noch eine Punktion des Rückenmarks - wohl ein Zeichen, dass er vor ihrer Kunst noch einen Rest von Achtung verspürte. Sie stirbt in der Nacht zum 5. April 1944. Die Autopsie ergibt Vergiftung. Es kann eine Fleischvergiftung aufgrund des üblichen verdorbenen Essens gewesen sein, es hielten sich aber auch Gerüchte, dass sie vergiftet worden sei.

Wohl wurde eine Nachfolgerin für die Orchesterleitung in der Person der russischen Korrepetitorin Sonja Winogradova gefunden, doch setzten bald die Märsche, die zu Todesmärschen wurden, in andere Lager ein. Die Musikerinnen gelangten nach Bergen-Belsen, vielleicht war es für viele eine Rettung, denn in Auschwitz wurde noch weiter gemordet, in Bergen Belsen nur mehr hungers gestorben. Ein Teil der Musikerinnen erlebte hier die Befreiung. Darunter Anita Lasker-Walfisch, Hilde Zimche-Grünbaum und Hélène Rounder.

Wir könnten es nun bei der historischen Darstellung der künstlerischen Bedeutung von Arnold und Alma Rosé bewenden lassen,  wären da nicht die Geigen, die den aktuellen Anstoss gegeben haben, sich ihrer zu besinnen. Arnold Rosé musste bei seiner Flucht nach London alles in Wien zurücklassen. Seine Geige kam jedoch mit ihm.

 

Die Geigen

Im Jahr 1913 hatte Gräfin Mysa von Wydenbruck-Esterházy mit Hilfe von Musikenthusiasten der Wiener Gesellschaft – heute würde man sagen mittels Crowdfunding – eine von Stradivari 1718 in Cremona gebaute Violine aus der Sammlung des Earl of Crawford erworben und Arnold Rosé zum Geschenk gemacht. Der bedeutendste Vorbesitzer war der italienische Virtuose Giovanni Battista Viotti, daher Ex Viotti. Er hinterliess als Komponist der Spätklassik und Frühromantik mehrere Violinkonzerte und gilt als Vater der modernen Technik des Geigenspiels.

Arnold Rosé musste 1938 gemäss der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ alle Vermögenswerte über 5.000 Reichsmark angeben. Die Geigen waren in der Auflistung nicht enthalten. So konnte Alma - ohne empfindliche Steuern - die Geigen zu ihrem Vater, - wohl ausserhalb der damaligen „Legalität“ - nach London bringen. Die prekäre finanzielle Situation liess den Vater in seiner Resignation und Verzweiflung den Verkauf der Stradivari in Erwägung ziehen. Alma wehrte sich vehement  dagegen, wohl mit ein Grund, weshalb sie des Gelderwerbs wegen nach Den Haag ging und sich somit unwissend in ihren Untergang begab. Sie wusste, dass mit einem Verkauf ihrem Vater die letzte Möglichkeit und auch die letzte Kraft für Auftritte genommen würde.

Alma hatte sich ebenfalls auf ihrer Flucht nicht von ihrer eigenen Geige, einer Giovanni Baptista Guadagnini, 1757 in Mailand gebaut, getrennt. Sie übergibt sie vor ihrer Deportation 1944 in den Niederlanden einem Freund. Sie legt eine ihrer Portraitpostkarten mit dem Vermerk „Darf nicht verloren gehen“ bei. So geschah es trotz der Wirrnisse auch: Die Geige gelangte zurück zum Vater nach London, ob durch das Rote Kreuz oder, wie gleichfalls berichtet, durch zwei Nonnen, ist nicht mehr nachvollziehbar.

Arnold verkaufte nach Almas Tod die Geige an einen seiner Schüler. In der Folge gelangte sie an den Virtuosen Felix Eyle, der sie, von Alma gespielt, schon in Wien gehört hatte. Über seine Erben kam sie 2003 auf den Schüler David Oistrachs, Zakhar Bron. Durch seine Auftritte ist die nunmehr als „Alma Rosé“ bekannte Guadagnini in allen bedeutenden Konzertsälen der Welt zu hören.

Arnold Rosé trennte sich erst im hohen Alter zum rechten Zeitpunkt von seiner Stradivari. Er spielte sie am 2. Oktober 1945 zum letzten Mal. Nach Musikmachen stünde ihm nicht mehr der Sinn: „Na, mein Leben ist ja abgeschlossen und ich habe nicht mehr zu tun“ so an seinen Sohn Ende 1945. Der Weg der Geige in den Jahren danach ist kaum nachzuverfolgen. 1975 gelangte sie jedenfalls in den Besitz des Gründers des Juilliard Quartetts, Robert Mann. Sein Sohn und Schüler spielte sie weiter als Mitglied des Mendelssohn String Quartetts.

Gouverneur Klaus Liebscher ist es zu verdanken, dass die Geige 2002 als Teil der Sammlung historischer Musikinstrumente der Oesterreichischen Nationalbank wieder nach Wien gelangte. Die Notenbank fühlt sich der Kultur verpflichtet, und so sollen die Instrumente auf Zeit als Leihgabe an die bedeutendsten Virtuosen weitergegeben werden. Es war ein besonderer Moment, als sie mit den Philharmonikern durch Volker Steude am 26. Oktober 2005, dem 50. Jahrestag der Neutralität Österreichs, unter Daniel Barenboim mit Beethovens Romanze für Violine und Orchester in F-Dur, op. 50 wieder in Wien erklang.

Vorläufiger Endpunkt der Reise der ex Viotti ex Arnold Rosé ist Salzburg. Hier lebt der auf der ganzen Welt auftretende Geiger Benjamin Schmidt mit seiner Frau, der Pianistin Ariane Haering und seinen Kindern, die ebenfalls auf dem Weg zu Solisten sind. Möge das Feuer der Vater-Sohn-Tochter-Tradition der Familie Rosé weitergegeben werden -  das Konzert im Kassensaal der Nationalbank war ein mitreissender Auftakt!